Ida Pfeiffer: Ausgewählte Werke. Ida Pfeiffer
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Alexandrien.
Zuerst erblickten wir nichts als Mastspitzen, hinter welche sich niedere Gegenstände zu verbergen schienen, die der Oberfläche des Meeres entfliegen. Erstere bildeten sich zu einem ganzen Walde, zwischen welchem letztere als Häuser hervorschimmerten. Endlich sonderte sich auch Grund und Boden von dem nassen Element, wir unterschieden Hügel, Boskette und Gärten in der Umgebung der Stadt, deren Anblick aber nicht sehr überraschend ist, denn eine öde, große Sandfläche umgürtet Stadt und Gärten, und gewährt ein trauriges Bild.
Wir warfen die Anker zwischen dem Leuchtthurm und dem neuen Lazareth. Kein freundliches Boot durfte sich uns nahen und dem heißersehnten Gestade zuführen, denn wir kamen aus dem Lande der Pest, um in das Land derselben einzugehen, und dennoch mußten wir Quarantaine halten, weil die Egyptier behaupten, die Pest in Syrien sei bösartiger, wie die ihrige. Kommt man aber aus Egypten nach Syrien, so wird ebenfalls Quarantaine gehalten, weil die Syrier dasselbe von der egyptischen Pest behaupten. Auf diese Weise muß man in jenen Ländern nur immer Quarantaine halten, was für den Handel, die Reisenden und die Schiffahrt ein höchst lästiges Hemmniß ist.
Hier also erwarteten wir mit Zittern den Ausspruch, wie lange unsere Gefangenschaft im Lazareth dauern sollte. Endlich kam ein Schiffchen, brachte uns zwei Quardiane (Lazarethdiener), und mit ihnen die Anzeige, daß wir von dem Tage des Eintritts in das Lazareth, zehn Tage daselbst zu verbleiben hätten, heute aber (es war Sonntag) nicht ausgeschifft werden könnten. Nur beim englischen Paketboot wird eine Ausnahme gemacht, für alle übrigen Schiffe haben die Beamten an einem Sonn- oder Feiertage keine Zeit, eine wahrhaft egyptische Einrichtung! — Kann nicht ein Beamter für diese Tage aufgestellt werden, um die armen gequälten Reisenden zu übernehmen? Müssen wegen Bequemlichkeit eines Menschen oft vierzig bis fünfzig leiden, und noch einen Tag länger der Freiheit beraubt bleiben? — Wir kamen von Beirut, versehen mit Teschkeret (Gesundheits-Zeugniß) sowohl vom Lande als von unsern eigenen Personen, und wurden dennoch auf so lange Zeit zur Contumaz verurtheilt. Aber Mehemed Ali ist in Egypten viel mächtiger und despotischer, als der Sultan in Konstantinopel, — er befiehlt, und was blieb uns also übrig? Wir mußten uns der Gewalt unterwerfen.
Ich konnte vom Verdecke unseres Schiffes einen großen Theil der Stadt und ihrer öden Umgebung überschauen. Erstere scheint ziemlich groß und ganz nach europäischer Art gebaut zu seyn.
Von der Türkenstadt, die mehr im Hintergrunde liegt, sieht man nichts, eben so wenig vom eigentlichen Hafen, welcher sich um die andere Seite der Stadt zieht, und von welchem nur die Spitzen der Masten herüberblicken. Vor allem andern fallen zwei hohe Sandhügeln in's Auge, auf deren einem das Fort Napoleon steht, während auf dem andern bloß mehrere Kanonen aufgepflanzt sind; im Vordergrunde ziehen niedere Felsenreihen hin, an deren einem Ende der Leuchtthurm sich erhebt, am andern die neuen Quarantaine-Gebäude sich entfalten. Diesen gegenüber liegt die alte Quarantaine. Vieles ist mit kleinen Bosketten von Dattelpalmen umgeben, was einen sehr angenehmen Eindruck macht, da sie für Europäer etwas Neues sind.
8. August 1842.
Heute also wurden wir des Morgens um 7 Uhr abgeladen und mit Sack und Pack in die Quarantaine geliefert.
Ich betrat nun abermals einen neuen Welttheil, nämlich “Afrika“. Oft, wenn ich so einsam meinen Gedanken nachhänge, kann ich es selbst kaum glauben, daß mich Muth und Ausdauer in keiner Lage verließen, und daß ich meinem vorgesteckten Ziele Schritt vor Schritt entgegen ging. Dies dient mir zur Überzeugung, daß der Mensch mit festem Willen beinahe Unmögliches leisten kann.
