Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz

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Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band) - Joachim  Ringelnatz

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      Jetzt wäre vielleicht eine gute Gelegenheit zur Flucht gewesen. Hermann und ich besprachen das auch, aber wir kamen zu dem Resultat, daß wir unmöglich unsere ganzen Habseligkeiten so ohne weiteres im Stich lassen konnten. Mir persönlich lag eigentlich nur daran, mein angefangenes Tagebuch, meine Photographien und einige sonstige Andenken an die Heimat mitzunehmen. Also ruderten wir wieder den Kapitän, der sehr spät und sehr betrunken vom Konsul kam, an Bord zurück.

      Es wurde ziemlich laut und allgemein an Bord rebelliert. Jahn schimpfte auf den Koch, die übrigen Matrosen auf den Steuermann und den Kapitän sowie auf das ungenießbare Fressen, und der Bootsmann verrichtete seine Arbeiten mit sichtlichem Widerwillen, indem er dabei von Sklavenketten und Hungerschiff sprach. Die Verhältnisse spitzten sich zu einer Krise zu, und diese kam einige Tage später.

      Willy war, in einer freihängenden Stellage sitzend, damit beschäftigt, den oberen Mast braun zu streichen und sang dabei aus voller Lunge das schöne Lied:

      Bei einem Städtchen,

      In einem tiefen Tale,

      Da saß ein Mädchen

      An einem Wasserfalle.

      Sie war so schön, so schön wie Milch und Blut,

      Von Herzen war sie einem Räuber gut.

      Du armes Mädchen,

      Bedaure meine Seele,

      Denn ich muß fort

      Aus dieser Räuberhöhle,

      Wo wir dereinst so glücklich konnten sein,

      Jedoch ich muß von dir geschieden sein.

      Nimm diesen Ring,

      Und sollt' dich jemand fragen,

      So sag': Ein Räuber

      Hat ihn einst getragen,

      Der dich geliebt bei Tag wie bei der Nacht,

      Und der so viele Menschen umgebracht.

      Mich ergriffen solche Lieder. Kapitän Pommer, der an Deck stand, dachte jedoch anders, denn er rief Willy zu: Er solle bei der Arbeit nicht singen. Willy antwortete mit einem spöttischen »Ach wat!«, worauf der Alte fürchterlich zu schimpfen anfing. Aufgebracht, wie er war, wandte er sich an den über Deck gehenden Bootsmann: »Und was ist eigentlich mit Ihnen, Bootsmann?« sagte er, indem er den Kopf schief hielt und ein Auge zukniff. »Wollen Sie nicht mehr? Sie sprechen von Sklavenketten und Hungerschiff; wenn es Ihnen nicht mehr paßt, können Sie gehen.«

      »Ja, das hat keinen Zweck, wenn ich hierbleibe. Das gefällt mir hier nicht!« entgegnete der Bootsmann mürrisch und machte sich sofort daran, seine Sachen zu packen.

      Gott sei Dank! Der sollte mich nicht mehr schinden!

      Die Entlassung des Bootsmannes rief vorn im Logis lebhafte Debatten, viel Erbitterung und den allgemeinen Wunsch hervor, ihm nachfolgen zu können. Alle waren das Hungerleben auf diesem Schiff satt, aber wir wußten auch, daß der Alte so leicht keinen abmustern würde.

      Dem Steuermann entging diese Stimmung unter den Matrosen nicht. Er rief sie auf das Hinterdeck zu sammen und erklärte: »Ihr könnt alle frei sein, nur müßt ihr einen Ersatzmann stellen.«

      Dieser Schuft! dachten wir; er weiß genau, daß wir hier keinen Ersatzmann, keinen Deutschen finden.

      Ich beschloß, den Kapitän zu bitten, mich abzumustern und Napoleon als Kajütsjungen anzustellen. Ich wartete auf eine Gelegenheit, ihn allein unter vier Augen zu sprechen. Ein Postdampfer traf ein und brachte mir wieder Nachrichten von zu Hause. Mein Gott, mit welcher Freude und Aufmerksamkeit las ich diese Briefe. Überraschende Nachrichten. Mein Bruder hatte sich verlobt. Außerdem hatte mir Gertrud, das stille Glück meiner zwei Sextanerjahre, einen Kartengruß gesandt.

