Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band) - Joachim Ringelnatz страница 28
In diesem Moment entstand ein großer Lärm in der Hütte, Flüche und Verwünschungen drangen an mein Ohr. Die Tür wurde aufgerissen, und zwei Neger stürzten mit langen Messern heraus. Ich floh in wilder Hast durch den Garten, mein Gepäck zurücklassend. Der Zaun war sehr hoch, und ich war nie ein besonderer Turner gewesen, aber in diesem Augenblick setzte ich mit einem geradezu glänzenden Sprunge über das Hindernis.
Draußen blieb ich stehen, suchte die erregten Neger zu beruhigen und bat sie, mir meinen Sack herauszugeben. Darauf reichte mir einer den Sack herüber und zündete dann mit einiger Schwierigkeit ein Streichholz an, mit dem er mich neugierig beleuchtete. Er mochte wohl etwas wie Mitleid empfinden, als er mich so in meinen nassen Kleidern dastehen sah; denn er machte mir mit etwas freundlicherer Stimme verständlich, daß er mich keinesfalls beherbergen könne. Als ich ihm zur Versöhnung eine Handvoll deutscher und englischer Kupfermünzen aus meinem Bananensack anbot, schob er meine Hand mit gutmütigem Lächeln zurück. Er riet mir, nach Belize zurückzugehen und beruhigte mich betreffs meiner Sorge vor wilden Tieren. So blieb mir denn nichts anderes übrig, als den weiten Weg zurückzuwandern. Der Regen war vorüber, aber seine Wasser hatten sich in den zahlreichen Vertiefungen des Weges zu breiten Bächen angesammelt, die ich nun durchwaten mußte. Ich konnte nicht nässer werden, als ich schon war, und da ich fror und todmüde war, schritt ich unbekümmert um alles in großen Schritten wieder gen Belize. Einmal fiel ich in einen Graben, doch ohne Schaden zu nehmen. Als ich ziemlich erschöpft die ersten Häuser wieder erreichte, begegnete mir ein kleines Erlebnis, das sich mir wegen seines mysteriösen Charakters fest einprägte. Ein Lichtschimmer, der plötzlich vor mir auftauchte, und ein ganz eigentümlicher Chorgesang erweckten in mir die frohe Hoffnung, ein Wirtshaus anzutreffen, in dem ich mich ausruhen und meinen brennenden Durst löschen könnte. Näher kommend gewahrte ich einen Garten, und in demselben drei Tische. An dem einen saßen lauter Knaben und Mädchen, an dem anderen erwachsene Männer und Weiber, und diese sangen mit lauter Stimme besagte seltsame, monotone Melodie. Am dritten Tisch zwischen beiden unterhielten sich ein Schwarzer und ein Kreole in leisem Flüsterton. Ich wandte mich an den Gelben und fragte, meine Mütze ziehend, ob ich ein Wirtshaus vor mir habe. Der Kreole entgegnete etwas, von dem ich nur die Worte »Diehouse« und »Ninetyne« verstand, und er machte dabei die Pantomime des Halsabschneidern. Ein Sterbehaus! Aber was hatten das »neunundneunzig« und die begleitende, grausige Bewegung zu bedeuten? Ich blickte fragend im Kreise umher. Lauter tiefernste Gesichter sahen mich mit großen Augen an. Die flackernden Fackeln warfen einen unruhigen Schein auf die singenden Gruppen. Es lag etwas Unheimliches in der ganzen Stimmung. Da ich aber vor Ermattung gegen alles ziemlich abgestumpft war, bat ich um ein Glas Wasser. Der freundliche Kreole brachte mir das, und nachdem ich es mit einem Zug gierig geleert hatte, dankte ich und zog weiter. Der Gelbe drückte mir zum Abschied warm die Hand.
Die Straßen von Belize waren wie ausgestorben. Alles schlief bereits, und nirgends fand ich ein Wirtshaus oder sonst eine Unterkunft, obgleich ich wohl zehnmal alle Winkel durchlief.
Ein Polizist, dem ich schon mehrmals begegnet war und dem ich erzählte, ich hätte mein Schiff verpaßt, das am vergangenen Tage ausgelaufen sei, nahm sich endlich meiner an und brachte mich nach der Wache. Dort standen in einem geräumigen Zimmer etwa 15 Feldbetten, und mein Führer wies mir eins derselben für die Nacht an. Mehrere andere Polizisten suchten mit mir ihren Scherz zu treiben, aber ich war so todmüde, daß ich, sobald ich mich auf das köstliche Lager streckte, sofort einschlief.
