Zukunft verpasst?. Thomas Middelhoff

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Zukunft verpasst? - Thomas Middelhoff

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März 2020 kommt beispielsweise Amazon Prime allein in Deutschland auf knapp 24 Millionen Mitglieder. Damit verfügt Amazon Prime in Deutschland nicht nur über einen größeren Mitgliederbestand als die Evangelische Kirche mit knapp 22 Millionen Mitgliedern, sondern ist auf diesem Wege an Bertelsmann vorbeigezogen, das vor noch 20 Jahren den Medienmarkt im Heimatland Deutschland beherrscht hatte.

      Faktisch ist heute leider aufgrund der Verhaltensweisen der verantwortlichen Personen während des verlorenen Jahrzehnts genau das eingetreten, was strategisch als unbedingt zu vermeiden galt: Die deutschen Konzerne im Business-to-Consumer-Geschäft sind abhängig geworden von Gatekeepern, die sich, aus anderen Ländern kommend, nicht nur weltweit einen dominanten Marktanteil sichern konnten, sondern auch auf dem deutschen Markt. In einzelnen Teilbereichen haben sie zwischenzeitlich fast eine Monopolstellung erreichen können.

      DEUTSCHLANDS VORZEIGEUNTERNEHMEN: VIER BEISPIELE DAFÜR, WIE MAN DEN ANSCHLUSS VERLIERT

      Nach dem oben beschriebenen „Phänomen der zeitlichen Entkopplung zwischen Ursache und Wirkung“ zeichnet sich erst heute in aller Deutlichkeit ab, ob Großkonzerne mit ihren internationalen Wettbewerbern Schritt halten können.

      Um diese Frage zu beantworten, ist es sinnvoll, die Überlegung anzustellen, wo wir heute stehen würden, wenn die Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik während des verlorenen Jahrzehnts sich anders verhalten hätten, wenn sie mit ausgewogenem Urteilsvermögen unterschieden hätten, was in der digitalen Welt gut und was auch problematisch oder schlecht ist. Wenn sie eben nicht zu Werke gegangen wären, als wollten sie die Geschehnisse von 1844 wiederholen. Damals verantworteten schlesische Weber den bis dahin ersten und bekanntesten Fall von „Maschinenstürmerei“ in Deutschland.

      Die deutschen Wirtschaftsführer haben den einfachen Weg gewählt und die kurzfristige Strategie der „Ergebnisoptimierung“ einer langfristig ausgerichteten und mühevollen Digitalstrategie vorgezogen. Hierbei herrschte im Management häufig der Gedanke vor, dass die Kosten einer solchen Strategie und ihre Erträge zeitlich zu weit auseinanderfallen. Da die Kosten die eigene Amtszeit belasten, die Erlöse aber in den Verantwortungszeitraum des Nachfolgers fallen würden, wurde in den allermeisten Fällen die Entscheidung getroffen, dass dieser doch bitte auch die Kosten tragen soll.

      Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem verlorenen Jahrzehnt für deutsche Vorzeigeunternehmen? Und sind diese Konsequenzen heute sichtbar, wenn man denn genauer hinsehen will?

      Wir konzentrieren uns auf deutsche Konzerne mit weltweitem Renommee, die 2000, zu Beginn des verlorenen Jahrzehnts, weltweit führend in ihren Märkten tätig waren. Wurden möglicherweise damals in verschiedenen Branchen ähnliche strategische Fehler gemacht? Und belasten diese die Unternehmen und ihre Aktionäre heute und noch stärker in der Zukunft: durch verpasste Chancen, durch fehlendes Wachstum, durch nur noch begrenzte Wettbewerbsfähigkeit oder durch Opportunitätskosten? War einer der wesentlichen Gründe für die verpassten Chancen dieser Konzerne in der digitalen Welt die Tatsache, dass viele deutsche Konzernführer das Internet als eine „Zwischenepisode“ verstehen wollten?

      Diesen Konzernen stellen wir die Strategie eines Wettbewerbers gegenüber, der während des verlorenen Jahrzehnts eine entgegengesetzte Strategie verfolgte: die Konzentration auf die konsequente Digitalisierung des Geschäftsmodells.

      Metro und Amazon – Wie Jeff Bezos den Handelsriesen entzauberte

      Bereits ab Mitte der 1990er-Jahre begannen sich Otto Beisheim, der legendäre Gründer der METRO, und Erwin Conradi, ein herausragender Manager, mit Internetgeschäften und den damit verbundenen Chancen für den Handel zu beschäftigen. Sie sahen im Internet ein großes Potenzial für unternehmerische Aktivitäten im Allgemeinen wie auch für die Geschäftsfelder der METRO im Speziellen, ähnlich wie Mitte der 90er-Jahre einem Reinhard Mohn das Potenzial des Internets für ein Medienunternehmen nicht lange erklärt werden musste.

