Ida Pfeiffer: Ausgewählte Werke. Ida Pfeiffer
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Merkwürdig kam es mir vor, daß die meisten dieser Leute bei mir eine Menge Kenntnisse voraussetzten, die sonst nur den Männern eigen sind; wahrscheinlich glaubten sie, im Auslande seien die Frauen so gelehrt wie die Herren.— Die Priester fragten mich z. B. stets, ob ich lateinisch spräche, und schienen sehr verwundert, diese Kenntniß nicht bei mir zu finden. — Die gemeinen Leute baten mich um Rath für dieß oder jenes Uebel; — ja einmal, als ich auf meinen einsamen Wanderungen um Reikjavik in eine Kothe trat, führte man mir sogar ein Wesen vor, das ich kaum für ein Geschöpf meines Gleichen gehalten hätte; — so war es durch den Ausschlag Lepra entstellt. Nicht nur das Gesicht, sondern auch der ganze Körper war damit behaftet; Letzterer war ganz abgezehrt, und an manchen Stellen mit Beulen bedeckt. — Für einen Arzt wäre dieß sicherlich ein höchst interessantes Exemplar gewesen; jedoch ich wandte mit Entsetzen meinen Blick davon ab.
Doch hinweg von diesem Bilde! — da will ich lieber mit dem Engelsköpfchen kosen, das ich in Kalmanstunga sah. Es war ein Mädchen von 10-12 Jahren, so über alle Beschreibung anmuthig, lieb und schön, daß ich gewünscht hätte eine Malerin zu sein. Das zarte Gesichtchen mit dem schelmischen Grübchen, und den sprechenden Augen, würde ich gar zu gerne, wenigstens auf der Leinwand, mit in mein Vaterland gebracht haben. Vielleicht ist es aber so besser; das Bild könnte durch einen malitiösen Zufall in die Hände eines gar zu gefühlvollen Jünglings gerathen, und der würde dann gleich — wie Don Sylvio de Rosalva, in Wielands ”komischem Romane” — die halbe Welt durchziehen, um dieß bezaubernde Köpfchen auch in Wirklichkeit zu finden. Nach Island aber würde ihn sein Forschungsgeist wahrscheinlich doch nicht führen, indem man da eine solche Erscheinung gar nicht vermuthen könnte, und da wäre denn der arme Unglückliche zu einer ewigen Wanderung verurtheilt.
20. Juni.
Die Reise von Kalmannstunga nach Thingvalla beträgt 11 Meilen und ist gewiß eine der schrecklichsten und beschwerlichsten, die man in Island machen kann. Von einem öden Thale kömmt man in das andere; stets ist man von hohen Bergen und noch höhern Jokuln umschlossen, und wo man den Blick hinwendet, begegnet man einer todten erstarrten Natur. — Aengstliches Unbehagen bemächtiget sich des Wanderers, er durchirrt mit doppelter Hast die ausgebreiteten Wüsteneien, und ersteigt begierig die vor ihm aufgethürmten Berge, — da hofft er Besseres zu sehen; — vergebens; — dieselbe Oede, — dieselben Wüsten, — dieselben Berge.
Auf den Hochebenen waren noch viele Stellen mit Schnee bedeckt; da mußten wir hinüber, obwohl wir oft unter dem Schnee das Rauschen des Wassers hörten. Auch über Eisrinden mußten wir, die zart und dünn über Flüsse gespannt waren, und jene lichtblaue Farbe hatten, die das Zeichen der Gefahr ist.
Unsere armen Pferde sträubten sich wohl oft dagegen; aber das half nichts, sie wurden solange durch Schläge angetrieben, bis sie uns hinüber trugen. Das Packpferd wurde immer voran geprügelt, es mußte die Bahn versuchen, und uns als Führer dienen. Ihm folgte mein Führer, und zum Schluße kam ich. — häufig sanken die armen Thiere bis über die Kniee in den Schnee, ja zweimal sanken sie bis über den Bauch ein. — Es war dieß einer der gefährlichsten Wege, die ich noch je gemacht habe. — Mein steter Gedanke dabei war, was ich wohl thun würde, wenn mein Führer so tief einsinke, daß er sich nicht mehr heraus helfen könnte. — Meine Kräfte würden schwerlich hingereicht haben ihn zu retten, und wohin hätte ich mich wenden sollen, um Hilfe zu suchen? — Rings umher war nichts als Wüste und Schnee. Mir wäre dann vielleicht der Hungertod als Loos zugefallen. Ich wäre herum geirrt, hätte Wohnungen und Menschen gesucht, und mich dabei so in das Innere der Wüsteneien verloren, daß ich wohl nie wieder heraus gefunden hätte. —
Wenn ich so ein Schneefeld schon von weitem entdeckte, was leider nur zu oft geschah, ward mir gar wunderlich zu Muthe; nur der kann meine Angst ermessen, der sich je selbst in einer ähnlichen Lage befand. —
Wäre ich in einer größern Gesellschaft gewesen, würde ich diese Furcht nicht gekannt haben; da kann man sich doch gegenseitig helfen, und durch dieß Bewußtsein erscheint die Gefahr viel geringer.
