Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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ihrem Abgott, hebt ihn in den Himmel; und wie die fromme Schwärmerei die Sprache der Liebe entlehnt, so entlehnt die Liebesschwärmerei die Sprache der frommen Andacht. Sie hat nichts mehr vor Augen als das Paradies, die Engel, die Tugenden der Heiligen, die Freuden des himmlischen Aufenthaltes. Kann sie in dieser Verzückung, in diesem Anschauen erhabener Bilder sich niederer Ausdrücke bedienen, um sich kund zu geben? Wird es ihr möglich sein, ihre hohen Gedanken durch alltägliche Redensarten herabzuwürdigen und zu entweihen? Wird sie nicht ihrer Sprache einen höheren Schwung, nicht Adel, nicht Würde geben? Was reden Sie von Briefen, von Briefstyl! Darum handelt es sich auch, wenn man an ein geliebtes Wesen schreibt! Nein, was man da schreibt, sind nicht Briefe, Hymnen sind es.

      N. Bürger, lassen Sie mich Ihren Puls fühlen!

      R. Nicht doch, sehen Sie den Winterschnee auf meinem Haupte! Es giebt Jahre der Erfahrung, Jahre der Erinnerung. Die Empfindung erlischt endlich einmal, aber eine gefühlvolle Seele bleibt ewig.

      Ich komme auf unsere Briefe zurück. Wenn Sie sie als das Werk eines Schriftstellers lesen, der gefallen will oder sich mit seiner Schreibart zeigen, so sind sie abscheulich. Aber nehmen Sie sie als das, was sie sind, und beurtheilen Sie sie in ihrer Art! Zwei, drei einfache, aber gefühlvolle junge Leute unterhalten sich unter sich von ihren Herzensangelegenheiten; sie denken nicht daran, vor einander glänzen zu wollen. Sie kennen und lieben einander zu sehr, als daß die Eigenliebe unter ihnen noch Spielraum fände. Sie sind Ausländer: werden sie correct schreiben? Sie sind einsam aufgewachsen: werden sie die Welt und die Gesellschaft kennen? Erfüllt von dem einzigen Gefühle, welches sie in Anspruch nimmt, schwärmen sie und meinen zu Philosophiren. Fordern Sie von ihnen Beobachtung, Unheil, Ueberlegung? Lauter Dinge, auf die sie sich nicht verstehen. Sie verstehen sich darauf, lieb zu haben; sie bringen zu Allem ihre Leidenschaft mit. Ist die Wichtigkeit, welche sie allen ihren Kinderpossen beilegen, weniger ergötzlich als aller Geist, den sie etwa auskramen könnten? Sie plaudern über Alles, sie täuschen sich über Alles; man lernt durch sie nichts kennen als sie selbst; aber indem man sie kennen lernt, gewinnt man sie lieb; ihre Irrthümer sind mehr werth als alle Wissenschaft der Weisen; ihre redlichen Herzen halten in Allem, und in ihren Fehlern selbst, die Vorurtheile der Tugend fest, die ewig vertrauensvoll, ewig verrathen wird. Da ist Keines, das sie verstünde, das ihnen entgegenkäme; immer wieder müssen sie sich enttäuscht sehen. Sie verschließen sich vor den entmuthigenden Wahrheiten, und da sie nirgend ihr Gefühl befriedigt finden, ziehen sie sich in sich selbst zurück; sie lösen sich von der übrigen Welt los und indem sie sich unter sich eine kleine Welt verschieden von der unseren schaffen, stellen sie uns ein in der That neues Schauspiel dar.

      N. Ich gebe zu, daß ein Mann von zwanzig Jahren und Mädchen von achtzehn, wenn auch wohl unterrichtet, nicht wie Philosophen sprechen müssen, selbst wenn sie sich einbilden, es zu sein; ich gebe auch zu (und diese Entwicklung der Sache ist mir nicht entgangen), daß diese Mädchen zu achtbaren Frauen und der Jüngling zu einem besseren Beobachter reifen. Ich will nicht den Anfang und das Ende des Werkes einander gleich stellen. Die Hingabe an das häusliche Leben macht die Jugendverirrungen wieder gut; die züchtige Gattin, die verständige Hausfrau, die würdige Mutter machen uns die strafbar Liebende vergessen. Aber eben dies giebt einen Anlaß zur Kritik: das Ende der Sammlung läßt den Anfang nur noch tadelnswerther erscheinen; man möchte sagen, es sind zwei verschiedene Bücher, die nicht von denselben Personen gelesen werden müssen. Sollen vernünftige Menschen gezeigt werden, warum treten sie auf, bevor sie es geworden sind? Die Kindereien, welche den Weisheitslehren vorangehen, machen, daß man gar nicht bis zu diesen gelangt; man muß sich an dem Schlechten ärgern, ehe man dazu kommen kann, sich an dem Guten zu erbauen; kurz, der Leser wird aufgebracht und wirft unwillig das Buch gerade da von sich, wo es nützlich zu werden anfängt.

