Kinderkriegen. Группа авторов

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das schönste auf der Welt!«

      Gestern. Ich werfe Münze. Obsessiv. Sehr oft. Es gibt Großes zu entscheiden. Die Weggabelung, vor der ich stehe, bricht aus dem Boden aus, bäumt sich auf, verwandelt sich in eine Würgeschlage, kriecht angriffslustig und erhobenen Hauptes auf mich zu, ich kann nichts machen, sie kommt näher und ich: werfe also Münze – ein bisschen peinlich – und befriedige damit meine seltsam religiöse Obsession in etwa wie folgt: »Gott, werde ich mit ihm Kinder kriegen?« Münze: »Nein.« »Gott, soll ich mit ihm Schluss machen?« Münze: »Ja.« »Gott, soll ich wirklich mit ihm Schluss machen?« »Ja.« »Wirklich?« »Ja.« »Gott, redest du hier mit mir?« »Nein.« »Gott, gibt es dich?« »Nein.«

      Irgendwann im letzten Jahr. Meine atheistische, völlig esoterikfreie Therapeutin sagt, nachdem wir ein Jahr lang daran gearbeitet haben, die Familienstrukturen aufzulösen und meine obsessiven Gedanken im Zaum zu halten, ich solle mich doch lieber an meinem erwachsenen Umfeld orientieren. Na dann, gut:

      Heute. Mein Freund und ich sind seit fast drei Jahren zusammen, ein Zehntel meines Lebens in etwa. Er macht sein Abi nach, will dann studieren. Ich bin fertig. Dissertation fast im Kasten, Roman kommt raus, Leistung bringen konnte ich immer (s.o.). Nur das andere nicht so. »Du wirst eine super Mutter«, sagt mein Vater, wenn er sieht, wie ich mit meinen vielen Cousinen spiele. »Ich wollte schon immer Kinder und hätte auch mehr gehabt, wenn dein Vater nicht so gewesen wäre, wie er war«, sagt meine Mutter.

      Ich bin 20. Meine beste Freundin und ich rauchen jeden Tag mindestens drei Joints zusammen. »Ich will ein Kind«, sage ich. »Ich auch«, klatscht sie in die Hände, »wie schön das wäre, wenn wir hier sitzen und dann ist da einfach noch so ein kleiner Mensch dabei, oder?« Ich nicke und baue.

      Jetzt. »Ich habe aber auch Bock auf Karriere«, sagt das eine Bein. »Aber das ist nicht so richtig tief, oder? Du hast doch nur Angst vor Gottes Weg«, sagt das andere. Ich werfe wieder Münze. Und schäme mich dafür. Die Menschen, die meinen dir sagen zu müssen, »worauf es im Leben tatsächlich ankommt«; Hollywood-Filme, in denen der Held nach der Krise seinen Job schmeißt und mit den Kindern in den Zoo geht; Priester oder Yogis, die über Liebe sprechen; YouTube-Videos, in denen 90-Jährige erzählen, was sie bereuen; ein Ted-Talk über Glück und Gesundheit: Immer, immer geht es um soziale Kontakte, um die Liebe, wie auch immer, um Familie und Freunde. Und ich unterdrücke, dass mein heimlicher Wunsch ist, irgendwann gut angezogen, mit guter Haltung, gutem Body und noch besserer Rhetorik, ein bisschen Witz, viel Charme und fast unausstehlicher Gelassenheit abends in einer Polit-Talkshow der Öffentlich-Rechtlichen zu sitzen und über meine literarische Arbeit und politische Themen zu schwadronieren. Und mein Vater sieht mich dabei im Fernsehen. Und dann, immer: zweifle ich an dieser Phantasie. Denn eigentlich ist mir das ein bisschen egal, wenn ich stattdessen mit meinen vier Kindern Trampolin hüpfen könnte und irgendeine Talkshow im Wohnzimmer nebenbei leise läuft. Glaube ich.

      Letztes Jahr. Ich sehe meine Freundin A nach zwei Jahren wieder. Wir waren zusammen Punks, haben gekifft, das alles. Sie hat ihren Sohn gerade in den Kindergarten gebracht, erzählt, wie schön es ist, dass er sich abgrenzt, dass er gestern zum ersten Mal keinen Bock hatte, von ihr zum Kindergarten gebracht zu werden. Sie lacht. Ich bin neidisch. Und Neid ist nur ein Symptom unserer intimsten Wünsche, oder?

      Kurz vorher. Ich besuche meine Eltern, mein Vater hat Kollegen eingeladen. Der alte Chef kommt, seine Lebensgefährtin auch. Sie hat ein Gesicht, das aussieht, als hätte sie mehr Zeit mit Lachen als mit Sorgen verbracht in den letzten 70 Jahren. Glücklich, denke ich nur, und beeindruckend. Sie ist ganz da, schaut mir in die Augen, ist groß, riesengroß in ihrem sehr kleinen Körper. Wir lachen, über was, weiß ich nicht mehr. Und irgendwann reden wir: darüber, dass ihre Mutter ihr vorgelebt hatte, dass das klassische Modell, Kinder, Mann, Haus, Geld, nicht das ist, was dich glücklich macht. Kurz ist es traurig in ihrer Stimme, ich suche nach Bitterkeit, finde keinen Funken. Depressiv sei sie gewesen. Die Mutter. Aber darüber habe man nicht gesprochen. Sie beugt sich über die Vorspeise, taucht ein in ihren Geruch, stöhnt vor Lust auf das Schwertfischcarpaccio, sie hat gelernt, das Leben zu genießen. Sie wollte also nie Kinder, war auch nie verheiratet. Meine Mutter, drei Kinder, Mann, Haus, Geld, sitzt gegenüber und wirkt etwas angespannt. Mein Vater nickt heiter und ein wenig beschwipst. Aber er hat mir doch immer erzählt, dass Menschen ohne Kinder egoistisch sind!

