Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
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Ich bekam morgens einen herrlichen Kaffee mit Milch und Honig gemischt und zu Mittag einen Teller mit Reis, Gemüse und Fleisch. Dann wurde ich von der Mutter des alten Klark – so hieß mein Wohltäter – gerufen, um ein wenig mit ihr zu plaudern. Die alte, ziemlich beleibte Dame saß auf einem Schaukelstuhl in einem reinlichen Zimmer, dessen Jalousien heruntergelassen waren. Mit einer feinen, weichen Stimme, die im Kontrast zu der Erscheinung stand, forderte sie mich auf, neben ihr Platz zu nehmen. Ich bemerkte dabei, daß sie blind war.
Sie befragte mich nach Woher und Wohin, und ich erzählte ihr von meiner Heimat, von meinen Eltern, meinem Schiff, meiner Flucht, und dann sagte ich ihr, wie es mir in ihrem Hause so gut gefiele.
Dabei hatte ich Gelegenheit, das Zimmer und seine Einrichtung zu mustern. Das Haus war auf Pfählen erbaut. Eine hölzerne Treppe führte über eine Veranda in zwei hohe Räume, mit denen sich die ganze Familie begnügen mußte. Wir saßen im vordersten Zimmer, dessen Fußboden weiß gescheuert war. Die gestrichenen Wände und die grünen Jalousien vor den Fenstern machten den Eindruck wohltuender Sauberkeit. Sonst befanden sich nur zwei mit Moskitonetzen verhängte Betten, ein Diwan, ein Tisch und an den Wänden mehrere Druckbilder in dem Zimmer.
Auf dem Hof stand eine große Wassertonne, wohin das Regenwasser vom Dach geleitet wurde.
Den zoologischen Bestand dieser idyllischen Farm bildeten ein Pferd, eine Kuh und mehrere Hühner.
Im übrigen standen im Garten und vor dem Haus noch Kokospalmen und andere, mir aber unbekannte Bäume.
Ich beobachtete zwei schöne Kreolinnen, die etwa im Alter von 15–20 Jahren sein mochten. Sie trugen weiße, weiche Kleider, die ihnen reizend standen. Fleiß schien allerdings nicht ihre Haupttugend zu sein, denn ich sah sie nie anders als sich kämmend oder lesend. Klarks freundliches Anerbieten, mit bei ihm oben zu wohnen, schlug ich aus. Meine romantische Holzbude gefiel mir ausgezeichnet.
Der ältere der beiden Jungen hatte mich vor Dieben und anderem Gesindel gewarnt, das sich nächtlicherweise umhertreiben sollte. Er sagte mir, wenn ich nachts jemand kommen hörte, sollte ich dreimal fragen: »What do you want?« Wenn dann keine Antwort erfolge, könne ich ohne weiteres jeden, den ich erwische, totschießen oder totstechen. Er stellte mir auch für alle Fälle eine Blendlaterne zur Verfügung.
In der ersten Nacht, nachdem ich diese Instruktion erhalten hatte, erwachte ich von einem Geräusch an meiner Tür. Ich richtete mich in meiner Hängematte auf. Meine Lampe hatte ich brennen lassen. Ganz deutlich hörte ich etwas an meiner Tür poltern. »What do you want?« rief ich, der erhaltenen Anweisung eingedenk, während ich mein langes Messer aus dem Kokosballen zog. – Keine Antwort, aber das Geräusch dauerte fort. »What do you want?« fragte ich zum zweiten und dann zum dritten Male, aber niemand antwortete, und das unheimliche Rumoren wurde nicht unterbrochen. Es klang, als ob jemand mit einem Instrument sich an meiner Tür zu schaffen machte. Mein Messer bereit haltend, wartete ich nun ab, was weiter geschehen würde. Ein Mahagonistock, den mir ein Negerjunge geschenkt hatte und den ich gegen die Tür gelehnt hatte, fiel plötzlich polternd zu Boden, und dann zeigte sich die Ursache der nächtlichen Störung.
In der Tür befand sich unten über der Schwelle ein etwa eigroßes Loch. Durch diese Öffnung arbeitete sich auf fast unerklärliche, aber höchst geräuschvolle Weise ein riesiger Taschenkrebs durch, der mit ausgestreckten Beinen von tellergroßem Umfang war. Das Tier krabbelte langsam an den Wänden entlang einmal im Kreis durch mein Zimmer und verschwand dann wieder durch dasselbe Loch. Ich aber streckte mich beruhigt wieder in meinem Schaukelbette aus.
