Zukunft verpasst?. Thomas Middelhoff

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Zukunft verpasst? - Thomas Middelhoff

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Marktkapitalisierung, ihren hohen Cash-Reserven und hohen Wachstumsraten die Transformation voranzutreiben, um in neue Branchen und Geschäftsmodelle vorzustoßen. Diese Entwicklung verstärkt nochmals zusätzlich den grundsätzlichen Trend zur Digitalisierung. Darüber hinaus wird sie durch die Tatsache verstärkt, dass die geringe Refinanzierungskraft der großen deutschen und europäischen Unternehmen bereits heute aufgrund ihrer niedrigen Marktkapitalisierung einen entscheidenden Nachteil im Wettbewerb mit amerikanischen und chinesischen Wettbewerbern darstellt.

      Nach Meinung von Steve Case, dem Gründer von AOL, stehen wir am Beginn des „Internet 3.0“, wie er es in seinem Buch The Third Wave: An Entrepreneur’s Vision of the Future beschrieben hat. AOL hatte im Jahr 2000 unter der Führung von Steve das damals weltweit größte Medienunternehmen TimeWarner für 165 Milliarden US-Dollar übernommen; bis heute ist diese Akquisition nach der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone die zweitgrößte Firmenübernahme aller Zeiten.4 Bei aller späteren Kritik wurde Steve für seinen unternehmerischen Mut, seine Entschlossenheit und seine Weitsicht zum Zeitpunkt der Übernahme von TimeWarner rund um den Globus wie ein Rockstar gefeiert.

      Steve glaubt, dass wir uns heute, 20 Jahre später, in einer vergleichbaren Entwicklung befinden wie damals, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die großen Tech-Konzerne ihre Kapitalkraft ausnutzen, um in andere Branchen vorzudringen, diese dann zu konsolidieren und zu transformieren. Ebenso wie wir sieht er in den vor uns liegenden Jahren unternehmerisch einmalige Chancen – eine Entwicklung, bei der aus seiner Sicht gerade jetzt Tatkraft und Mut gefordert sind, um neue Geschäftsmodelle und die Transformation von Konzernen und ganzen Branchen voranzutreiben. Hierbei geht es nicht nur um die Automobilkonzerne und Medienunternehmen.

      Es ist nach allen vorliegenden Daten nicht ausgeschlossen, dass es so oder so ähnlich kommen könnte. Wir haben in Deutschland im Jahr 2000 und in den nachfolgenden Jahren kollektiv darin versagt, mit Augenmaß die Chancen zu ergreifen, die uns die Digitalisierung bietet. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung fragen wir uns: Ist die deutsche Gesellschaft heute auf diese Entwicklung vorbereitet, sodass sie die Digitalisierung tatsächlich als Zukunftschance begreift? Sind es die Politiker, die Unternehmer und die Manager in den Schlüsselbranchen unseres Landes? Und wo stehen wir im Vergleich zu anderen führenden Wirtschaftsnationen? Wir versuchen, diesen Fragen nachzugehen.

      HABEN WIR DEN ANSCHLUSS VERPASST?

       21. November 2019, 8:00 am, Peking

      Dichter Smog hängt seit Tagen über Peking, alles scheint wie verschleiert. Es ist grau, diesig und kalt an diesem Tag im November 2019, an dem es bis zum Abend nicht richtig hell werden wird.

      Die Weihnachtsdekoration im Eingangsbereich des Hotel Peninsula an der 8 Goldfish Lane Wangfujing in Peking ist imposant und bezeichnend zugleich: Sie stellt dar, wie es aus chinesischer Sicht im Westen zu Weihnachten aussehen muss. Neben zwei üppig illuminierten und dekorierten Weihnachtsbäumen ist in der eleganten Lobby ein kleines „westliches“ Wohnzimmer aufgebaut: eine kleine, gemütliche Wohnstube mit viel Holz, einem Sofa, auf dem zwei rot-grün karierte Wolldecken drapiert sind, einem englischen Ledersessel, neben dem ein rundes Tischchen steht, auf dem einige Bücher liegen, und an den Wänden viel Weihnachtsdekoration. Dieses „westliche Weihnachtszimmer“, das sich ebenso gut im ostwestfälischen Paderborn befinden könnte wie in London, steht im eindrucksvollen Kontrast zu der modernen, kühlen Architektur des Hotels und den eleganten Luxusgeschäften in dessen Eingangsbereich.

      Die Stimmung am Frühstückstisch des Hotels ist an diesem Morgen gelöst wie auch an den Tagen zuvor. Wir – Conny Boersch und Thomas Middelhoff – erwarten den ersten chinesischen Gesprächspartner zu einem Meeting, danach wollen wir zu einem Gespräch an der Tsinghua-Universität aufbrechen.

