Ida Pfeiffer: Ausgewählte Werke. Ida Pfeiffer
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Ich hatte unter mehreren recht herzlichen Empfehlungsbriefen auch einen an den hiesigen Stiftsamtmann Herrn von H.... erhalten. — Als ich in Kopenhagen ankam, erfuhr ich , daß auch er sich da befände. Ich begab mich zu ihm; man wies mich in ein Zimmer, in welchem sich zwei junge Frauen und drei Kinder befanden. Ich gab meinen Brief ab, und blieb eine Weile ruhig stehen. Da man mir keinen Platz antrug, setzte ich mich endlich ungeheißen auf den nächsten Stuhl, weit davon entfernt mir zu denken, die Hausfrau selbst könne zugegen sein, und nicht einmal die gewöhnlichsten, jedem Fremden gebührenden Artigkeitsformeln beobachten. — Nachdem ich schon ziemlich lange Zeit da gesessen und gewartet, erschien Herr von H. in höchst eigener Person, äußerte einiges Bedauern, daß er für mich nur äußerst wenig Zeit habe, indem er im Kurzen sammt seiner Familie sich nach Island einschiffen müsse, und hier noch eine große Menge sehr wichtige Geschäfte zu besorgen habe.—Schließlich gab er mir noch den gut gemeinten Rath, meinen Plan, Island zu besuchen, aufzugeben, indem die Beschwerden des Reisens in diesem Lande doch gar zu groß seien; da ich aber fest darauf beharrte, versprach er, falls ich früher nach Reikjavik abginge als er, mir einen Empfehlungsbrief dahin mitzugeben. Alles dieß ward in Eile und zwar stehend abgemacht — Ich empfahl mich, und wollte auch gar nicht mehr um den Brief kommen. Doch besann ich mich anders, schob die Unfreundlichkeit des Benehmens auf gedrängte und vielleicht unangenehme Geschäfte, und ging nach zwei Tagen wieder hin. Da ließ man mir den Brief durch ein Dienstmädchen reichen; — den hohen Herrschaften, die ich im Nebenzimmer witterte, mochte die persönliche Uebergabe wohl zu beschwerlich gewesen sein.
Als ich in Reikjavik dieser liebenswürdigen Familie meinen Besuch abstattete, war ich sehr erstaunt in Frau v. H. eine jener Damen zu erkennen, die in Kopenhagen nicht einmal so artig gewesen waren , mir einen Stuhl anzutragen. — Nach fünf, sechs Tagen erwiederte Herr v. H. meinen Besuch, und lud mich zugleich zu einem Spazierritte nach Vatne ein. Ich nahm diese Artigkeit mit vieler Freude an, und bat ihn im Stillen um Vergebung mit meinem Urtheile so rasch gewesen zu sein. — Seine gute Frau Gemahlin fand aber erst in der vierten Woche meines Aufenthaltes zu Reikjavik den Weg zu mir, obwohl sie mir gegenüber wohnte; auch lud sie mich gar nicht ein, sie wieder zu besuchen, was ich denn natürlich auch unterließ, und so war unsere Bekanntschaft ein- für allemal geendet. — Und so wie sich das Haupt der Insel, benahmen sich pflichtschuldigst auch die übrigen Honoratioren dieses Städtchens. Kein Gegenbesuch, keine Einladungen wurden mir zu Theil, obwohl ich gar oft von Lustpartieen, Diners und Abendgesellschaften hörte. — Hätte ich mich glücklicher Weise nicht selbst zu beschäftigen gewußt, so wäre es mir hier wohl sehr schlecht ergangen. — Keine der Frauen hatte so viel Gemüth oder Zartgefühl zu denken, daß ich hier ganz allein stehe, und daß Umgang mit gebildeten Menschen mir Bedürfniß sein könnte. — Weniger wehe that mir diese Unaufmerksamkeit von Seite der Herren. —Jung bin ich nicht mehr, und dieß schließt Alles in sich. — Fehlte schon den Frauen Zartgefühl, durfte ich es wohl bei den Herren um so weniger erwarten.
Ich suchte diesem Benehmen auf die Spur zu kommen, und fand sie nur zu bald in einem Hauptcharakterzuge, in dem Eigennutze dieser Menschen.
Kaum war ich in Reikjavik angekommen, erkundigte man sich sehr angelegentlich von allen Seiten, ob ich reich sei, oft Gesellschaften bei mir sehen werde, oder ob sonst viel bei mir zu verdienen sein werde.
Um hier gut aufgenommen zu werden, muß man entweder reich sein, oder als Naturforscher reisen. Letztere werden meist von europäischen Höfen gesandt, um die Merkwürdigkeiten des Landes zu untersuchen. Sie machen große Sammlungen von Mineralien, Vögeln u.s.w.; sie bringen viele und mitunter bedeutende Geschenke mit, die sie unter den Honoratioren vertheilen; sie veranstalten manche Unterhaltung, ja sogar manch kleinen Ball u.s.w. Sie kaufen Alles, was sie von Sammlungen erlangen können, sie reisen immer in Gesellschaft, sie haben viel Gepäck bei sich, und benöthigen viele Pferde. Letztere bekommt man in Island nicht zu borgen, man muß sie kaufen. Bei solchen Gelegenheiten ist hier zu Lande Jedermann Mäkler. Von allen Seiten werden Einem Pferde und Sammlungen aller Art angetragen.
