Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer
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Dies Alles nun aber beruht auf dem fundamentalen Unterschiede zwischen dogmatischer und kritischer, oder Transscendental-Philosophie. Wer sich diesen deutlich machen und an einem Beispiel vergegenwärtigen will, kann es in aller Kürze, wenn er, als Specimen der dogmatischen Philosophie, einen Aufsatz von Leibnitz durchliest, welcher den Titel »De rerum originatione radicali« führt und zum ersten Male gedruckt ist in der Ausgabe der philosophischen Werke Leibnitzens von Erdmann, Bd. 1, S. 147 – Hier wird nun so recht in realistisch-dogmatischer Weise, unter Benutzung des ontologischen und des kosmologischen Beweises, der Ursprung und die vortreffliche Beschaffenheit der Welt a priori dargethan, auf Grund der veritatum aeternarum. – Nebenher wird auch ein Mal eingestanden, daß die Erfahrung das gerade Gegentheil der hier demonstrirten Vortrefflichkeit der Welt aufweise, darauf aber der Erfahrung bedeutet, sie verstehe nichts davon und solle das Maul halten, wenn Philosophie a priori geredet hat. – Als Widersacher dieser ganzen Methode nun ist mit Kant die kritische Philosophie aufgetreten, welche gerade die, allem solchem dogmatischen Bau zur Unterlage dienenden veritates aeternas zu ihrem Problem macht, dem Ursprunge derselben nachforscht und ihn sodann findet im menschlichen Kopf, woselbst nämlich sie aus den diesem eigenthümlich angehörenden Formen, welche er zum Behuf der Auffassung einer objektiven Welt in sich trägt, erwachsen. Hier also, im Gehirn, ist der Steinbruch, welcher das Material zu jenem stolzen dogmatischen Baue liefert. Dadurch nun aber, daß die kritische Philosophie, um zu diesem Resultate zu gelangen, über die veritates aeternas, auf welche aller bisheriger Dogmatismus sich gründete, hinausgehn mußte, um diese selbst zum Gegenstande der Untersuchung zu machen, ist sie Transscendental-Philosophie geworden. Aus dieser ergiebt sich dann ferner, daß die objektive Welt, wie wir sie erkennen, nicht dem Wesen der Dinge an sich selbst angehört, sondern bloße Erscheinung desselben ist, bedingt durch eben jene Formen, die a priori im menschlichen Intellekt (d.h. Gehirn) liegen, daher sie auch nichts, als Erscheinungen enthalten kann.
Kant gelangte zwar nicht zu der Erkenntniß, daß die Erscheinung die Welt als Vorstellung und das Ding an sich der Wille sei. Aber er zeigte, daß die erscheinende Welt eben so sehr durch das Subjekt, wie durch das Objekt bedingt sei, und indem er die allgemeinsten Formen ihrer Erscheinung, d. i. der Vorstellung, isolirte, that er dar, daß man diese Formen nicht nur vom Objekt, sondern eben so wohl auch vom Subjekt ausgehend erkenne und ihrer ganzen Gesetzmäßigkeit nach übersehe, weil sie eigentlich zwischen Objekt und Subjekt die Beiden gemeinsame Gränze sind, und er schloß, daß man durch das Verfolgen dieser Gränze weder ins Innere des Objekts noch des Subjekts eindringe, folglich nie das Wesen der Welt, das Ding an sich erkenne.
Er leitete das Ding an sich nicht auf die rechte Art ab, wie ich bald zeigen werde, sondern mittelst einer Inkonsequenz, die er durch häufige und unwiderstehliche Angriffe auf diesen Haupttheil seiner Lehre büßen mußte. Er erkannte nicht direkt im Willen das Ding an sich; allein er that einen großen, bahnbrechenden Schritt zu dieser Erkenntniß, indem er die unleugbare moralische Bedeutung des menschlichen Handelns als ganz verschieden und nicht abhängig von den Gesetzen der Erscheinung, noch diesen gemäß je erklärbar, sondern als etwas, welches das Ding an sich unmittelbar berühre, darstellte: dieses ist der zweite Hauptgesichtspunkt für sein Verdienst.
Als den dritten können wir ansehn den völligen Umsturz der Scholastischen Philosophie, mit welchem Namen ich hier im Allgemeinen die ganze vom Kirchenvater Augustinus anfangende und dicht vor Kant schließende Periode bezeichnen möchte. Denn der Hauptcharakter der Scholastik ist doch wohl der von Tennemann sehr richtig angegebene, die Vormundschaft der herrschenden Landesreligion über die Philosophie, welcher eigentlich nichts übrig blieb, als die ihr von jener vorgeschriebenen Hauptdogmen zu beweisen und auszuschmücken: die eigentlichen Scholastiker, bis Suarez, gestehn dies unverhohlen: die folgenden Philosophen thun es mehr unbewußt, oder doch nicht eingeständlich. Man läßt die Scholastische Philosophie nur bis etwan hundert Jahre vor Cartesius gehn und dann mit diesem eine ganz neue Epoche des freien, von aller positiven Glaubenslehre unabhängigen Forschens anfangen; allein ein solches ist in der That dem Cartesius und seinen Nachfolgern103 nicht beizulegen, sondern nur ein Schein davon und allenfalls ein Streben danach. Cartesius war ein höchst ausgezeichneter Geist, und hat, wenn man seine Zeit berücksichtigt, sehr viel geleistet. Setzt man aber diese Rücksicht bei Seite, und mißt ihn nach der ihm nachgerühmten Befreiung des Denkens von allen Fesseln und Anhebung einer neuen Periode des unbefangenen eigenen Forschens; so muß man finden, daß er mit seiner des rechten Ernstes noch entbehrenden und daher so schnell und so schlecht sich wiedergebenden Skepsis, zwar die Miene macht, als ob er alle Fesseln früh eingeimpfter, der Zelt und der Nation angehörender Meinungen, mit einem Male abwerfen wollte, es aber bloß zum Schein auf einen Augenblick thut, um sie sogleich wieder aufzunehmen und desto fester zu halten; und eben so alle seine Nachfolger bis auf Kant. Sehr anwendbar auf einen freien Selbstdenker dieses Schlages ist daher Goethes Vers:
»Er scheint mir, mit Verlaub von Ewr Gnaden,
Wie eine der langbeinigen Cikaden,
Die immer fliegt und fliegend springt –
Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt.« –
Kant hatte Gründe, die Miene zu machen, als ob er es auch nur so meinte. Aber aus dem vorgeblichen Sprunge, der zugestanden war, weil man schon wußte, daß er ins Gras zurückführt, ward diesmal ein Flug, und jetzt haben, die unten stehn, nur das Nachsehn und können nicht mehr ihn wieder einfangen.
Kant also