Zukunft verpasst?. Thomas Middelhoff
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„Mit einem Transaktionsvolumen von 179.507 Millionen Euro in 2018 wird in China der weltweit höchste Wert im Segment Mobile POS Payments erzielt. Alipay hat mehr als die Hälfte Marktanteil der in China geleisteten mobilen Zahlungen, die für 2017 auf knapp 100 Billionen Yuan (13 Billionen Euro) geschätzt werden – Tendenz weiter stark wachsend.
Mit über 600 Millionen aktiven Nutzern weltweit ist Alipay die bisher erfolgreichste kontaktlose und mobile Bezahlmethode. Eine halbe Milliarde Menschen in China nutzt ihr Smartphone zum Bezahlen. Acht Billionen Transaktionen liefen in China in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres über mobile elektronische Zahldienste. Hinter Alipay selbst steht die Ant Financial Services Group, die zwar unabhängig von Alibaba agiert, aber Teil des Unternehmenssystems ist.
Sie deckt etwa die Hälfte des Markts ab, den es sich mit seinem Konkurrenten WeChat des Tencent-Konzerns teilt. Das amerikanische PayPal kam im gesamten vergangenen Jahr gerade einmal auf rund eine halbe Billion Zahlungsbewegungen. Somit ist Alipay zum Portemonnaie der jungen chinesischen Generation geworden.9
Ein eindrucksvolles Beispiel ist in diesem Zusammenhang der „Singles Day“ in China bei Alibaba (11. November jedes Jahr), – der zum größten Shopping-Tag der Welt wurde. Die Umsätze über Alibaba, die überwiegend über Alipay abgewickelt werden, sind mehr als nur beeindruckend. Alibaba erzielte einen Umsatz von 38 Milliarden US-Dollar. Die erste Milliarde wurde am 11. November 2019 nach nur 68 Sekunden generiert und die 10-Milliarden-Grenze nach einer halben Stunde überschritten.
Die Deutsche Bank hingegen hat die Digitalisierung im klassischen Bankgeschäft während des verlorenen Jahrzehnts komplett verschlafen. Ehemalige Mitarbeiter der Bank berichten – für Kenner wenig überraschend –, die IT-Systeme seien veraltet und undurchschaubar. Wir fragen uns: Welche Strategie und welche Digitalisierungsmaßnahmen verfolgte die Bank in den Jahren zwischen 2000 und 2010? Vielleicht sollten wir aber auch anders fragen: Mit welcher Kraft konnte das Management angesichts der Verstrickungen in internationale Skandale und dem Fokus auf das Investmentbanking überhaupt konsequent eine Digitalisierungsstrategie verfolgen? Es ist aus unserer Sicht beschämend, dass die Deutsche Bank die Hilfe von Google benötigt, um ihre IT-Infrastruktur modern auszustatten, wenn man den Pressemitteilungen vom 09. Juli 2020 Glauben schenkt.
Eine Umfrage des IT-Verbands Bitkom belegt, dass bereits 20 Prozent der Deutschen für die Erledigung ihrer Finanztransaktionen keine Bankfiliale mehr besuchen. Diese Zahlen dürften sich post-Corona nochmals deutlich zu Lasten der klassischen Banken steigern. Darüber hinaus geben 40 Prozent der Befragten an, dass sie bereit seien, ihre Finanztransaktionen über Apple, Google, Amazon oder Facebook zu tätigen. Während diese neuen potenziellen Wettbewerber der Deutschen Bank hohe Wachstumsraten aufweisen, über mehr Liquidität verfügen und eine um ein Vielfaches größere Marktkapitalisierung besitzen, schrumpft das Kerngeschäft der Deutschen Bank ebenso wie ihr Ranking im internationalen Wettbewerb.
Die Deutsche Bank erlitt – ebenso wie andere deutsche Geschäftsbanken – in den zurückliegenden Jahren einen hohen Wertverlust. Das Geld von Investoren fließt verständlicherweise in Wachstumsgeschäfte und dorthin, wo sie das notwendige Vertrauen in ein überzeugendes, digitales und skalierbares Geschäftsmodell und das dafür erforderliche Management haben. Investoren glauben an die Zukunft der FinTech-Branche, sie glauben an Fortschritt und Innovation ihrer Kunden und Investoren.
Wenn die deutschen Banken nicht schnell reagieren, werden sie große Teile des Privatkundengeschäfts an Online-Banken der neuen Generation oder an Facebook, Amazon, Apple oder Tencent verlieren. Denken wir an das Beispiel des Monopoly-Spiels: Diese neuen Player könnten schon bald stark genug sein, sich die „Schlossallee“ in Form des Postbank-Geschäfts der Deutschen Bank einzuverleiben. Dies sind globale Entwicklungen, die wir in allen Teilen der Welt beobachten.