Am allerwillkommensten ist da freilich die französische Fregatte, die alljährlich Island besucht, und an deren Bord es bald Gabelfrühstücke und Mittagstafeln, bald kleine Abendgesellschaften und Bälle gibt. — Da hat man doch Ersatz, und bekömmt noch obendrein schöne Geschenke; der Stiftsamtmann erhält sogar von der französischen Regierung jährlich 600 fl. als Ersatz für einige Gegenunterhaltungen, die er den Marine-Officieren gibt.
Bei mir war dieß nun nicht der Fall; ich gab keine Gesellschaften, ich brachte keine Geschenke, von mir hatten sie nichts zu hoffen, und folglich zogen sie sich zurück.
Daher behaupte ich aber auch, daß nur Derjenige den wahren Charakter der ihn umgebenden Menschen studieren kann, der anspruchslos in ihre Mitte tritt, von dem sie nichts zu erwarten haben. Nur gegen diesen zeigen sie sich in ihrer Natürlichkeit, und finden es nicht der Mühe werth die Larve der Verstellung vorzunehmen. Freilich macht man da oft schmerzliche Erfahrungen; trifft man aber auf gute Menschen, was denn doch auch häufig geschieht, so weiß man, daß sie wirklich so sind. — Und so werden es meine geneigten Leser und Leserinen verzeihlich finden, wenn ich aller jener Menschen erwähne, die sich der anspruchslosen Fremden mit Herzlichkeit annehmen. Durch nichts anders bin ich im Stande ihnen meine Dankbarkeit auszudrücken.
Ich hatte also nur mit wenigen Personen Umgang, und daher Zeit genug zu einsamen Spaziergängen, auf welchen ich Alles um mich her genau besehen und beobachten konnte.
Das Städtchen Reikjavik besteht nur aus einer einzigen breiten Gasse, um welche herum noch einzelne Häuser und Kothen liegen. — Die Zahl der Einwohner beträgt nicht ganz 500.
Die Häuser der Wohlhabenden sind aus Holz gebaut, haben aber alle nur Erdgeschoß, bis auf Eines, in welches kommendes Jahr die Hochschule, die bis jetzt in Bässastadt ihren Sitz hat, hierher versetzt wird; — dieß hat ein Stockwerk. Das Haus des Stiftsamtmanns ist von Stein gebaut. Es war ursprünglich zum Gefängniß bestimmt, allein da es in Island so selten Verbrecher gibt, so ist es nun seit vielen Jahren zur Wohnung dieses königlichen Beamten umgestaltet.
Ein zweites Steinhaus, das man von Reikjavik aus sieht, liegt zu Laugarnes— eine halbe Meile von dem Städtchen entfernt — nahe am Meere, ist von Wiesen umgeben und der Sitz des Bischofes.
Die Kirche kann höchstens 100 bis 150 Personen fassen; sie ist von Stein gebaut, und mit einem hölzernen Dache versehen, unter welchem die Bibliothek aufbewahrt wird, die aus mehreren tausend Bänden besteht. — Diese Kirche besitzt einen Schatz, um den sie gewiß viele andere, größere und reichere beneiden würden: einen Taufstein, — eine Arbeit Thorwaldson's, dessen Eltern aus Island stammten. — Er selbst war in Dänemark geboren, und schien durch dieß Geschenk das Land seiner Voreltern ehren zu wollen.
An manche Häuser Reikjavik's schließt sich ein Stückchen Garten.Darunter versteht man ein durch unendliche Mühe und mit großen Kosten geschaffenes Plätzchen, worauf Salat, Spinat, Petersilie, Kartoffeln und einige Rübengattungen fortkommen. Die Beetchen sind durch fußbreite Graswege geschieden, auf welchen höchstens einige Wiesenblumen wachsen.
Was die Bewohner Islands betrifft, so sind sie von ziemlich kräftigem, mittelgroßem Schlage. Sie haben blondes, oft in's Röthliche spielendes Haar und blaue Augen. Die Männer sind meist häßlich, die Weiber weniger, ja, unter den Mädchen findet man manchmal sogar recht liebliche Gesichtchen. Ein Alter von siebenzig bis achtzig Jahren soll zu den Seltenheiten gehören.
Die Bauern haben viele Kinder und dennoch wenige; — es werden viele geboren, aber die wenigsten erreichen das erste Lebensjahr. Die Mütter saugen sie nicht, und ziehen sie bei äußerst schlechter Nahrung auf. Die, welche das erste Jahr überleben, sehen dann kräftig aus; nur haben sie gar sonderbar rothgefärbte Backen, als bekämen sie einen Ausschlag. Ob dieß von der scharfen Luft, an die die zarten Gesichter noch nicht gewöhnt sind, oder von der Nahrung herrührt, — — weiß ich nicht.