      Ich bin nicht mehr 13. Meine Eltern und ihre Ideen sollten hier doch keine Rolle mehr spielen! Ich muss zur Therapie!

      Abgeschweift. Mein Freund sagt, die Mutter ist die wichtigste Person am Anfang, er könne ja nicht stillen! Ich will das nicht annehmen, ich kenne mich aus mit Gendertheorien! Und gleichzeitig hasse ich es, dass ich vermute, ohnehin nur mit dem Kind sein zu wollen. Dann. Aber es geht ums Prinzip, mein Freund! Es geht ums Prinzip!

      Vor ein paar Monaten. Meine Therapeutin lächelt, sie habe eben einen Bericht gelesen, das passe doch gut, dass französische Frauen viel weniger Angst haben als deutsche Frauen, »schlechte Mütter« zu sein und die Kinder weinend im Kindergarten zu lassen. Ich nicke. Am selben Abend wird Keira Knightley auf einer Preisverleihung in meinem YouTube gefragt, wie sie es schaffe, Privates und Berufliches zu verbinden. Keira wird wütend: »Stellen Sie heute Abend dieselbe Frage auch einem Mann?«

      Ich bin 14. Ich stehe in der Küche meiner Großeltern in Kroatien, meine Mutter macht die Suppe warm, meine Oma knetet noch schnell irgendetwas, mein Großvater sitzt im Nebenzimmer, ein Kriegsveteran, Arztveteran, ein Ich-laufe-jeden-Morgen-alleine-durch-Kugelhagel-um-alle-sogar-die-Feinde-zu-retten-weil-ich-der-letzte-verbleibende-Chirurg-der-Stadt-bin, der Gestandene, sitzt am Kopf des Tisches – »Jeder hat hier seinen Platz!« – und ich will ihm gerade seinen extragroßen Löffel für die Suppe bringen, da ruft er: »Du musst jetzt lernen zu kochen. Nastasja, hilf deiner Mutter, Nastasja, geh, hol deiner Oma die Milch, wer soll dich heiraten, wenn du nicht kochen kannst?« Ich wüte. »Ich werde niemanden heiraten, der nicht selbst für sich kochen kann!«, schreie ich ins Esszimmer hinein, der alte Veteran stellt sich taub, meine Wut schlägt in mir um sich, ich verstaue sie schnell, so habe ich es gelernt, von Mama, von Oma, »schhh«, und bringe ihm seinen extragroßen Löffel.

      Jeden Sommer. Opa. Genau dieser, Chirurg, weiß also alles und sagt mir seit etwa zehn Jahren, dass 1. meine Kinder schon längst in der Schule sein sollten, weil 2. Schwangere ab 30 bei ihnen schon als Risikoschwangerschaften gegolten haben. Dann nimmt er seinen großen Löffel und schiebt ihn unter die feinen Nudeln in der Suppe.

      Terrasse, jetzt. Wer soll sich mit 30 noch trennen? Wer macht so etwas, im Ernst? Also manche, ja, meine Freundinnen, die keine Kinder wollen, oder nur vielleicht, aber ich? Ich habe nur noch zehn Minuten zum Kinderkriegen. Das ist ein Problem. Vor allem in meinem Kopf.

      Letztens. Nach dem Besuch bei meinen Eltern will ich schnell zurück, nach Hause, zu meinem Freund, in mein »erwachsenes« Umfeld, und muss vor allem aus Geldgründen die Mitfahrgelegenheit nehmen. H. ist 63, sieht nett aus auf ihrem Profil bei BlaBlaCar und ist eine von zwei Fahrerinnen unter etwa 15 Fahrern an diesem Tag. Schön, denke ich, dann ist diese komische Mann-Fahrer-Frau-Spannung kein Thema, das So-Tun-als-sei-es-normal-dass-wir-uns-gerade-für-fünf-Stunden-deine-2m3-Teilen. Ich buche. Es ist 7.30 h, ich treffe die anderen Mitfahrer, zwei Männer, jung und nett, man erkennt sich unter Bla-Blas, wir quatschen ein bisschen verlegen, keiner hat Lust auf Smalltalk, aber unhöflich wollen wir auch nicht sein. Dann fährt sie an, hupt einmal kurz, winkt, parkt, steigt aus, sieht aufrecht aus neben ihrem großen, unförmigen Auto: »Hallo Leute, ich bin H. Aha, du kommst nach vorne«, sagt sie zu mir, »die Frauen zusammen, die Männer auf die Rückbank«. Ist gut, nicke ich, und denke: So will ich sein, wenn ich so alt bin wie sie. Selbstbewusst, und ziemlich glücklich, mit nur einer leichten Trauer im Blick. Eine derart offene Trauer, dass die Zufriedenheit, auf der sie nur zwischenzeitlich liegt, mit jeder ihrer Gesten durchschimmert. Diese eine Lebenszufriedenheit, die ich immer meine, sofort zu erahnen, wenn ich einem Menschen begegne. Im ersten Augenblick. Ich meine dabei nicht die Momentaufnahme einer Laune, die oberflächlichen

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