Zukunft verpasst?. Thomas Middelhoff

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Zukunft verpasst? - Thomas Middelhoff

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an einer deutschen Universität vergeblich suchen. Auch die Grafiken, die dort auf Displays in ansprechend animierter, moderner und systematischer Form über die Bedeutung der Kooperation von Forschung und Venture Capital informieren, wären an einer deutschen Universität in dieser Form nicht vorstellbar.

      Wir lernen auch, dass diese Universität einen der größten Investment Fonds betreibt, der seinen amerikanischen Counterparts in nichts nachsteht. Aber unseren chinesischen Gesprächspartnern geht es nicht um Größe, sie wollen vor allem internationalisieren, Wege finden, wie die Universität noch innovativer arbeiten kann. Es geht ihnen darum, die richtigen Instrumente zu finden und zu nutzen, um international Best in Class zu sein. Hierfür wollen sie von anderen Ländern lernen und mit ihnen kooperieren.

      Auf der Rückfahrt von diesem Treffen zum Hotel, wo wir zu einem Dinner eingeladen haben, diskutieren wir die Eindrücke dieses Tages an der Tsinghua-Universität. Der Smog hängt jetzt noch dichter über Peking, während sich unser Van zur Rush Hour durch den Verkehr quält. Für eine Strecke von knapp fünf Meilen benötigen wir mehr als 90 Minuten. Alexander prüft den aktuellen Smog-Grad über eine App. In China gibt es für fast jeden Bedarf eine App.

      Alex rechnet auf Basis der Messdaten seiner App aus, dass wir während der knapp 90 Minuten, obwohl die Fenster des Vans geschlossen sind, mit dem Smog Luft eingeatmet haben, die dem Rauchen von vier Packungen Zigaretten entspricht. Und genauso fühlen wir uns, als wir endlich das Hotel erreichen.

      Wir stellen uns die Frage, wie stark der eindrucksvolle wirtschaftliche Aufschwung zu Lasten der Umwelt und damit verbunden auch der Lebensqualität geht. Wurden in dieser Hinsicht nicht bereits Grenzen überschritten, und wird sich dies in Zukunft noch korrigieren lassen? Andererseits investiert Conny bereits seit Anfang der 2000er-Jahre in chinesische Start-ups, wie zum Beispiel in das heutige Unicorn Ctrip. Als Unicorn wird ein Unternehmen bezeichnet, das bereits im Start-up-Stadium eine Unternehmensbewertung von über einer Milliarde Euro erreicht hat. Conny beeindruckte bereits damals vor allen Dingen die Geschwindigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung und das ungewöhnlich große gesellschaftliche Interesse an Technologie und Start-ups in China.

      Die Stimmung lockert sich während des Abendessens auf. Unser Gesprächspartner im hervorragenden japanischen Restaurant des St. Regis ist Gao Xiqing, ebenfalls ein Professor, diesmal der Rechtswissenschaften, und zudem einer der führenden Venture Capitalisten des Landes. Ein Rockstar in der chinesischen Finanzszene, aber ein bescheidener. Andere Gäste im Restaurant, die ihn erkennen, kommen zu unserem Tisch und bitten sehr höflich um ein Foto mit ihm. Beiläufig erwähnt Gao Xiqing, dass er nicht nur der ehemalige Präsident und Chief Investment Officer der China Investment Corporation war, sondern darüber hinaus der erste Chinese überhaupt, der das New York Bar Exam bestand und in den USA als Anwalt zugelassen wurde. Heute hält er an der Tsinghua Vorlesungen in chinesischem Finanz- und Zivilrecht.

      Wir sind zutiefst beeindruckt von dem, was wir heute gesehen und erlebt haben, daran kann auch der Smog nichts ändern: das Tempo der Veränderung, die eindrucksvollen Bedingungen an den Universitäten, die Masse an hervorragend qualifizierten Studenten, der Ehrgeiz und der Wille, sich durchzusetzen, die enge Verzahnung zwischen Wissenschaft, Forschung, Inkubationszentren und Politik. Dass diese Entwicklung in einem Zeitraum von weniger als 15 Jahren möglich war, zeigt, dass auch Gesellschaften mit tausendjähriger Tradition und Kultur wandlungsfähig sein können.

      Wir haben das nicht zum ersten Mal erlebt: Auch unser Partner Professor Jiren Liu, der legendäre Gründer von Neusoft, dem größten chinesischen Softwareunternehmen, gründete drei eigene Universitäten in Dalian, Chengdu und Guangzho nach dem gleichen Muster wie die Tsinghua: enge Verzahnung zwischen Forschung, Lehre, Inkubatoren und Start-ups. Knapp 40.000 Studenten lernen, forschen, entwickeln und vor allen Dingen gründen an den Neusoft-Universitäten und sind so letztendlich eine verlängerte Werkbank des Unternehmens. Ein Ansatz, der in Deutschland undenkbar wäre.