      Obgleich Beisheim dem Internet positiv gegenüberstand und mit der Scout-Gruppe das Zukunftsthema „Classified“ – vergleichbar mit den früheren Kleinanzeigen – erfolgreich besetzte, bestand im Management der METRO AG, deren Vorstandsvorsitz auf Hans-Joachim Körber übergegangen war (1996 als der Sprecher des Vorstands, 2001 als dessen Vorsitzender), eine skeptische Haltung gegenüber der neuen Technologie. Das Beispiel Beisheim zeigt, dass Modernität nicht zwangsläufig etwas mit dem Alter zu tun hat. Wenn Beisheim ein neues internetbasiertes Geschäftsmodell vorstellte, spotteten Teile des METRO-Managements: „Der Alte bringt uns schon wieder so ein Ding an.“

      Das METRO-Management sah die Zukunft des Konzerns vor allen Dingen im Stammgeschäft Cash & Carry – dem Modell eines Abholmarkts für Firmen, Freiberufler, Gastronomie etc. – und wollte sich daher vornehmlich auf dessen Internationalisierung konzentrieren. Daneben warf die Beteiligung am stationären Elektronikhandel Media-Saturn zum damaligen Zeitpunkt hohe Gewinne ab.

      Anfang 2000 zählte der METRO-Konzern mit einem Umsatz von knapp 47 Milliarden Euro zu den führenden Händlern weltweit. Er wurde in einem Atemzug mit Walmart und Carrefour genannt, seinen damals größten Wettbewerbern. Alles schien ausgelegt auf einen Dreikampf dieser Unternehmen mit amerikanischen, französischen und deutschen Wurzeln. Bis 2005 wuchs der weltweite METRO-Umsatz auf 55 Milliarden Euro. Im Jahr 2010 erreichte er ca. 67 Milliarden bei mehr als 280.000 Mitarbeitern weltweit.5

      Die METRO-Welt wirkte zu diesem Zeitpunkt bestens geordnet. Der Fokus auf die Stammgeschäfte und die bewusste Zurückhaltung des Managements gegenüber dem Internet schien sich zu diesem Zeitpunkt noch als die richtige Strategie zu erweisen. Dennoch gab es erste Warnsignale: Die Umsatzentwicklung begann sich erkennbar zu verlangsamen. Wachstum war auf bestehender Fläche nicht mehr ohne größere Anstrengungen zu erwirtschaften.

      Die Rückschläge im einstigen „Brot-und-Butter-Geschäft“ Cash & Carry wogen immer schwerer. An der Börse wurde die METRO schließlich zu einem Übernahmekandidaten und erreichte Ende 2019 eine Marktkapitalisierung von nur noch 5,2 Milliarden Euro. Das einst stolze Unternehmen hat heute nach dem Rückzug der Familie Haniel einen neuen Großinvestor: Ein in Deutschland unbekannter tschechischer Unternehmer entscheidet jetzt, wie es mit der METRO weitergeht, die im Ranking der weltweit größten Handelsunternehmen auf die hinteren Plätze gerutscht ist,.

      Das METRO-Management hatte viel zu lange an dem Irrglauben festgehalten, das Internet besäße keine Relevanz für ihr Handelsgeschäft. Dieser Fehler wurde vor allem zwischen 2000 und 2010 gemacht. Zu spät wurde die ganze Tragweite dieser Fehleinschätzung erkannt. Zumindest bei Media-Saturn versuchte man, die Versäumnisse durch den Aufbau einer Online-Strategie aufzuholen. Eine strategische Korrektur, die auch dort viel zu spät kam. Völlig überteuert und ohne Verständnis für eCommerce wurden Internetfirmen aufgekauft. Amazon war längst nicht mehr aufzuhalten. Die METRO AG hat, wie zahlreiche andere Unternehmen auch, ihre Zukunft während des verlorenen Jahrzehnts verspielt.

      Der SPIEGEL fasste diesen Sachverhalt am 21. Februar 2020 unter der Headline zusammen: „Der Jahrhundertfehler, unter dem Karstadt und METRO bis heute leiden“. Völlig richtig stellt der SPIEGEL hierzu in seinem Beitrag fest: „Vor 20 Jahren platzte die Dot-Com-Blase. Große deutsche Handelskonzerne machten damals ihre Internetshops dicht. Davon haben sie sich nie erholt.“6

      Dies wird ganz besonders deutlich, wenn man sich die Entwicklung von Amazon während eben dieses Jahrzehnts vor Augen hält. Amazon wurde 1994 von Jeff Bezos in Seattle gegründet. Der Geschäftsbetrieb in Deutschland begann 1998, zunächst mit dem Versand von Büchern und wenig später von CDs und DVDs. Seit 2003 werden auf der Amazon-Plattform

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