Was für das Bankensystem gilt, trifft im Grundsatz natürlich genauso auf die Versicherungsbranche zu. Bereits heute deutlich erkennbar werden sich Versicherungsunternehmen in nur wenigen Jahren in einer ähnlichen Situation befinden wie die Banken heute. Der Vertrieb der Policen erfolgt ebenso online wie die Schadensregulierung, und die Berechnung der Schadensquoten erfolgt auf Basis von Computermodellen. Die Aufgaben eines klassischen Sachbearbeiters in einem Versicherungskonzern werden durch diese Entwicklung hinfällig. Vor dem Hintergrund der Digitalisierung von Prozessen ist nicht nachzuvollziehen, warum das verantwortliche Management nicht bereits vor vielen Jahren das damit verbundene Einsparungspotenzial erkannte.
Im Bankensektor ergibt sich für uns ein ähnliches Bild wie im Medienbereich, wenn es um die Frage geht, ob eine deutsche Bank zukünftig den internationalen Bankenmarkt konsolidieren wird.
Zusammengefasst müssen wir feststellen: Die größte Volkswirtschaft Europas arbeitet vergleichsweise mit dem schwächsten Bankensystem. Das ist eine schwerwiegende Folge des verlorenen Jahrzehnts und ein echter Standortnachteil für Deutschland.
Automobilindustrie: Volumen ist nicht alles
Und die Automobilindustrie, das Aushängeschild der deutschen Wirtschaft? Hier scheint die Welt im deutschen Sinne noch bestens geordnet. Allerdings nur auf den ersten Blick. Zwar steht VW endlich, nach jahrelangen Anstrengungen des ehemaligen Chefs Martin Winterkorn, auf Platz 1 des weltweiten Rankings nach Absatzzahlen. Doch Toyota, der langjährige Weltmarktführer, bewegt sich in Sichtweite. Die Differenz bei der jährlichen Produktion beträgt im Jahr 2019 knapp 200.000 Fahrzeuge, was, bezogen auf die Produktionskapazitäten der beiden Konzerne, einer Rundungsdifferenz (ca. zwei Prozent) entspricht. Als nächstgrößte deutsche Unternehmen im Ranking werden Daimler (erst) auf Platz 12 und BMW auf Platz 13 geführt.10
Als aus deutscher Sicht besorgniserregender muss allerdings ein anderer Vorgang bewertet werden: Im Listing der weltweit größten Automobilproduzenten liegt der chinesische Konzern Geely, der Volvo übernommen hat, nur knapp hinter BMW auf Platz 14. Dieser chinesische Konzern hat sich im Jahr 2018 mit 9,7 Prozent an Daimler beteiligt.11 Wir können uns schwer vorstellen, dass daraus einmal eine Überkreuzbeteiligung entstehen könnte, wohl aber, dass Geely versuchen wird, seine Beteiligung an Daimler aufzustocken.
Vertreter des Geely-Konzerns hatten Conny bereits vor einigen Jahren gefragt, ob man eine Beteiligung an der Daimler AG erwerben könne. Conny hielt dies damals für eine „Spinnerei“ und verwies seine Gesprächspartner an Investmentbanken. Vor einigen Monaten wurde bei einem Meeting mit Conny und Thomas in Hongkong von Investmentbankern, die für einen chinesischen Staatsfond tätig sind, sehr ernsthaft nach der Möglichkeit gefragt, ein größeres Aktienpaket von Daimler zu kaufen – unabhängig von der Beteiligung von Geely an Daimler. Auch dieses Beispiel verdeutlicht das große Interesse chinesischer Investoren an deutschen Technologien. Es scheint fast so, als wäre inzwischen fast jeder größere deutsche Mittelständler von chinesischen Investoren angesprochen worden.
Während die deutsche Automobilindustrie mit den Aufräumarbeiten der durch sie selbst verschuldeten Diesel-Affäre abgelenkt und belastet ist, arbeiten ihre internationalen Wettbewerber fieberhaft an neuen Konzepten und Geschäftsmodellen. Zwischenzeitlich entwickelt sich Geely mit seiner Marke Volvo zu einem ernsthaften Wettbewerber für die deutschen Premiumanbieter wie BMW, Audi und Mercedes, an dessen Mutterkonzern Geely beteiligt ist.
Mit einem Schuss Galgenhumor kann man die heutige Situation der Automobilindustrie, in die sie zum Teil unverschuldet, zum Teil aber durch eigenes Tun oder Unterlassen – Stichwort „Diesel“ – geraten ist, auch so beschreiben: Tesla,