Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz

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Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band) - Joachim  Ringelnatz

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ein lautes Summen und Brummen, das von zahllosen Insekten herrührte, aber so stark war, daß es an das Brausen eines Wehrs erinnerte. In einen Fluß, oder in einen schmalen, in das Land hineingestreckten Meeresarm einbiegend, erblickten wir am Ufer zwei Negerweiber, von denen die eine der andern die Haare schor, häßliche alte Hexen. Gleich darauf aber wurden wir durch einen reizvollen Anblick entschädigt. In einem Kanu, das in der Nähe eines Blockhäuschens am Strande befestigt war, kauerte eine wunderschöne, junge Kreolin, nur mit einem dünnen Hemd bekleidet. Von herrlichem Körperbau, mit stahlblauen, glänzenden Haaren, bot sie inmitten der wilden Waldlandschaft ein entzückendes Bild.

      In dem engen Gewässer mußten wir dicht an dem Kanu vorüber, und unwillkürlich ließen wir dabei, wie auf Kommando, alle die Ruder sinken. Das junge, braune Mädchen blieb unbeweglich in ihrer graziösen Stellung an der Spitze des leichten Fahrzeuges. Ich sehe noch heute, wie ihre melancholischen Augen uns folgten. Sicherlich hatte sie auf uns alle den gleichen Reiz ausgeübt, denn wir fanden ziemlich spät erst Worte der Begrüßung. Sie aber erwiderte in freundlichem Ton irgend etwas, und als ich mich über die kleinen Krabben wunderte, die zu Hunderten auf einem dem Kanu zum Schutz dienenden Balken umherkrabbelten, reichte mir das schöne Kreolenmädchen ein eigentümlich geformtes Messer herüber, mit dem ich die Tiere fangen sollte.

      Wir mußten weiterfahren. Am Ufer bemerkten wir einen Haufen großer Muscheln. Das war etwas für mich! Als ich aber ins Wasser sprang und mir etwas von dem Schatz holen wollte, fand ich, daß die Muscheln alle angeschlagen waren. Später schenkte uns ein Neger, den wir trafen, zwei gut erhaltene Exemplare und warf uns auch einige Mangos ins Boot, die wir uns vortrefflich schmecken ließen.

      Die Wasserstraße verengte sich immer mehr, so daß wir öfters mit den Riemen im dichten Buschwerk zu beiden Seiten hängenblieben. Einen Balken, der uns den Weg versperrte, mußten wir mühevoll beseitigen. Wir drangen aber weiter vorwärts. Einmal stiegen wir auch an Land, ohne uns allerdings weit vom Boot zu entfernen.

      Unzählige Moskitos umschwirrten und zerstachen uns. Zum erstenmal sah ich hier Palmen mit Kokusnüssen, Gummibäume und viele andere mir zum Teil ganz unbekannte Gewächse in freier Natur. Ich dachte wieder an Flucht, aber der Steuermann mochte das wohl ahnen, denn er behielt mich unausgesetzt im Auge.

      Als wir eben vom Lande wieder abgestoßen waren, sah ich ein großes Tier vor mir in die Höhe schießen. »Ein Krokodil!« »Ein Alligator!« riefen wir wie aus einem Munde. Das Tier schoß mit fabelhafter Geschwindigkeit an der Oberfläche des Wassers dahin, hinter sich eine breite Furche aufgewühlten Schlammes nachziehend. Wir verfolgten es, aus Leibeskräften rudernd, und der Steuermann stand mit dem spitzen Bootsanker am Bug des Bootes bereit, um das Tier zu harpunieren.

      Aber schon war es in einem dichten Gestrüpp verschwunden.

      Wir bogen in einen kleinen Nebenfluß ein, an dessen Ufern sich eine seltsame Baumart mit grünem Holz und grellroten Blättern zeigte. Drei etwa 15jährige schwarze Bengels zogen ihre Hemden aus, sprangen ins Wasser und umschwammen lachend unser Boot. Auch schwarze Mädchen und Frauen zeigten sich, einige davon grundhäßlich, andere wieder in moderner, aufgedonnerter Kleidung, höchst komisch. Nach unserer Rückkehr barg ich vor allen Dingen sorgfältig meine Jagdtrophäen: Ein Strauß exotischer Zweige, ein Haufen Muscheln und ein Ziegenschädel.

      Wegen meiner Sammelwut wurde ich oft von den Matrosen ausgelacht, aber ich kümmerte mich nicht darum, und wenn ich sogar nicht Zeit fand, meine Kleider und sonstigen Habseligkeiten in Ordnung zu halten, – für das, was ich meinen Angehörigen und besonders meinem Bruder Wolf gang mitzubringen gedachte, hatte ich immer Zeit und Raum übrig. Allerdings begnügten sich meine Kameraden nicht damit, mich für verrückt zu erklären, sondern sie verdarben mir auch in ihrem plumpen Unverstand oder aus Schabernack meine Schätze. So hatte mir Jahn verschiedene Male sehr interessante Fische, die ich mit Tabak ausgestopft und dann zum Trocknen auf die Kombüse gelegt, über Bord geworfen mit der hartnäckigen Erklärung, daß solches »verottetes Viehzeug« doch nur stinken würde.