      Unser chinesischer Gast erscheint pünktlich. Er trägt ein elegantes blaues Maß-Sakko, ein weißes Hemd, die beiden obersten Knöpfe geöffnet, Chinos und Sneakers. Er begrüßt uns freundlich mit einem kräftigen Händedruck. Es ergibt sich ein angeregter Small Talk, dessen Themen von Fußball – unser chinesischer Gast bewertet die Leistung der englischen Premier League deutlich besser als die der Bundesliga – bis hin zu den Lebensbedingungen der Wirtschaftselite in den USA reichen.

      Unser smarter Gesprächspartner ist Professor, einer der führenden und einflussreichsten Köpfe der Pekinger Wissenschaftsszene. Von seiner Erscheinung her könnte man ihn auch für einen Venture Capital-Investor halten, der seinen Sitz irgendwo im Silicon Valley hat.

      Nach kurzer Zeit kommt er zum Kernthema unseres Treffens. Nur am Rande erwähnt er zuvor noch, dass er kürzlich ein gigantisches Infrastrukturprojekt mit seiner Universität erfolgreich abgeschlossen habe. Von der Dimension her entspricht dies ungefähr dem Umzug des deutschen Regierungsapparates von Bonn nach Berlin in den Jahren nach der Wiedervereinigung. Unser chinesischer Gast benötigte hierfür knapp 24 Monate – und in deutlichem Unterschied zum deutschen Pendant, bei dem man mehrere Jahre gebraucht hatte und Teile des Verwaltungsapparates bis heute in Bonn verblieben sind, machte er dabei keine Kompromisse.

      Er ist interessiert an uns Deutschen, er will von uns lernen, und er gesteht offen ein, dass China Know-how benötigt, um die eigenen Technologien schneller und erfolgreicher internationalisieren zu können. Hierfür sieht er eine enge Kooperation der führenden chinesischen Universitäten und deren Inkubationszentren mit westlichen, erfahrenen Venture Capitalisten als eine wichtige Voraussetzung – in Form einer räumlichen Konzentration zwischen Wissenschaft und Unternehmen unter einem gemeinsamen Dach zur Förderung von Unternehmensgründungen durch Studenten. Er signalisiert Unterstützung für die Zusammenarbeit einer chinesischen Spitzenuniversität mit einem westlichen Unternehmen für ein solches Projekt.

      Wenig später sitzen wir in der Tsinghua-Universität einem weiteren chinesischen Gesprächspartner gegenüber. Die Tsinghua-Universität zählt zusammen mit der Peking-Universität zu den führenden chinesischen Hochschulen. 1911 gegründet, werden dort seit 1978 auch Volkswirtschaftslehre, Management und Jura gelehrt. Die Universität vereint rund 30.000 Studenten, 15 Forschungszentren, etwa 3.000 Doktoranden und 2.600 Dozenten unter einem Dach. Das an der Tsinghua-Universität angesiedelte „Schwarzman Scholars Program“, das von Steve Schwarzman, Gründer und CEO der US-amerikanischen Investmentgesellschaft Blackstone, gestiftet wurde, zählt zusammen mit der Yenching Academy an der Peking-Universität zu den weltweit anspruchsvollsten Stipendienprogrammen.

      Wir werden begleitet von Alexander Hornung, einem jungen Senior Associate bei Mountain Partners, der zusammen mit weiteren 130 Stipendiaten an ebendieser Yenching Academy der Peking-Universität „Management and Economics“ studiert hat. Alex spricht fließend Mandarin und ist mit einer „American-born-Chinese“ liiert, die in Los Angeles geboren wurde, in Hong-Kong aufwuchs und an der Harvard University Jura studiert. Mit dabei ist auch der ehemalige deutsche Wirtschaftsminister und Vizekanzler Philip Rösler, der unsere Verhandlungen unterstützen soll.

      Ebenso wie die Peking-Universität belegt die Tsinghua auch in den internationalen Rankings Spitzenplätze. In den Times Higher Education World Reputation Rankings stehen sie weltweit auf den Plätzen 14 (Tsinghua) und 17 (Peking) – deutlich vor der nach diesem Ranking am besten abschneidenden deutschen Ludwig-Maximilians-Universität in München auf Platz 49.

      Bei einer Führung durch einen Showroom der Tsinghua-Universität lernen wir, dass diese an 980 chinesischen Start-ups beteiligt ist, von denen einige bereits erfolgreich ein Listing (IPO) an der New Yorker Technologiebörse NASDAQ absolviert haben. Viele der chinesischen Start-ups, die sich zu Milliardenkonzernen entwickeln konnten, wurden ursprünglich an der Tsinghua oder der Peking-Universität gegründet; auch der chinesische Internetgigant Tencent hatte hier seine Wurzeln. Und Chinas Präsident Xi Jinping gehört ebenso wie andere einflussreiche Politiker zu den Alumni dieser

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