Handbuch der Sprachminderheiten in Deutschland. Группа авторов

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Maßnahme durch ihre Effektivität von grundlegender Bedeutung sein kann. Diese zwei Begriffe bilden ein Kontinuum, das mit zwei Beispielen illustriert werden kann:

      2014 ist das Biikebrennen in Nordfriesland in das nationale Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen worden. Es gab angeblich eine alte Tradition, dass am 21. Februar ein großes Feuer, die Biike, angezündet wurde, um zum Beispiel die Walfischfänger auf den Inseln zu verabschieden. Tatsächlich stellte sich heraus, dass diese Tradition etwa um 1830 vom Sylter Chronisten C.P. Hansen erfunden worden ist (Panten/Jessel 2004). Dennoch gilt das Biikebrennen heute als ein wichtiger Bestandteil friesischer Kultur, der jedes Jahr viele Touristen anlockt.1 Die Friesen haben viel Zeit und Energie investiert, um das Biikebrennen als Teil des immateriellen Kulturerbes anerkennen zu lassen, was auch gelungen ist. Der Nachweis muss aber noch erbracht werden, welchen Nutzen diese Anerkennung – als Beispiel einer symbolischen Maßnahme – der friesischen Sprachgemeinschaft tatsächlich bringt.

      Am anderen Ende des Kontinuums wäre zum Beispiel der Ausbau eines friesischen Schulsystems eine instrumentale Maßnahme, etwa analog zu dem Schulsystem der dänischen Minderheit, die sich aber kaum realisieren lassen wird (vgl. Kap. 7.3.2).

      Es wäre wünschenswert, eine Diskussion über die verschiedenen Strukturen zu führen, über die die friesische Volksgruppe inzwischen verfügt, um deren Bedeutung und Effektivität zu analysieren und ggf. zu reformieren. Es scheint erste Ansätze zu geben,2 aber bislang fehlt ein geeignetes Forum für eine solche Diskussion.3

      5.2 Sprachenpolitik

      Der deutsche Begriff „Sprachenpolitik“ umfasst die beiden englischen Konzepte „language policy“ und „language politics“. Da eine inhaltliche Differenzierung im Deutschen sinnvoll wäre, gibt es in der deutschsprachigen Literatur entsprechende Ansätze, zum Beispiel, dass „Sprachpolitik“ dem englischen Begriff „language politics“ entsprechen könnte, während „Sprachenpolitik“ mit dem Begriff „language policy“ gleichzusetzen wäre (Walker 2011a).

      Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich die Sprachenpolitik in Schleswig-Holstein, aber nicht nur dort, weitgehend zu einer Politik der Diskriminierung bzw. Unterdrückung.1 Dies manifestierte sich u.a. darin, dass von schulischer Seite Eltern empfohlen wurde, nur Hochdeutsch mit ihren Kindern und nicht Friesisch oder Niederdeutsch zu sprechen, um Schwierigkeiten in der Schule zu vermeiden. Dies hat in vielen Fällen zum Bruch in der Weitergabe dieser beiden Sprachen in der Familie geführt. Es wird auch berichtet, dass Kinder mit Friesisch oder Niederdeutsch als Muttersprache vom Englischunterricht ausgeschlossen wurden, weil sie erst einmal Hochdeutsch lernen müssten.2

      In den 1970er Jahren begann sich diese Einstellung im Zuge der so genannten „Renaissance der Regional- oder Minderheitensprachen“ langsam zugunsten der kleinen Sprachen zu ändern, was u.a. zu einer verstärkten strukturellen, politischen und rechtlichen Förderung der friesischen Volksgruppe führte.

      Schleswig-Holstein rühmt sich gerne wegen seiner Minderheitenpolitik, die ein Vorbild für Europa sein soll. Dies mag für die beiden nationalen Minderheiten, nämlich die dänische Minderheit im Landesteil Schleswig sowie die deutsche Minderheit in Nordschleswig gelten, trifft aber weder für die friesische Volksgruppe noch für die deutschen Sinti und Roma zu. Dies wird oft in Erklärungen übersehen. Jüngstes Beispiel ist die Aufnahme des „Zusammenlebens von Minderheiten und Mehrheiten im deutsch-dänischen Grenzland“ ins nationale Register Guter Praxisbeispiele der Erhaltung Immateriellen Kulturerbes, wobei die Nordfriesen und die deutschen Sinti und Roma übersehen werden (Kühl 2019).

      5.2.1 Sprachenpolitik als language policy

      Dem ersten Grenzlandbeauftragten Kurt Hamer schwebte ein Projekt „Modell Nordfriesland“ vor, das er so beschrieb:

      Es müsste langfristig angelegt sein, alle Maßnahmen zur Förderung der friesischen Sprache und Kultur umfassen, und es müsste ökonomisch und ökologisch untermauert sein, damit Friesen tatsächlich in ihrer Heimat Nordfriesland sein und bleiben können. (Hamer 1990: 71)

      Leider starb Hamer zu früh, als dass er das Modell noch hätte ausarbeiten können.