Noch im Halbschlummer kam mir der Gedanke, daß mich Kapitän Pommer vielleicht schon jetzt, spätestens aber morgen früh, suchen lassen würde, und ich glaube, ich lächelte noch, als mir einfiel, daß er mich hier im Schutze der Polizei am allerwenigsten vermuten würde.
Es war ein herrlicher, beneidenswert tiefer Schlaf, der mich bis zum Morgen umfangen hielt. Als ich er wachte, regnete es draußen.
Ich erkundigte mich nach der nächsten Stadt und verstand, daß sie Collasal hieße. Der nächste Dampfer dorthin sollte in zwei Tagen fahren. Bis dahin mußte ich also Unterkunft suchen, und ich schlenderte nun durch die Straßen und suchte weiter.
In verschiedenen Läden, wo ich anfragte, wies man mich achselzuckend und mit mißtrauischen Blicken ab.
Auf einem Schild las ich den Namen Winzerling. Das muß ein Deutscher sein, dachte ich und trat in den Laden. Der Inhaber, ein deutscher Jude, fragte, ob ich von einem Schiff ausgerissen sei. »Nein«, log ich, »ich bin auf dem russischen Segelschiff abgemustert.« Er konnte mich aber nicht gebrauchen, und ich sah mich weiter in der Stadt um. Überall erhielt ich eine abschlägige Antwort, und auch ein alter Fischer, der mit einem kleinen Segelboot an der Mole lag, wollte mich nicht in seine Dienste nehmen.
Natürlich sah ich mich auf meinem Gang sehr vor, daß ich niemandem von der Besatzung der »Elli« in die Hände lief, und lebte immer in der Angst, daß man mich festnehmen könnte. Einmal wurde ich von einem Manne mit forschenden Fragen angesprochen. Ich tat, als ob ich ihn nicht verstände, und drückte mich schleunigst in die Menschenmenge, die an diesem Markttage gerade die Straßen füllte.
Endlich brachten mich zwei kleine Jungen zu ihrem Vater, einem alten Kreolen, der mir für einen Dollar für zwei Tage Unterkunft in seinem Hause versprach.
In dem freundlichen, hölzernen Gebäude, das er bewohnte, befand sich unten zu ebener Erde ein kleines Zimmer, das ihm wohl als Rumpelkammer diente; denn es waren dort alle möglichen Geräte – unter anderem ein Ballen Kokosmatten – aufgestapelt. Dieser Raum wurde mir angewiesen. Der älteste Junge brachte eine Hängematte. Als er sie aufhängen wollte, schlüpfte ein großer Skorpion heraus, den der Junge mit einem Stecken totschlug.
8. Kapitel: Wieder eingefangen
Ich suchte mir mein neues Heim recht behaglich einzurichten. Meine wenigen Habseligkeiten hatte ich ausgepackt und die nassen Kleider zum Trocknen auf eine Leine gehängt. Dann unterhielt ich mich mit den beiden Jungen meines Wirtes und einigen anderen schwarzen und gelben Bengels, die sich bei mir eingestellt hatten. Sie staunten, als sie hörten, daß eine Ananas, die hier auf dem Markt für fünf Cents verkauft wurde, in Deutschland ein bis zwei Dollar kostete.
Ich forderte die Kinder auf, mir Schlangen, Muscheln und so weiter zu bringen, und ließ mir für mein letztes Geld Brot und Käse, Tinte, Feder, Notizbuch und einen breitkrempigen Strohhut für zwanzig Cents holen, so wie man ihn allgemein dort trug.
Die Jungen waren freundlich zu mir und brachten mir Ananas in solcher Fülle, daß ich mir gar nicht mehr die Mühe nahm, sie abzuschälen, sondern einfach einen viereckigen Würfel herausschnitt und das übrige wegwarf.
In meinem Salon stand ein alter Schreibtisch. An diesem saß ich nun so glücklich wie nie zuvor in mei nem Leben und trug in mein Notizbuch die Begebenheiten der letzten Tage ein.
Ich war mir klar darüber, daß ich, wenn mich die Polizei erwischte, auf die »Elli« zurückgebracht würde und mich dann ohne Gehalt nach Deutschland zurückarbeiten müßte. Außerdem hatte ich auch Strafe und auf jeden Fall eine noch schlechtere Behandlung als zuvor