Zukunft verpasst?. Thomas Middelhoff

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Zukunft verpasst? - Thomas Middelhoff

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war es eigentlich völlig offensichtlich, dass das gesamte weltweite Bankgeschäft relativ kurzfristig ohne größere Probleme in digitaler Form würde abgewickelt werden können. Nicht so offensichtlich jedoch für das Management der Deutschen Bank. Regelmäßig versuchte Conny Geschäftskontakte zwischen der Deutschen Bank und jungen Start-ups aus dem FinTech-Bereich zu entwickeln. Leider zeigte sich deren Management damals wenig interessiert. Gesprächsvorschläge wurden mit dem Argument negativ beschieden, diese kleinen Start-ups seien zwar „nett, bewegten aber den Puls eines solch großen Konzerns nicht“.

      Stattdessen konzentrierte sich die Deutsche Bank während des verlorenen Jahrzehnts vornehmlich auf den Auf- und Ausbau des Investmentbanking und versuchte sich mit der Übernahme von Bankers Trust und unter Einsatz aller anderen nur denkbaren Mittel als bedeutender Player an der Wall Street zu etablieren. Wirtschaftlich gesehen endete diese Strategie in einem Fiasko. Die Deutsche Bank konnte sich im angelsächsischen Bereich nicht nachhaltig erfolgreich als Investmentbank etablieren und verlor im Wettbewerb in dieser Disziplin vor allen Dingen gegen Banken wie JPMorgan oder Goldman Sachs. Verdeutlicht wird dieser Sachverhalt am Verlauf des Aktienkurses der Deutschen Bank im Vergleich mit JPMorgan und Goldman zwischen 2000 und 2020.

      Abbildung 5: Kursentwicklung von JP Morgan, Goldman Sachs, Crédit Agricole und Deutsche Bank über den Zeitraum der letzten 20 Jahre.

      Aufgrund der Fokussierung auf das Investmentbanking und der Verwicklung in eine Unzahl an Rechtsstreitigkeiten vernachlässigte die Deutsche Bank zugleich die Digitalisierung des Bankgeschäfts, die Entwicklung des Onlinebanking und das dramatische Wachstum des Mobile Payment, was sich als Folge des verlorenen Jahrzehnts nach unserer Einschätzung noch stärker rächen wird als der vergebliche Versuch, sich als bedeutende Investmentbank zu etablieren. Eine analoge Entwicklung wie in der Automobilindustrie, wo durch die Verwicklung in „Dieselgate“ die Fokussierung auf alternative Antriebsformen verpasst wurde.

      Aktuell will sich das Management der Bank zwar verstärkt auf das Privatkundengeschäft konzentrieren, das vor allen Dingen über die frühere Postbank betrieben werden soll. Tatsächlich spielt diese aber bei den weltweiten Online- und Mobile-Transaktionen nur eine untergeordnete Rolle bei einem weltweit verschwindend geringen Marktanteil. So gesehen hat die Deutsche Bank nicht nur die falsche Priorität verfolgt, sondern zugleich die Zukunft im Bereich des Digital Banking verspielt.

      Während neue Wettbewerber aus dem Fintech-Bereich, die vollständig digitalisierte Geschäftsmodelle betreiben, seit der Jahrtausendwende immer mehr Vertrauen von Kunden und Investoren gewinnen, fällt es der Deutschen Bank als Folge des verlorenen Jahrzehnts zunehmend schwer, mit diesen neuen Wettbewerbern Schritt zu halten.

      Das digitale Geschäftsmodell von Finanztechnologie-Unternehmen gewinnt zunehmend Marktanteile im Bankensektor, und dies weltweit. Hierzu zählen heute beispielsweise Anbieter wie Klarna, Raisin, N26, Revolut und PayPal oder WeChat Pay und Alipay in China, die sich dort als Zahlungsabwickler oder Onlinebank am Markt etablieren konnten und hohe Wachstumsraten aufweisen. Dies war bereits lange vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie ein Fakt und wurde durch diese weltweit nochmals beschleunigt.

      Klarna beispielsweise verfolgt das Ziel, durch Digitalisierung den finanziellen Alltag seiner Kunden so einfach und transparent wie möglich zu gestalten. Das Zinsportal Raisin verfügt hingegen nicht nur über eine Banklizenz, sondern hat 2019 auch die MHB-Bank, Frankfurt, übernommen. Nach unserer Beobachtung ist dies das erste Mal, dass ein FinTech-Startup die Bank übernommen hat, die sie bislang finanzierte. Dies ist auch insofern eine bemerkenswerte Entwicklung, weil üblicherweise Banken junge Start-ups übernehmen, um auf diesem Wege die Digitalisierung ihrer eigenen, internen Prozesse zu beschleunigen und um Know-how einzukaufen – und nicht umgekehrt.