      Fast der einzige Politiker, der sich ernsthaft mit der Theorie der Sprachenpolitik in Bezug auf Schleswig-Holstein beschäftigt hat, ist der frühere Landtagsabgeordnete und spätere Staatssekretär Rolf Fischer (Fischer 1998, Fischer/Schulz 1998, Fischer/Pauls 2011, Fischer 2013). Er verweist auf die erfolgreiche Minderheitenpolitik Schleswig-Holsteins, macht aber gleichzeitig auf die Gefahr des „Klammergriff[s] der Routine“ und der „Erstarrung durch ‚Bürokratisierung‘“ aufmerksam (2013: 40). Da seines Erachtens „[d]ie Wissenschaft […] heute ein Interesse am Entwurf einer zukunftsorientierten deutschen Minderheitenpolitik vermissen [lässt]“ (2013: 44), plädiert er in acht Thesen für einen „Neustart“ in der Minderheitenpolitik. Dies wird als eigenständiges Politikfeld, als politische Querschnittsaufgabe verstanden, die eine enge Zusammenarbeit von Minderheiten, Politik und Wissenschaft voraussetzt. Minderheitenpolitik gilt als „eine stetige Aufgabe“, die „nicht statisch, sondern dynamisch“ und „ebenso vielschichtig wie komplex“ ist (2013: 47).

      Den ersten Versuch, ein umfassenderes sprachplanerisches Konzept für das Friesische zu entwickeln, brachte der Friesenrat 2004 in der Broschüre „Modell Nordfriesland/Modäl Nordfriislon“ heraus, das 2006 in einer überarbeiteten Fassung neu herausgegeben wurde. Dieser erste gute Ansatz ist bis heute nicht weiter in Anlehnung an die internationale Literatur auf dem Gebiet der Minderheiten- und Sprachenpolitik entwickelt worden. Es hat zwar 2013 (Pingel 2013: 12–21), 2017 (Riecken 2017: 8) und 2018 Konferenzen zur allgemeinen Thematik gegeben, die aber den ersten Ansatz kaum weitergebracht haben. Auf einzelnen Gebieten, neuerdings etwa in der Frage von Friesisch in der Schule, gibt es positive Entwicklungen, aber sie finden sich in keinem Gesamtkonzept wieder. Problematisch ist die Frage, wer oder welche Einrichtung von der fachlichen Qualifikation her ein solches modernes sprachplanerisches Konzept entwickeln könnte und vom Aufgabenbereich her entwickeln sollte.

      2015 hat die Minderheitenbeauftragte Renate Schmack einen „Handlungsplan Sprachenpolitik“ herausgegeben, dessen Leitbild ein geschlossener Bildungsgang für die einzelnen Regional- oder Minderheitensprachen ist (Schnack 2015). Der Handlungsplan soll unter dem neuen, seit 2017 amtierenden Minderheitenbeauftragten Johannes Callsen fortgeführt werden.

      5.2.2 Sprachpolitik als language politics

      Trotz guter Ansätze seitens der Grenzland- und Minderheitenbeauftragten und vieler Sonntagsreden lässt sich die vage formulierte „policy“ nur schwer umsetzen, da die Besonderheiten einer Minderheitenpolitik in den normalen politischen Strukturen und Abläufen kaum Berücksichtigung finden. Die Umsetzung scheint u.a. durch Unwissenheit, manchmal durch eine fehlende Priorisierung seitens der teilweise überarbeiteten Behörden vernachlässigt zu werden. Es gibt aber auch positive Entwicklungen. Es ist nicht auszuschließen, dass es seitens der friesischen Volksgruppe manchmal an einem hartnäckigen Durchsetzungsvermögen und entsprechendem politischen Geschick fehlt.

      Im o.g. Handlungsplan von 2015 ist u.a. ein durchgehendes Unterrichtsangebot auf Friesisch an den Schulen in der Bökingharde mit einem Schwerpunktzentrum für die Sekundarstufe in Niebüll vorgesehen. Als eine im Fach Friesisch qualifizierte Gymnasiallehrerin sich um eine Stelle am Gymnasium in Niebüll bewarb, wurde sie jedoch abgelehnt, da ihre Hauptfächer an der Schule bereits belegt waren. Die Qualifizierung im Fach Friesisch spielte keine Rolle. Trotz des gut gemeinten Ansatzes der Minderheitenbeauftragten gibt es heute an den weiterführenden Schulen in Niebüll einschließlich des Gymnasiums keinen Friesischunterricht.

      5.3 Politische Entwicklungen

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