Abendland. Richard Faber
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Abendland - Richard Faber страница 5
In die Reihe derjenigen Begriffe, die die politischen Gruppen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts – und noch darüber hinaus – polarisierten und polarisieren sollten, gehört an prominenter Stelle auch der des Abendlands.* Bei Schmitt selbst spielt der Abendland-Begriff expressis verbis zwar keine Rolle.** Er verwendet an seiner Stelle aber, und mit spezifisch nationalistischer Engführung, den Begriff des Reiches***, der von anderen, zumal von den katholischen Reichsvisionären, mit Europa und dem Abendland synonymisiert wird. Abendland – Reich – Europa, diese begriffliche Trias bildet eines der Zentren, wo immer es in der Weimarer und der ersten Österreichischen Republik um reaktionäre Visionen und konservative Revolutionen geht.
Sicherlich, die Interpretationen und Inhalte sind verschieden: Was Oswald Spengler im Untergang begriffen zu sein scheint, das wird für die katholisierenden Gegenrevolutionäre zum Kristallisationspunkt eines neuen Aufgangs: das »christliche« Abendland. Zwar stehen auch sie unter dem Eindruck der »fundamentalen Wende« von Aktium2, aber im Gegensatz zu Spengler und Schmitt, die eine neopagane, ja antichristliche Ordnung mit vorbereiten wollen, geht es ihnen, wie den Hoch- und Spätromantikern des 19. Jahrhunderts, um die Restauration der »integralen Tradition« Europas (Leopold Ziegler), das heißt einer tendenziell christ-katholischen.
Auch der junge Schmitt war ihr einmal verpflichtet, freilich nicht zuletzt deshalb, weil er schon in ihr das römisch-imperiale Element als bestimmend erkannt hatte. Im Gefolge Spenglers brauchte er es nur zu verabsolutieren, um wie dieser Cäsarist und Imperialist im modernen – faschistischen – Sinn zu werden. Ein Telos, dem – weil dem Geist der Zeit und ihrer Machtverhältnisse entsprechend – auch die christlich-mittelalterlich orientierten Reichstheologen nur schwerlich ausweichen können. Sie stehen gleichfalls unter dem Bann des imperialistischen Fundamentalsatzes: »Du aber, Römer, gedenke mit Macht der Völker zu walten,/Dies sei deine Berufung – des Friedens Gesetze zu ordnen, / Schon den, der sich gefügt, doch brich den Trotz der Rebellen!«.3 So hatte ihn Vergil, der »Vater des Abendlands« (Theodor Haecker), in jener Zeit formuliert, die für Schmitt »zentral ist und so lange es bleiben wird, wie dieser Äon besteht«, »die Beziehung unserer Gegenwart auf die Zeitwende, mit der unser Äon einsetzt, die Zeit der römischen Bürgerkriege und des Cäsarismus.«4
Vergils Satz ist die politische Pointe des »Alten Testaments des gesamten europäischen Westens«, als das Rudolf Borchardt Vergils apologetisches Rom-Gedicht5, die Äneis, 1930 bezeichnet. Er kann Vergil, wie Haecker in seinem Vater des Abendlands vom selben Jahr, die »anima naturaliter christiana« nennen und doch, wie der (prä-) faschistische Schmitt, auf ein cäsaristisches und imperialistisches Preußen-Deutschland hinarbeiten, das das Wilhelminische an Konsequenz und Radikalität bei weitem übertreffen soll. Schmitt-Schüler wie Christoph Steding und Robert Hepp betrachten ein solches Preußen-Deutschland als Land der »vollendeten Reformation«6, das heißt – neopagan – als den providentiellen Ort, wo die jüdisch-christliche Negation des sakrosankten und nur insofern wirklich souveränen, da totalen Staates rückgängig gemacht wird. Dieser Staat, und nur er, soll – nach dem Weimarer »Interregnum« – wieder und erst recht »Freund und Feind« bestimmen können, so wie es Schmitt im Begriff des Politischen postuliert hat.
