Sturm über Ravensmoor. Ursula Isbel-Dotzler
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Читать онлайн книгу Sturm über Ravensmoor - Ursula Isbel-Dotzler страница 4
Ich dachte, dass es Duncan recht geschehen wäre, wie ein Zombie durch die Gegend laufen zu müssen. Schließlich hatten er und sein Freund den Unfall selbst verschuldet, weil sie viel zu schnell über die kurvige Küstenstraße gebrettert waren. Jetzt sollten auch noch Kim und Flora für seinen Leichtsinn bezahlen. Das war ungerecht.
Wieder herrschte ratloses Schweigen. Dann hob Kim das Gesicht aus dem Taschentuch und sagte leidenschaftlich: »Wenn ich doch bloß ein paar Jahre älter wäre! Ich könnte die Schule hinschmeißen und irgendwo arbeiten, kellnern zum Beispiel oder Touris über den Küstenpfad führen. Irgendwas, um Kohle zu verdienen. Aber das lassen sie mich nicht. So was ist nicht standesgemäß, sagt mein Vater. Wenn ich achtzehn wäre, würde ich mich einen Scheiß darum kümmern, was sie standesgemäß finden und was nicht … «
»Du darfst die Schule nicht hinschmeißen!« Hinter Mamas Stirn arbeitete es. Ich glaubte förmlich zu sehen, wie ihr die Gedanken durch den Kopf wuselten. Bisher hatte sie für alles immer eine Lösung gefunden, dafür war sie in unserer Familie zuständig.
Ich hoffte, dass sie auch diesmal einen Geistesblitz haben würde. Nur war das nicht so einfach. Die Ravensmoors wollten sich bestimmt nicht von Leuten wie uns helfen oder Vorschriften machen lassen.
»Du brauchst eine gute Ausbildung, Kim, damit du später auf eigenen Beinen stehst und einen Beruf hast, der dich glücklich macht. Ich dachte, du würdest gern Tierärztin werden. Dazu gehören eine abgeschlossene Schulbildung und ein Studium.«
Aber Kim hatte jetzt keinen Kopf für Zukunftspläne. Sie sagte, das sei ihr alles egal.
»Ich will Flora behalten, sonst nichts! Wer weiß, was aus ihr werden würde. Es gibt so viele Menschen, die schlecht mit ihren Tieren umgehen. Pferde sind für viele Reiter nur eine Art Sportgerät. Wenn sie nicht richtig funktionieren, werden sie wieder verkauft, bis sie irgendwann auf einem dieser abartigen Schlachttransporte landen.«
Ich erschrak. Das war das schlimmste Schicksal für ein Pferd, das man sich ausmalen konnte. Kim redete schon weiter.
»Wenn die neuen Besitzer zu spät merken, dass Floras Fesselgelenke nicht in Ordnung sind, würden sie sie vielleicht rücksichtslos zuschanden reiten oder eben wieder verkaufen. Ich könnte nicht mehr schlafen, wenn ich nicht weiß, was aus ihr wird.«
Mama nickte. »Ich verstehe, dass du dir Sorgen machst. Aber es gibt doch auch Menschen, die verantwortungsvoll mit ihren Pferden umgehen. Sicher würden deine Eltern darauf achten, dass Flora in gute Hände kommt.«
Kim presste die Lippen zusammen. Ich dachte schon, sie wollte nicht antworten, aber dann erwiderte sie leise: »Die sind nicht wie Sie und Ihre Familie. Meine Mutter mag Tiere nicht besonders und mein Vater – er könnte nicht auf Fuchsjagden gehen, wenn er wirklich tierlieb wäre. Sie werden Flora an den verkaufen, der am meisten für sie bietet.«
Sie war aufgestanden. »Ich muss wieder nach oben«, murmelte sie. Mir fiel auf, dass sie nie »zu Hause« sagte, immer nur von »dort oben« oder von »Ravensmoor« redete.