      Dieser Schritt könnte auch ein Hinweis darauf sein, dass Techfirmen, die Schritt für Schritt in das Bankgeschäft vordringen wollen, sich benötigtes Know-how oder auch Marktanteile durch gezielte Akquisitionen von Banken erschließen können. Es ist für uns durchaus vorstellbar, dass ein Unternehmen wie beispielsweise Amazon oder Apple eine Großbank übernehmen könnte, die sich vor allen Dingen auf den Bereich der Zahlungsabwicklung konzentriert hat. Die Übernahme der Commerzbank, die am 8. Juli 2020 eine Marktkapitalisierung von 5,66 Milliarden Euro hat, wäre für Apple – ähnlich wie eingangs in unserem Beispiel „Global Lift“ beschrieben – bei einer Marktkapitalisierung in Höhe von über 1 Trillion US-Dollar und einem Cash-Bestand von über 130 Milliarden US-Dollar ohne Anstrengung darstellbar. Und dasselbe gilt auch für Amazon. Und auch die Übernahme der Deutschen Bank würde, rein theoretisch betrachtet und unter Vernachlässigung der rechtlich toxischen Risiken, weder für Apple noch für Amazon ein größeres Problem darstellen.

      Die Fintech-Startups positionieren sich weltweit vor allen Dingen an der Schnittstelle zwischen Endkunden und Handel bei der Abwicklung von Zahlungsprozessen. Je stärker beispielsweise eCommerce wächst, wovon wir fest ausgehen, umso stärker wachsen Unternehmen wie Klarna.

      Auch Wirecard hatte sich in diesem Bereich positioniert. Durch möglicherweise kriminelle Machenschaften seines Managements geriet das Unternehmen in die Insolvenz. Davon abgesehen hatte Wirecard die Deutsche Bank im Bereich der Abwicklung des Online-Zahlungsverkehrs weltweit überholt. Auch wenn bei Wirecard durch möglicherweise betrügerische Aktivitäten eine Profitabilität vorgetäuscht werden sollte, die es operativ so nicht gab, heißt dies natürlich nicht, dass nun alle FinTech-Startups „kriminell“ sind oder nicht wirtschaftlich operieren. Diesen offensichtlich typisch deutschen Reflex, das Kind mit dem Bade auszuschütten, der wie schon beschrieben auch nach dem Zusammenbruch des Neuen Marktes einsetzte, konnten wir unmittelbar nach der Insolvenz von Wirecard wieder einmal feststellen. Um diese offensichtlich eingeschliffene Sichtweise zu relativieren, greifen wir auf einen aktuellen Fall aus der Automobilindustrie, der Königsdisziplin der deutschen Wirtschaft, zurück: Auch wenn korrupte (Spitzen?-)Manager des VW-Konzerns mit illegalen Abschaltvorrichtungen bei Dieselfahrzeugen weltweit Käufer betrogen und einen Schaden von über 40 Milliarden Euro (!) verursacht haben, sind nicht alle Manager der Automobilindustrie kriminell.

      Das Versagen der Führungsspitze von Wirecard bedeutet nicht, dass die Digitalisierung des Bankensektors hinfällig oder ein Trugschluss wäre. Interessant ist für uns, dass die Politik zwar nach dem Wirecard-Skandal umgehend mit Gesetzesinitiativen reagierte, diese Reaktion aber nach dem ungleich viel größeren Dieselskandal ausblieb. So funktioniert das System der Verstrickungen zwischen wirtschaftlichen und politischen Interessen in unserem Land.

      Während innovative FinTech-Unternehmen wie Klarna, Raisin oder N26 durch die Effizienz ihrer digitalen Geschäftsmodelle enorme Wettbewerbsvorteile und attraktive Margen generieren können, verliert das klassische Bankgeschäft kontinuierlich an Ertragskraft und Bedeutung.

      Zu Beginn des verlorenen Jahrzehnts, als andere Banken sich nach dem Crash des Neuen Marktes komplett aus dem Internet zurückzogen, nutzten PayPal oder Alipay mit einer klaren Strategie zielstrebig und konsequent die Chancen, die sich aus der Digitalisierung für den Bankensektor ergaben. Heute zählen diese Unternehmen zu den Pionieren des Geschäfts mit digitalen Zahlungsabwicklungen weltweit.

      Abbildung 6 verdeutlicht das Wachstum, das gerade im Bereich des Mobile-Payment in China erzielt wird, wo es heute schon das Online-Banking und die Zahlung per Kreditkarte bei der Anzahl der Transaktionen deutlich überholt hat. Fachleute gehen davon aus, dass sich eine ähnliche Entwicklung in Deutschland vollziehen wird und Mobile Payment in Kürze das Onlinebanking via Laptop oder PC ablösen wird.

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