      R. Ich denke im Gegentheil, daß das Ende dieser Briefsammlung für diejenigen Leser überflüssig ist, welche der Anfang abgestoßen hat, und daß der Anfang gerade Denen angenehm sein muß, für die das Ende von Nutzen sein kann. So werden diejenigen, welche das Buch nicht auslesen, nichts verlieren, da es nicht für sie gemacht ist, und diejenigen, welche Nutzen davon ziehen können, würden es nicht gelesen haben, wenn es ernsthafter angefangen hätte. Wenn das, was man sagen will, nützlich werden soll, so muß man vor allen Dingen sich Eingang bei Denen verschaffen, welche den Nutzen ernten sollen.

      Ich habe mit dem Mittel, nicht mit dem Gegenstande gewechselt. Als ich es versuchte, zu den Erwachsenen zu reden, hat man mich nicht hören wollen; vielleicht, wenn ich mich an die Kinder wende, finde ich mehr Gehör; die Kinder nehmen aber die nackte Wahrheit nicht besser ein als Arzueien, die man nicht gut versteckt hat.

      Cosi all' egro fanciul porgiamo aspersi Di soave licor gli orli del vaso; Succhi amari ingannato in tanto ei beve, E dall inganno sua vita riceve.

      [So reichen wir dem kranken Kind Arzueien, Des Bechers Rand mit süßem Saft bestrichen; Getäuscht den bittern Trank in raschem Zuge Schlürft es und dankt sein Leben dem Betruge. Tasso's Befreit. Jerus. I, 3]

      N. Ich besorge, daß Sie sich auch hierin täuschen; sie werden die Ränder des Gefäßes ablecken und den Trank nicht nehmen.

      R. Wenn das geschieht, so ist es dann nicht meine Schuld; ich habe wenigstens gethan, was ich konnte, um ihn ihnen beizubringen.

      Meine jungen Leute sind liebenswürdig; aber um sie im dreißigsten Jahre zu lieben, muß man sie im zwanzigsten gekannt haben. Man muß lange mit ihnen gelebt haben, um sich mit ihnen zu gefallen, und erst wenn man ihre Fehler beklagt hat, wird man an ihren Tugenden Freude finden. Ihre Briefe reizen nicht im ersten Augenblick, aber nach und nach fesseln sie, man kann nicht recht daran, aber auch nicht wieder davon kommen. Anmuth, gefälliger Styl ist nicht darin, auch nicht Verstand, Witz, Beredtsamkeit; nur Gefühl allein; es theilt sich unvermerkt dem Herzen mit und entschädigt zuletzt für alles Andere. Es ist eine lange Romanze, deren Verse einzeln genommen nichts Ergreifendes haben, aber ihr Zusammenhang bringt zuletzt ihre Wirkung hervor. Dies ist mein Gefühl beim Lesen der Briefe: sagen Sie mir, ob Sie in dem nämlichen Falle sind.

      N. Nein! Jedoch begreife ich, daß es Ihnen so ergeht. Sind Sie der Verfasser, so ist die Sache ganz einfach; wo nicht, so begreife ich es dennoch. Ein Mann, der in der Welt lebt, kann sich an die ausschweifenden Gedanken, an das übertriebene Pathos, an das ewige Faseln Ihrer guten Leute nicht gewöhnen. Ein einsamer Mensch mag daran Geschmack finden: Sie haben den Grund selber gesagt. Aber bedenken Sie, bevor Sie dieses Manuscript bekannt machen, daß das Publicum nicht aus Einsiedlern besteht. Das Glücklichste, was Ihnen begegnen könnte, wäre noch, daß man ihr gutherziges Bürschchen für einen Seladon, Ihren Eduard für einen Don Quixote, Ihre Dämchen für ein Paar Astreen nähme und sich daran wie an einer wahren Narrengesellschaft belustigte. Indessen lange Possen sind nicht belustigend: man muß wie Cervantes schreiben, um sechs Bände Phantasterei genießbar zu machen.

      R. Der Grund, aus welchem Sie dieses Werk unterdrücken würden, macht mir Muth, es herauszugeben.

      N. Wie! Die Gewißheit, nicht gelesen zu werden?

      R. Eine kleine Geduld, und Sie werden mich verstehen.

      In moralischer Hinsicht giebt es, meiner Meinung nach, keine Lectüre, die Weltleuten nützen kann. Erstlich, weil die vielen neuen Bücher, welche sie durchlaufen und welche eines ums andere das Für und Wider sagen, gegenseitig sich die Wirkung zerstören und Alles so gut wie nicht geschehen machen. Auserwählte Bücher, welche man wiederliest, machen auch keine größere Wirkung: sind sie im Sinne des Weltlebens geschrieben, so sind sie überflüssig, widersprechen sie demselben, so sind sie unnütz. Sie finden ihre Leser an die Laster der Gesellschaft durch Bande gekettet, welche sie nicht zerbrechen können. Der Weltmann, der einen Augenblick lang Willens ist, in sich zu gehen und seine Seele in die sittliche Sphäre zu versetzen, stößt auf unüberwindlichen Widerstand von allen Seiten und sieht sich jedesmal gezwungen, seinen alten Standpunkt zu behalten oder wieder einzunehmen. Ich bin überzeugt,

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