»Wie lange hast du noch Zeit?«, fragte Niels. »Ich meine, wie bald wollen sie Flora verkaufen?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Mein Vater ist unberechenbar. Normalerweise schiebt er die Sachen vor sich her. Nur wenn ihm die Banker im Nacken sitzen … Aber so weit lasse ich es nicht kommen. Lieber verschwinde ich mit Flora.«
»Das geht doch nicht!«, wandte ich ein. »Jetzt, im Winter. Und nach Little Eden kannst du sie nicht mehr bringen, dort würden sie euch zuerst suchen. Sie wissen ja, dass du Flora im Herbst bei Stevie versteckt hast.«
»Versprich, dass du nichts Unüberlegtes tust!« Mamas Ton war eindringlich. »Ich denke darüber nach, wie wir das Problem lösen können. Du bist nicht allein.«
Kim gab keine Antwort. Ich begleitete sie hinaus. Flora stand bei Kringle und Smilla auf der Koppel. Sie sah so zufrieden und glücklich aus, wie sie da an den spärlichen Wintergrashalmen rupfte, den silbrigen Hals glänzend von der Feuchtigkeit des Seewindes. Wir hatten sie vor Duncans Zugriff bewahrt und geglaubt, jetzt sei sie endlich in Sicherheit.
Kim löste die Zügel, die sie hochgebunden hatte. »Ich würde alles für sie tun, alles!«, sagte sie leise. »Lieber springe ich mit ihr über die Klippen, ehe ich zulasse, dass sie weggebracht wird.«
4
Nachts lag ich stundenlang wach und lauschte auf das ferne Gischten der Wellen, die sich an den Felsen brachen. Kims Worte gingen mir nicht aus dem Sinn: Lieber springe ich mit ihr über die Klippen …
Ich kannte sie inzwischen gut genug, um zu wissen, dass sie es nicht nur so dahingesagt hatte. Kim war zu allem fähig, wenn sie verzweifelt oder zornig war oder sich in die Enge getrieben fühlte.
Voller Unruhe wälzte ich mich hin und her. Meine Füße waren heiß, aber sobald ich sie unter der Bettdecke hervorstreckte, fror ich. Ich wurde die Gedanken an Kim und Flora einfach nicht los.
Schließlich stand ich auf und tappte in die Küche hinunter, um mir den Bauch mit Cornflakes vollzuschlagen. Cornflakes mit Milch und Ahornsirup helfen mir manchmal, wenn ich nicht schlafen kann.
In der Küche brannte Licht. Niels saß am Tisch und las in einem Buch.
»Was machst du hier mitten in der Nacht?«, fragte ich.
»Lesen, das siehst du doch. Und du?«
»Ich muss was essen.« Ich setzte mich zu ihm. »Was liest du da?«
»Eine Abhandlung darüber, wie die Kelten ihre Toten begraben haben.«
Das munterte mich nicht gerade auf. Niels warf einen Blick auf mein Gesicht und fragte: »Was ist los?«
Ich überlegte, ob es Kim gegenüber fair war, wenn ich Niels verriet, was sie beim Abschied zu mir gesagt hatte. Aber sie hatte mir nicht verboten darüber zu reden und außerdem konnte ich es einfach nicht für mich behalten.
Niels hörte schweigend zu und überlegte dann eine Weile. Seine unaufgeregte, vernünftige Art hat mir schon oft geholfen, wenn ich total daneben war.
»Und du denkst, sie hat das ernst gemeint?«
»Ich trau es ihr zu, Niels. Sie ist so ein Entweder-oder-Typ, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Hm. Ich glaube, dass du sie ganz richtig einschätzt. Auf alle Fälle solltest du in Ruhe mit ihr darüber reden, und zwar bald. Sie scheint ziemlich in Panik zu sein.«
»Ja, aber was soll ich ihr sagen? Dass sie nichts machen kann und zulassen muss, wenn Flora verkauft wird? Sie ist so verdammt allein, weißt du. In ihrer Familie und auch in der Schule war sie immer eine Außenseiterin. Keiner von denen da oben hat sich je wirklich um sie gekümmert.«
Mein Bruder nickte. »Komischer Clan. Wir haben schon Glück mit unseren Eltern,