      Wenn ich auch nicht Landurlaub erhielt, so bekam ich doch etwas von der westindischen Natur zu sehen. Ich angelte Kattfische, die wir dann in Margarine brieten und verzehrten. Sie schmeckten allerdings nicht besonders gut. Wir hörten, daß die Neger diese Fische verschmähten, da sie von allem möglichen Unrat lebten. Die Kattfische geben knurrende Laute von sich und haben einen langen giftigen Stachel auf dem Rücken. Als Gustav zum erstenmal einen solchen Fisch an der Angel aus dem Wasser zog, wollte ich das zappelnde Tier packen und stach mich dabei tüchtig in die Hand. Von Haifischen, zumal den gefährlichen Grundhaien, wimmelten die dortigen Ge wässer. Wir hörten von manchem Unglück, das sie angerichtet hatten. Bisweilen kreiste auch eine dieser schlauen Bestien um das Schiff mit hinterlistigen, lauernden Blicken. Ferner besuchten uns zuweilen große, schöne Schmetterlinge, die den weiten Weg vom Land über das Wasser riskiert hatten. Da sie bei uns aber statt Honig nur Teer fanden, hielten sie sich gewöhnlich nicht lange auf. Es gelang uns nicht ein einziges Mal, einen zu fangen.

      Ich paßte endlich einen Moment ab, den Alten zu sprechen.

      »Kapitän, ich bitte um Entschuldigung. Könnte nicht Napoleon meine Stelle ersetzen?«

      »Nein, der kann nichts«, antwortete Kapitän Pommer ruhig und kniff ein Auge zu.

      »Ich auch nicht«, fuhr ich nun kühn heraus. Der Alte rief ärgerlich nach dem Koch. »Koch, von heute ab können Sie Steward mit spielen!«

      »Ja.«

      Bei Tisch, als ich das Essen auftrug, begann der Alte wieder gemütlich:

      »Warum willst du eigentlich an Deck?«

      »Ich will nicht an Deck.«

      »Was willst du denn?« Der Alte sah von seinem Teller auf. Ich schwieg.

      »Na, was willst du denn?«

      »Auf ein anderes Schiff!« platzte ich heraus, und mein Herz schlug in banger Erwartung, welche Antwort jetzt erfolgen würde.

      »Ach abmustern«, sagte der Kapitän gedehnt, und seine Stimme nahm einen ironischen, schadenfrohen Ton an, »nein, das wollen wir nicht einführen.« Er wurde plötzlich sehr ärgerlich. Ohne mich weiter eines Blickes zu würdigen, stopfte er eine Pfeife und schimpfte dabei über eine Klasse Menschen, die er sich wohl aus Leuten meines Schlages zusammengesetzt dachte. »Ihr Bengels kriegt zuviel zu fressen!« wiederholte er mehrmals. Ein paarmal schien es auch, als wolle er einwilligen, aber dann besann er sich, vom Steuermann beeinflußt, wieder anders. Er drohte mir auch, er würde an meinen Vater schreiben, ich wäre zu nichts zu gebrauchen, und aus mir würde nie etwas werden. Dann entließ er mich mit der grimmigen Bemerkung, daß er mir jetzt schon Arbeit verschaffen werde.

      Der Steuermann befahl mir noch am selben Morgen, meinen Posten mit Napoleon zu wechseln. Ich mußte meine Sachen ins Logis tragen, wo ich fortan die noch rohere Kost der Matrosen teilen und diesen das Mädchen für alles sein sollte.

      »Jetzt bist du vom Regen in die Traufe gekommen!« höhnten die Matrosen, welche glaubten, daß ich auf meinen eigenen Wunsch Napoleons Posten bekommen hätte.

      Nun begann erst meine eigentliche Leidenszeit. War die Stellung eines Decksjungen schon an und für sich mit sehr demütigenden Arbeiten verbunden, so suchte man mir das Leben in jeder Beziehung noch schwerer zu machen. Besonders der Steuermann schikanierte und quälte mich in niederträchtigster

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