      Ich hatte das Unglück, vom Alten überrascht zu werden, wie ich auf der Wendeltreppe einen heimlichen, tiefen Zug aus der Kognakflasche tat. Er machte jedoch zu meiner Verwunderung gar kein Wesen aus dieser Sache.

      Es folgten jetzt immer schwerere Arbeitstage, die uns viel Schweiß kosteten. In der Beköstigung war keine große Änderung eingetreten, denn das Frischbrot, das wir am Hafen zweimal wöchentlich erhielten, war ein ganz leichtes, trockenes und kraftloses Gebäck, und die täglichen Fleischrationen waren sehr knapp bemessen.

      Den einzigen Genuß boten die Früchte, die uns die Schwarzen mitbrachten. Für eine Ananas zahlten wir 5 Cents, also 20 Pfennig, und dabei verdienten die Nigger noch viel.

      Die Bezeichnung »Nigger« brachte mir übrigens beinahe eine Tracht Prügel ein. Als ich eines Tages einen baumlangen Eingeborenen ahnungslos mit den Worten »Du Nigger!« anrief, drang er mit einem Stück Eisen wütend auf mich ein und schrie dabei, er wäre kein Nigger, und er sei ebenso klug wie wir. Hermann, unser Sprachgenie, sprang vermittelnd zwischen uns und beschwichtigte den Schwarzen.

      Zwei Gentlemen, ein Weißer und ein Gelber, besuchten den Alten. Sie benahmen sich äußerst ungeniert, betranken sich an Kapitän Pommers Cognac vieux und kauften zuletzt dem Steuermann einen Revolver ab. Einmal ließ sich der Kapitän auch von Hermann und mir an Land rudern. Der Leichtmatrose war klein und schwächlich und ich im Rudern noch nicht sehr geübt. Wir strengten uns aber beide äußerst an und pullten den weiten Weg bis zur Anlegestelle in Belize mit solchem Eifer, daß ich mehrmals nichts sehen konnte, weil mir der Schweiß von der Stirn in die Augen lief. »Pullt, pullt, ihr Bengels!« feuerte uns der Kapitän an. Als wir dann gelandet waren, gab er uns einen Schilling, ermahnte uns, gut aufs Boot aufzupassen, bis er wiederkäme und entfernte sich darauf schwankenden Schrittes in der Richtung nach dem Gouvernementsgebäude. Nun stand ich allein mit Hermann in Belize auf festem Boden. Wir hatten bei einem freien Platz angelegt, der von schmucken sauberen Holzbauten mit grünen Fensterläden umgeben war. Nur ein steinernes Gebäude war sichtbar, und die auf dem Dach wehende englische Flagge kennzeichnete es als Gouvernementsgebäude. Es war auch Polizeistation. Auf dem Platz selbst stand eine ungeheure Wassertonne. Ein Schwarzer verkaufte dort Trinkwasser. In Belize war man auf das Trinkwasser angewiesen, das man während der Regenzeit in umfangreichen Fässern auffing oder von Wellblechdächern in alle möglichen Gefäße leitete.

      Es herrschte ein reges Treiben auf dem Platz. Schwarze, gelbe und auch weiße Menschen in bunten Kleidern, mit breiten Strohhüten spazierten umher oder gingen ihren Geschäften nach. Anscheinend war gerade Markttag.

      In einem geräumigen Schuppen wurden Fleisch und Obstwaren feilgeboten. Wir erstanden für einen Schilling: zwei Ananas, ein Bund Bananen und verschiedene andere Früchte, die wir gleich probierten. Den Rest bargen wir im Boot, legten die Ruder und Ruderdollen unter die Sitze, überzeugten uns noch einmal, daß das Fahrzeug gut festgebunden war und bummelten nun durch die Straßen, um mit neugierigen Augen das Leben und Treiben dort zu beobachten. Zunächst begegneten wir einem langen schwarzen Soldaten mit geschultertem Gewehr, der vier gelbe Gefangene begleitete, die in Blecheimern Trinkwasser schleppten. Sie lächelten uns gemütlich zu. Dann lockten uns eine Menschenmenge und der wiederholte Ruf »Going at«, »Going at« zu einer öffentlichen Auktion. Es wurde gerade ein Fahrrad für 40 Dollar ausgeboten. Unter den Negern, die den Tisch umstanden und durch laute Zwischenrufe sehr störten, befanden sich mehrere Schauerleute, die tags zuvor beim Laden auf der »Elli« beschäftigt waren. Einer derselben stellte uns einen alten Herrn als Landsmann vor. »Sprichst du Deitsch?« wandte er sich an Hermann. »Jo, ik bin Hamburger Jung.«

      Der Herr war aus Ostpreußen, und zwar aus Memel, lebte schon 25 Jahre lang in Belize und versprach, uns gelegentlich an Bord zu besuchen. Wir hatten uns inzwischen unserer Jacken entledigt, denn die Hitzte an Land war noch weit drückender als draußen auf der Reede. So schlenderten wir wieder unserem Anlegeplatz zu. Der Wassermann auf dem Marktplatze

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