Ich hatte dem alten Klark mitgeteilt, daß ich gern irgendeine Stellung annehmen würde, einesteils, weil ich nicht ganz müßig bleiben, und andernteils, weil ich meinem gütigen Wirt doch eine Entschädigung zahlen wollte. Die Frau hatte mir gesagt, Herr Klark würde sich nach einer Beschäftigung für mich umsehen, und wenn ich dann wolle, könne ich ihnen einen Penny von meinem Verdienst abgeben. Im übrigen, hatte sie hinzugefügt, solle ich sie wie eine Mutter betrachten.
Eines Morgens nach dem Tee forderte mich der Kreole auf, mit ihm zu gehen. Sehr erfreut machte ich mich auf den Weg, erschrak aber sehr, als mein Führer seine Schritte nach dem Laden von Winzerling lenkte. Er dachte in seiner Gutmütigkeit natürlich, daß mich mein Landsmann am ehesten annehmen würde. Ich schämte mich, ihm zu sagen, wie widerlich mir dieser deutsche Jude erschien. Klark stellte mich also Herrn Winzerling vor und fragte, ob er mich nicht anstellen könne. Der Jude zuckte mit scheinheiligem Bedauern die Achseln und sagte: »Ich kann Ihnen keine Arbeit geben. Meine Leute wissen selbst nicht, was sie tun sollen. Es ist schwer, jetzt in Belize Arbeit zu finden.«
Wir versuchten nun in verschiedenen anderen, englischen Läden unser Heil, aber überall wies man mich ab, hauptsächlich deswegen, weil ich die englische Sprache und die englischen Gewichtsmaße nicht beherrschte. Zuletzt traten wir in ein großes Warenhaus ein, an dem der Name »James Brody« stand.
Im Kontor standen eine Menge Schreiber an hohen Pulten. Während Mr. Klark mit dem ihm befreundeten Brody unterhandelte, hatte ich Muße, das Treiben in dem Geschäft zu betrachten.
Ein alter Neger forderte mit weinerlicher Stimme Geld für irgend etwas. Da er sich nicht abweisen ließ, drückte ihm einer der Herren, anscheinend ein höherer Angestellter, eine Papierrolle in die Hand. Der Neger öffnete das Papier und fand unter dem Gelächter der umsitzenden Kommis zwei Zwirnrollen darin.
Das machte eigentlich keinen günstigen Eindruck auf mich, ich war aber doch froh, als man mir mitteilte, daß ich hierbleiben könne. Man wies mich gleich an, mit Mr. Steen einen zweiräderigen Wagen zu besteigen, der von einem Maulesel gezogen und von John, einem jungen Negerburschen, gelenkt wurde. Wir fuhren durch die Stadt nach einem Schuppen, wo wir mit gelben Arbeitern zusammen schwere Kisten aufluden, die wir nach einem anderen Schuppen fuhren.
Bei der schweren Arbeit in dem ungewohnten Klima rann mir der Schweiß wie Wasser von der Stirn, aber ich gab mir alle Mühe, meine Erschöpfung nicht merken zu lassen. Die gelben Arbeiter amüsierten sich dabei über mein gebrochenes Englisch.
Als wir inzwischen einmal nach dem Warenhaus zurückkehrten, erblickte ich dort jenen Engländer, der Kapitän Pommer einmal auf der »Elli« besucht hatte. Er kannte mich aber anscheinend nicht mehr.
Gegen Mittag, als die Glut ihren Höhepunkt erreichte, überfiel mich während der Arbeit eine Ohnmacht, doch kam ich bald wieder zu mir. Neben dem Schuppen befand sich eine ganz moderne Eismaschine. Von dort brachte man mir etwas künstlichen Schnee und Eiswasser. Das war eine Erfrischung in der Tropenhitze.
Nicht minder gut schmeckte mir das Frühstück, das ich mit John gemeinsam einnahm. Es bestand aus einem Teller turtle mit Reis. Nachdem wir dann noch in einem Laden bei einem Glas Bier politisiert hatten – John war als ehemaliger englischer Soldat für, ich gegen England –, gingen wir wieder an unsere Arbeit.
Es galt Kisten in verschiedene Häuser zu fahren. Im Galopp rasselte unser ungefederter Karren durch die Straßen.
Um ein Uhr erhielt ich von Mr. Brody 25 Cents.
Am Nachmittag sah ich, wie zwei Polizisten einen Negerjungen abführten. John erklärte mir, daß der kleine Schwarze ein Mörder sei, nach dem man schon lange gefahndet habe. Er solle am nächsten Tage gehenkt werden. John fügte hinzu, daß dergleichen Fälle in Belize nichts Außergewöhnliches seien. – Es gab nun nicht mehr viel zu tun. Um nicht ganz unbeschäftigt dazustehen, half ich John beim Ausfegen des Pferdestalles, hob einige umherliegende Papiere auf und