Dieser Weg wird aber auch in der Zeit, wo der Schnee schon keine sichere Decke mehr bildet, nur sehr wenig benützt. Wir sahen nirgends eine Spur von Fußtritten, weder von Menschen noch von Thieren; wir waren die einzigen lebenden Wesen, die diese wahrhaft gräuliche Gegend durchzogen. Freilich zankte ich meinen Führer tüchtig aus, mich einen solchen Weg geführt zu haben; aber was half es? — Das Umkehren wäre so gefährlich gewesen, als das Weiterziehen. —
Noch beschwerlicher wurde diese Tour durch den Wechsel der Witterung, die mich bisher so ziemlich begünstiget hatte. Schon als wir Kalmannstunga verließen , fing der Himmel an, sich zu trüben, und die Sonne beglückte uns nur auf Augenblicke mit einigen Strahlen. Noch schlechter war es, als wir auf die höhern Bergen gelangten; da zogen uns Wolken und Nebel entgegen, ließen ihre Wuth über uns ergehen, und zogen nur weiter um wieder andern Platz zu machen. Ein eisiger Sturm von den nahen Gletschern war ihr steter Begleiter, der mich dermaßen durchschüttelte, daß ich mich kaum auf dem Pferde erhalten konnte. — Wir waren schon über 13 Stunden geritten. Der Regen strömte unaufhörlich, und Nässe und Kälte hatten uns halb erstarrt gemacht; da beschloß ich an der ersten Kothe zu halten, — die fanden wir endlich eine halbe Meile von Thingvalla. Nun war ich zwar unter einem Dache, aber weiter war auch nichts gewonnen. Die Kothe bestand aus einem einzigen Gemache, und das war von vier breiten Betten beinah ganz eingenommen. Ich zählte sieben Erwachsene und drei Kinder, die Alle in diesen vier Betten untergebracht werden mußten. — Zudem herrschte in diesem Frühjahre die Kvef, eine Art Grippe, welcher fast Niemand entging. Ich fand beinah überall, also auch hier, die meisten Menschen damit befallen; das war von allen Seiten ein Husten und Aechzen zum Erbarmen. Der Fußboden war vom Auswurfe aus Mund und Nase so überdeckt, daß man ordentlich ausglitt.
Diese armen Leute waren so gut, mir gleich eines ihrer Betten überlassen zu wollen, aber lieber hätte ich die ganze Nacht an der Schwelle des Hauses gesessen, als sie in diesem ekelhaften Loche zugebracht. Ich wählte zu meinem Nachtquartiere den engen Gang, welcher die Küche vom Zimmer trennte; da fand ich ein paar Pflöcke, über welche einige Bretter lagen, die die Milchkammer bildeten, — eigentlich war es aber eine Rauchkammer, denn in der Höhe befanden sich einige Luftlöcher, durch welche der Rauch seinen Auszug hielt. — In dieser Milch- oder Rauchkammer, wie man sie nennen will, richtete ich mich ein, um die Nacht zu verkümmern. Meinen durchnäßten Mantel hatte ich auf eine Stange hängen müssen, und so war ich gezwungen, von diesen halb kranken Leuten einen Kotzen zu borgen. Getrost legte ich mich darauf, und stellte mich schläfrig, um mich von der Gegenwart meiner neugierigen Wirthe zu befreien. — Sie zogen sich in ihr Zimmer zurück, und ich war nun allein und ungestört. Aber schlafen konnte ich doch nicht; — Kälte und Wind, welche durch die Zuglöcher auf mich, die ohnehin noch ganz Erfrorne und Durchnäßte, eindrangen, hielten mich wider Willen wach. — Dazu gesellte sich noch ein anderes Unglück. — So oft ich mich auf meinem stattlichen Lager aufsetzen wollte, bekam mein armer Kopf einen derben Stoß.
Ich vergaß nämlich die Stangen, die auf jedem Vorplatze gezogen sind, um die Fische zu räuchern u.s.w. Leider merkte ich mir diese Einrichtung erst, nachdem ich schon ein halb Dutzend Kopfstücke erhalten hatte.
21.