Daß die Weimarer Republik ein »Interregnum«, also eine »schreckliche, kaiser-« oder führerlose »Zeit« gewesen sei, diese geschichtsphilosophische ›Einsicht‹ ist noch für Armin Mohlers Interpretation der Konservativen Revolution bestimmend.7 Und Steding, dem selbst der Bolschewismus nur eine Begleiterscheinung des Verfalls Europas, das heißt des Reiches zu sein schien8, begriff die gesamte Neuzeit als einen fortlaufenden Prozeß der Dekomposition des Reiches und deswegen – Schmitt folgend – »als ein Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen«.9 Aber in diesem tiefen Verfall – in den Jahren 1931/32 kulminierend – hatte er den »unerschütterlichen Glauben«, daß sich »Deutschland […] mitten in einer neuen Reichsgründungszeit« befinde.10
1. Deutsche Romanitas per translationem imperii
Die gesamte konservativ-revolutionäre Akademikergeneration des preußischen Deutschland stand unter dem Eindruck von Arthur Moeller van den Brucks programmatischem Buch Das dritte Reich und seiner Losung: »Preußen muß sein«. So dichtete etwa der mit Moeller und vor allem Martin Spahn verbundene Eduard Stadtler, wie dieser ein katholischer Preuße, 1931: »Preußen muß wieder preußisch werden / Soll das Reich nicht untergehen.«11 Für andere freilich war das Reich gerade an Preußen gescheitert; Moellers Freund und Nachlaßverwalter Hans Schwarz sprach daher in gewollter Analogie zu dem von Schmitt konstatierten »antirömischen Affekt« von einem »antipreußischen Affekt«.
Selbst solchen Preußen wie Steding oder gar Spahn und Stadtler blieb nicht verborgen, daß die von ihnen angestrebte berufsständische Ordnung katholisch-mittelalterlich war.12 Sollte das Reich großdeutsch werden, mußte es notwendig – wie dialektisch auch immer – antipreußisch werden; der Faktor des habsburgischen Österreich war mit Königgrätz nicht endgültig aus der mitteleuropäischen Politik verschwunden. Was die »Legitimität« angeht, so wußte – nach einem Wort Wilhelms II. – kein geringerer als Bismarck, »daß die echte Krone in Wien sei«.13 Und mit dem Legitimitätsproblem stellte sich erneut die Glaubensfrage.*
Auch in dieser Hinsicht verteidigen Katholiken – gerade 1933 – nachdrücklich ihr »›Erstgeburtsrecht‹ auf das Reich«14. Nicht dualistisch wie Lutheraner, sondern analogisch, sind sie mit Reinhold Schneider überzeugt, daß »das Innerste eines jeden Reichs die Bitte ist: ›Zu uns komme Dein Reich !‹ Denn aus dieser Bitte leuchtet das himmlische Vorbild in das irdische, der Gottesstaat in den Weltstaat, der auf jenen angewiesen ist.«15 Schneider, der »im Ringen um das Reich […] den Inhalt« seiner »Lebensarbeit« sieht16, nennt »das Reich […] die größte Konzeption einer christlichen Ordnung auf Erden«17.** Andere wiederum wollen zu seiner – wie sie meinen – reinen, und das heißt monistischen Urgestalt zurück, so wie sie für das Abendland das antike Rom verbindlich geboten hätte; sie stellen auf einen Neopaganismus ab. Doch »Roma« bleibt gerade auch für Katholiken »aeterna«, und nicht nur im Blick auf Deutschland. Nicht zuletzt hierin sind sie mit Schneider einig, für den alle europäischen Völker irgendwann – kurz oder lang – am Imperium Romanum und seinem Erbe Anteil gehabt haben. Allerdings bleibt für alle Reichstheologen oder zumindest -visionäre unbestreitbar, daß das deutsche Volk das »Reichsvolk« ist.*** »Romanitas« – die nicht zuletzt auch den »imperialen Katholizismus« der Epoche qua Kirche bestimmt – und Deutschtum sind mutatis mutandis die Konstitutiva der deutschen Reichsideologie: eine deutsche Romanitas per translationem imperii.
2. Das Reich als »complexio oppositorum«
Ihr Ende – in jedem Sinn – erreicht die Reichsideologie im Nationalsozialismus, der gerade auch in dieser Hinsicht eine »complexio oppositorum« ist, je nach der Situation einmal mehr hier oder dort den Akzent setzend: Begann er in Potsdam als »Drittes Reich« Wirklichkeit zu werden, so endete er – nach der kurzen »großdeutschen« Reichs-Phase – beim »Reich« einfach und schlechthin, als dem Umfang nach mittelalterliche Verhältnisse hergestellt worden waren und sich damit eine mittelalterliche Analogie überhaupt anbot. Das war Hitler, einem Romano- und Ekklesiophilen von Graden, auch ideologisch genehm. Im Zeichen des Rußland-Feldzuges fehlt in der nationalsozialistischen Propaganda sogar das Stichwort Abendland nicht; die