In der Quarantaine erwartete ich weder etwas Gutes noch etwas Bequemes zu finden, und leider hatte ich mich nicht getäuscht. Der Hof, in welchen wir gewiesen wurden, war von allen Seiten geschlossen und mit hölzernen Gittern versehen, die Zimmer bestanden aus vier leeren Wänden, die Fenster waren ebenfalls mit hölzernen Gittern verwahrt. Gewöhnlich werden mehrere Personen auf ein Zimmer gewiesen, und dann der Preis desselben unter ihnen in gleiche Theile getheilt. Ich begehrte ein Zimmer für mich allein, was man auch erhält, nur natürlich um einen höhern Preis. Allein von einem Tische oder Sessel, oder einem andern Möbel ist gar keine Rede; wer dergleichen haben will, muß sich schriftlich an einen Wirth in der Stadt wenden, der dann alles liefert, aber zu einem enorm hohen Preise. Eben so macht man es mit der Kost. In der Quarantaine selbst ist kein Wirth, man muß alles von außen verschreiben. Für Mittag- und Abendkost fordert ein Wirth gewöhnlich zwischen dreißig und vierzig Piaster [In Egypten gilt der Piaster 6 kr. C.M.] pr. Tag. Dieß war mir ein Bischen zu viel, ich bestellte mir daher einige Lebensmittel durch einen Quardian. Er versprach mir, Alles genau zu besorgen; vermuthlich hatte er mich aber nicht verstanden, denn ich wartete vergebens, und erhielt am ersten Tage nichts. Am zweiten Tage war mein Appetit maßlos, ich wußte mir gar nicht mehr zu helfen. Ich ging also zu der arabischen Familie, welche die Reise ebenfalls auf dem griechischen Schiffe machte, und folglich mit in der Quarantaine war; ich bat die Frau um ein Stück Brot, gegen Bezahlung. Aber nicht nur Brot gab mir diese gute Frau, sie theilte mir auch von allen Speisen mit, die sie für sich bereiten ließ, und nahm durchaus kein Geld dafür; im Gegentheil gab sie mir durch Zeichen zu verstehen, ich möchte nur immer zu ihr kommen, wenn ich etwas bedürfe.
Erst am Abende des zweiten Tages, als ich sah, daß ich durch meinen Esel von Quardian nichts erhalten konnte, wendete ich mich an den Oberaufseher des Lazarethes, der täglich vor Sonnenuntergang kam, uns alle besichtigte und dann in die Zimmer sperrte. Bei ihm bestellte ich meine Lebensbedürfnisse, die ich von nun an auch immer zur rechten Zeit bekam.
Die Quardiane waren lauter Araber, von denen kein einziger eine andere Sprache außer arabisch verstand oder sprach; ebenfalls wieder eine echt egyptische Einrichtung. Ich glaube, in eine solche Anstalt, wo Reisende aus allen Weltgegenden zusammenkommen, sollte doch wenigstens ein Mensch hingegeben werden, der italienisch versteht, wenn auch nicht spricht. Solch ein Individium wäre sehr leicht zu finden, da Italienisch im ganzen Orient, besonders aber in Alexandrien und Kairo eine so heimische Sprache ist, wie ich mich später überzeugte, daß man unter der gemeinsten Klasse genug Leute trifft, die selbe verstehen und sprechen.
Für den Bedarf an Wasser ist ebenfalls sehr schlecht gesorgt. Jeden Morgen, gleich nach Sonnenaufgang, werden einige Schläuche Meerwasser, das zum Reinigen der Geschirre gehört, gebracht; gegen 9 Uhr Früh und Nachmittags um 5 Uhr bringen einige Kameele mehrere Schläuche mit süßem Wasser, das in zwei steinerne Tröge geschüttet wird, die im Hofe stehen. — Da füllen alle ihre Trink- und Kochgefäße, wobei es so unsauber zugeht, daß man alle Lust zum Trinken verliert. Der Eine schöpft das Wasser mit schmutzigen Töpfen, der andere langt mit seinen Händen hinein, ja, einige setzten sogar ihre schmutzigen Füße auf den Rand des Troges und wuschen sich dieselben, daß ein Theil des Wassers von ihren Füßen wieder in den Trog floß. Das Wassergefäß wird nie gereinigt, so bleibt Schmutz auf Schmutz, und man kann nur dann reines Wasser haben, wenn man es filtrirt.
Am zweiten Tage unseres Aufenthaltes sah ich zu meiner Verwunderung den Hof, die Stiege, die Zimmer u.s.w. somit einer außerordentlicher Sorgfalt kehren und reinigen. Das Räthsel wurde bald gelöst; der Kommissär erschien mit einem großen Stocke versehen, und begab sich unter die Thüre jedes Zimmers, um hinein zu sehen, ob man Wäsche, Kleider u.s.w. aufgehangen habe, ob die Bücher aufgeschlagen, und die Briefe oder Schriften an Bindfaden gereiht und ebenfalls aufgehangen seyen? Von der dummen Ängstlichkeit eines solchen Kommissärs kann man sich keine Vorstellung machen. Nur ein Beispiel: Als er durch das erste Zimmer gehen mußte, um an meine Thür zu gelangen, sah er den Stengel einer Traube an dem Boden liegen. Mit einer Hast sondergleichen schleuderte er diese Kleinigkeit mit dem Stocke auf die Seite, damit ja sein Schuh nicht daran streife und stets hielt er den Stock in Bereitschaft, um uns arme Verpestete in gehöriger Entfernung zu halten.
Am siebenten Tage unserer Gefangenschaft wurden wir Alle, Morgens um 9 Uhr, auf unsere Zimmer gewiesen. Thüren und Fenster wurden geschlossen,