      Uns alle bewegt eine Frage: Wie will Europa – und vor allen Dingen, wie kann Deutschland – in Zukunft mit dieser „Mega-Nation“ eigentlich noch mithalten? Ein Land, in dem allein die fünf größten Städte zusammen mehr Einwohner haben als Deutschland insgesamt. Städte, ausgestattet mit einer perfekten digitalen Infrastruktur, die man in deutschen Zentren in dieser Qualität vergeblich sucht! Andererseits verursacht das schnelle Wachstum ohne Frage Probleme in verschiedenen infrastrukturellen Bereichen wie zum Beispiel Energie, Luftverschmutzung oder innerstädtischer Verkehr.

      Zum Dinner ist unser Gesprächspartner wie zu allen seinen Terminen in der Stadt mit dem Fahrrad gekommen. Seinen Helm hat er auf einen Stuhl hinter sich gelegt, daneben die Atemmaske, die im Mundbereich dunkel eingefärbt ist.

      Er ist locker, witzig, intelligent und bescheiden, ja, fast demütig wirkt er auf uns. Aber wir spüren seinen entschlossenen Willen und seine Durchsetzungskraft. Kurz vor den ersten Trinksprüchen erfahren wir, dass er bereits für viele wichtige Deals auf chinesischer Seite verantwortlich zeichnete. Als er erwähnt, dass er für die chinesische Regierung die Übernahme von 10 Prozent an Blackstone, dem weltweit führenden amerikanischen Private Equity-Unternehmen, verhandelt hat, wird uns allen klar: All das, was wir an diesem Tag in Peking erlebt haben, im positiven wie auch im negativen Sinne, wäre in dieser Form in Deutschland völlig undenkbar.

      Vor allem deutsche Universitäten werden heute und noch viel mehr in der Zukunft nur begrenzte Chancen im Wettbewerb mit diesen chinesischen Elite-Universitäten haben. In China stehen Unternehmen und wohlhabende Alumni mit großen finanziellen Mitteln hinter den Hochschulen. Unsere chinesischen Gesprächspartner sind im Hinblick auf Offenheit, Fortschritt und Innovation deutlich weiter als der Durchschnitt der deutschen Universitätsprofessoren oder Politiker. Das Internet ist in China weiter verbreitet, es wird umfassender genutzt und vor allen Dingen ist es technisch besser ausgebaut. Zudem vollzieht sich die Digitalisierung in China mit einem deutlich höheren Momentum als bei uns.

      Bereits im Jahr 2015 hat die chinesische Regierung ein Programm verabschiedet, das China bis zum Jahr 2025 zur führenden digitalen Nation dieser Welt machen soll. China hat erkannt, dass seine Tech-Giganten bislang nur wenige internationale Erfolge aufweisen können. Dies soll – und wir sind uns sicher: es wird – sich in der Zukunft grundsätzlich ändern.

      Was bedeutet das für unser Land, das sich als Wiege der Dichter und Erfinder versteht, sich seiner Ingenieurskunst rühmt und in der Vergangenheit seine internationale Wettbewerbskraft mit seinem „besseren Bildungssystem“ begründet hat?

      Unser chinesischer Gast verabschiedet sich lächelnd mit der Bemerkung, in dem Pool dieses Hotels schwimme er jeden Morgen seine 500 Meter. Er winkt uns freundlich zu, nimmt seinen Fahrradhelm und die Atemmaske und verschwindet in die Dunkelheit. Wir blicken uns nachdenklich an.

      Wir bleiben noch einige Minuten am Ausgang des Hotels stehen. Uns geht beiden dieselbe Frage durch den Kopf, die wir uns fast zeitgleich stellen: „Haben wir in Deutschland den Anschluss verpasst? Wie wollen und wie können wir in Zukunft mit einem Land wie China noch mithalten?“

      Was wir in diesem Moment noch nicht wissen können: Die Antwort auf diese Frage wird in den kommenden Wochen in Europa und in Deutschland eine ganz neue, ungeahnte Dynamik bekommen. Nur wenige Tage nach unserer Abreise werden in Wuhan die ersten Infektionen mit Covid-19 öffentlich bekannt. Bei der Bewältigung dieser in ihrer weltweiten Dimension bislang nie gekannten Herausforderung für die Wirtschafts- und Arbeitswelt, das Gesundheitswesen und unsere soziale Interaktion werden wir in Deutschland lernen, in einem Ausmaß auf die Digitalisierung zu bauen, wie wir es vorher nie für möglich gehalten hätten.

      DAS VERLORENE JAHRZEHNT: UND WIEDER IST DIE ELITE NICHT SCHULD

      Alle verfügbaren Daten belegen, dass Deutschland vor allen Dingen in

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