Abendland. Richard Faber

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ist keine einheitliche und kann es bei den historischen Unterschieden, die ihre jeweilige Gestalt im 20. Jahrhundert bestimmen, auch gar nicht sein. Zu Beginn des Jahres 1933 werden die Unterschiede noch offen beim Namen genannt, und ein freilich gezähmter Ideologienkampf ist durchaus im Gange. Aber bereits damals tritt hinter dem »Daß« der neuerlichen Reichsgründung die ihr konkret zu gebende Gestalt zurück; sie kann es, weil weithin die historischen Kostüme nur Kostüme sind, ein quid pro quo: Was ins Gewicht fällt, ist, daß die »›Republik‹ […] in den Hintergrund getreten« ist. Positiv gewendet: »Es ist [überhaupt] wieder vom ›Reich‹ die Rede […] An voreiligen und abwegigen Antworten fehlt es gewiß nicht. Verheißungsvoll für die Zukunft aber ist die Entschiedenheit, mit der das Reich von den verschiedensten Menschen und Kreisen als die politische Aufgabe unseres Volkes schlechthin gesehen wird.«18 Diese Worte des katholischen Reichstheologen Auguste Schorn sind durchaus repräsentativ: Hinter dem unbändigen Willen zum Reich verblassen die zum Teil unversöhnlichen Differenzen der angestrebten Gestaltungen.

      3. Neo-Vergilische Reichsapokalyptik

      So wies Minn in seinem 1930 in der rechtskatholischen Allgemeinen Rundschau von Georg Moenius erschienenen »Vergil«-Aufsatz ausdrücklich auf »unsere schmerzhafte ›Gleichzeitigkeit‹« mit »der augusteischen Epoche« hin und beschäftigte sich ausführlich-affirmativ mit der Vergil-Ideologie des faschistischen Italien.20 Schmitt schließlich, der noch in den fünfziger Jahren »trotz aller hegelisch-stalinistischen Geschichtsdialektik […] kein anderes Mittel geschichtlichen Selbstverständnisses« kennt als eben »die große historische Parallele«21, schloß wiederholt Aufsätze mit dem verballhornten Vergil-Vers: »Ab integro nascitur ordo.« Reichsapokalyptisch einen völkerrechtlichen von 1939/40: »Die Tat des Führers hat dem Gedanken unseres Reiches politische Wirklichkeit, geschichtliche Wahrheit und eine große völkerrechtliche Zukunft verliehen. – ›Ab integro nascitur ordo.‹«22

      Bergengruen beschwört – wie selbstverständlich und in ›legitimer‹ Vergil-Rezeption – den Kaiser im Kyffhäuser: Friedrich II. von Hohenstaufen. »Selbstverständlich«, obwohl Bergengruen gerade auch in der Tradition der christlichen Vergil-Rezeption steht, aber eben in der hellenistisch-römischen Christentumstradition, wie Verse des Gedichts Das Licht im Aufgang zeigen, die gleichsam die geschichtstheologische Zusammenfassung der Bergengruenschen Reichsapokalyptik darstellen: »[…] Engelscharen tragen nieder / den neubereiteten Äon.« »Äon« und »Engelscharen« – der Hellenismus hindert Bergengruen nicht, sondern ermöglicht ihm, Augustus mit Christus zusammenzudenken und von einer »neuen Fülle der Gezeiten« zu sprechen.24

      4. Konservative Utopie des Abendlandes

      Diese Aufgabe steht vor den abendländischen Völkern als solchen; zumindest nach diesen Ausführungen Bergengruens weiß man nicht, worin sie sich wesentlich von jener Aufgabe der zwanziger bis vierziger Jahre unterscheidet. Bergengruens Sprache ist und bleibt die der Reichsvision des Zwischenkriegs; sein Nachwort von 1950 endet mit den Worten: »Es steht der Dichtung nicht zu, die Formen künftiger europäischer und übereuropäischer Zusammenschlüsse vor ihr Urteil zu laden und Erwägungen darüber anzustellen, auf was für Schultern die ehemals kaiserliche Aufgabe in Zukunft ruhen werde. Wohl aber darf sie in ihrer Weise daran erinnern, daß jene Zusammenfassungen der Völker, auf die wir hoffen, von den nämlichen seelischen und geistigen Kräften getragen sein werden, die dereinst das Bild des alten Reiches geformt haben. Und so wird etwas von ihm weiterleben und des Kaisers ewige Gestalt überall dort zugegen sein, wo Steine zum überwölbenden Bau des neuen Völkerhauses zusammengetragen werden.«29

      *Im eigentlichen Sinne geht es bei Schmitts konkreter Begriffsbildung weniger um Kampfbegriffe als um »Kampfmythen« (vgl. C. Schmitt, Hugo Preuss. Sein Staatsbegriff und seine Stellung in der deutschen Staatslehre, Tübingen 1930, S. 5 sowie R. Faber, »›Begriffsgeschichte‹ und ›Mythologie‹. Methodologische Vorüberlegungen zur Kritik des ›politischen Kampfbegriffs‹ Abendland«, in: Aufmerksamkeit. Klaus Heinrich zum 50. Geburtstag, hrsg. von O. Münzberg und L. Wilkens, Frankfurt/M. 1979, S. 140–150).

      *Im zweiten Nachkrieg erringt die Abendland-Ideologie noch größere öffentliche Erfolge als im ersten, obgleich sie direkt aus ihm herrührt, immunisiert durch den Scheinheiligenschein des ›Widerstands‹.

      

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