Kinderkriegen. Группа авторов
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Kinderkriegen - Группа авторов страница 7
»Drei Verabredungen an einem Tag, kein Problem!«
Ich hoffe ja heute noch manchmal, dass ich mich möglicherweise spontan in eine Frühaufsteherin verwandle. Sobald ich kann, bin ich trotzdem wach bis drei Uhr nachts und schlafe bis mittags. Mit Kindern geht das ja nicht, dachte ich, aber vielleicht, schrieb die Nebenzimmerperson, ist das dann auch egal, weil quasi automatisch alles wieder ausgeglichen wird, das sagen doch alle Eltern, Kinder geben einem ja so viel zurück.
Ich begann, mir defizitär vorzukommen. Ich wohnte in einem der kinderreichsten Viertel der Stadt, um mich her bauten alle Nester, wurden schön üppig, waren gebenedeit unter den Frauen; ich war halt weiter nur die ohne, die mit der Fehlstelle, weil man als richtige Frau ja quasi von Natur aus Mütterlichkeitsgefühle haben muss, sonst stimmt was nicht, sonst ist man nicht komplett. »Versuch’s halt mal«, schrieb die Nebenzimmerin. Und ich versuchte es. Ich versuchte es zwei Jahre lang erfolglos. Ich kam mir noch defizitärer vor. Ich konzentrierte mich nur noch darauf, es nicht geschafft zu haben. Wieder nicht vollständig zu sein. Jeden Monat wieder nicht. Sex wurde zu einer Aufgabe, alles krampfhafter, angeblich müsste ich mich nur entspannen, mal in Urlaub fahren, oder mal in eine Kinderwunschklinik, »Sie sind ja noch jung«, »Da wird es jetzt langsam Zeit«, je nachdem, wen ich fragte.
Eine Kinderwunschbehandlung, das wusste ich sofort und völlig ohne Zweifel, die wollte ich auf keinen Fall. Warum es da nicht bei mir klingelte, weiß ich nicht. Offensichtlich musste ich noch ein bisschen weiter auf den Grund der Gesellschaft sinken, um zu verstehen, dass ich da eigentlich nicht sein wollte. Das vorläufige Ende war eine vorsorgliche Kur mit Schilddrüsenhormonen. »Nur so zum Probieren«, meinte die Ärztin, »kann nicht schaden.« Die brachten mich dermaßen durcheinander, machten mir Herzrasen und grauenhafte Laune, dass ich schließlich im fünften Stock auf dem Balkon stand und überlegte, einfach übers Geländer zu steigen. Das kam mir in dem Moment sehr logisch vor. »An den Tabletten kann’s nicht liegen«, sagte die Frauenärztin. »Sind Sie eventuell unglücklich? Sie sollten sich entspannen. Vielleicht mal wegfahren.«
Ich fuhr also weg. Ich fuhr auch aus meiner damaligen Beziehung raus. Sie war (nicht nur, aber auch) über das (gefühlte, vermeintliche) gemeinsame »Scheitern«, über das Schweigen darüber, das Nichtredenkönnen über dieses Scheitern, kaputtgegangen. Über das fiese, unaussprechbare Hintergrundgefühl von: Vielleicht sind wir dann einfach nicht richtig miteinander. Und auch über die impliziten Vorwürfe, die im Kern immer dasselbe sagten: Ich sei eben einfach nicht entspannt genug. Sie war (nicht nur, aber auch) kaputtgegangen über Sex unter Druck, Zyklusbeobachtung unter Druck, immer wieder Warten unter Druck, über jeden Monat Symptomglücksrad und obsessive Symptomglücksrad-Deutungen (Google-Recherchen aus dieser Zeit: »Nasenbluten schwanger«, »Eustachi’sche Röhre knackt Frühschwangerschaft«, »Schmerzen in den Beinen Frühschwangerschaft«, »Grundloses Weinen schwanger«). (Ich kann hiermit vermelden, dass sämtliche PMS-Symptome sämtlichen Frühschwangerschaftssymptomen gleichen können.)
Ich hatte genug davon, genug vom Thema Kinderwunsch, auch genug von den Internetforen dazu, dem monatlichen Versagensgefühl, der ganzen Scheiße.
Eine gute Weile später und zusammen mit einem neuen Partner vollzog sich das Wunder: Ich wurde schwanger. Dabei war ich überhaupt nicht entspannt. Den positiven Test kommentierte ich mit einem sehr oft wiederholten: »Ach du Scheiße.« Hinterher dann Euphorie: endlich üppiges Nestbauen. »Das wird was!«, schrieb die Nebenzimmerin, mir schlug viel Mitfreude entgegen, das wird schon, dachte ich, ist ja normal, dass man auch Schiss hat, dachte ich. Dass ich das Kind dann eh verlieren würde, das dachte ich nicht. Und auch nicht, dass ich direkt darauf noch eins verlieren würde, gemeinsam mit einem meiner Eileiter, in dem es versehentlich gelandet war. Ab da dachte ich eigentlich überhaupt nicht mehr viel geradeaus, sondern nur noch in Wartezimmern, nur noch mit viel Trauer, immer wieder von vorn. Nur noch der hilflose Wunsch danach, dass die Trauer aufhören möge, die Lücke gefüllt werden, der Verlust ersetzt, das Unerreichbare erreicht.
Mein Stadtviertel war schwanger und ich hatte diesmal nicht genug von dem Thema, sondern wollte es bezwingen, erobern, endlich eine Richtige sein, eine Schöne mit Bauch und echtem Kind darin, mit Kompetenzen. Eine, die dazugehört. Ich handelte völlig andere Themen an diesem Thema ab und merkte es nicht mal. So nah war ich dem Grund schon, so weit unten, so sehr drin in der Denkweise, dass ein Kind doch das war, was ich unbedingt wollen sollte. Ich war ja auch schon Ende 30, die Uhr sollte jetzt sehr laut ticken, direkt vor all meinen Türen stehen, jede Sekunde ein Donnerschlag.
»Möchten Sie denn ein Kind?«, fragte mich ein Heilpraktiker, zu dem mich eine wohlmeinende Freundin geschickt hatte. »Ja«, sagte ich, dachte aber gleichzeitig: »Nein!« Und dann, dass ich doch kein »Nein« denken dürfte, dann würde es ja nix, nie würde ich dann normal sein und recht, sondern immer weiter die Spinnerin, die ich ja eh schon war. Ich hatte mir das alles selbst eingebrockt. »Dann bekommen Sie auch eins«, sagte der Heilpraktiker selbstsicher. »Alles Gute.«
Neidzerfressen wanderte ich durchs Familienviertel, wo alle Kinder hatten oder Vollzeitjobs, auf jeden Fall aber Autos. Jederzeit konnte meine Tarnung auffliegen, meine Mehrfachjobs, meine viele Zeit, die Gedichte, die ich schrieb, die Kinderlosigkeit und das wenige Geld. Was tat ich eigentlich in diesem Viertel? »Was machen wir da eigentlich?«, fragte ich meinen Partner. »Wir ziehen um«, sagte er.
Wir zogen um und ich wurde nochmal schwanger, sofort nach dem Umzug, sofort nach eineinhalb Jahren, in denen absolut gar nichts passiert war, in denen ich mit nur noch einem Eileiter, Endometriose und Ende 30 wieder in der monatlichen Selbstzerfleischungsschleife der Kinderwünschenden gefangen war, in denen mir außerdem mehrere Ärzt*innen erzählt hatten, dass ich jetzt aber schnell heiraten müsste und die Krankenkasse wechseln, danach dann sofortige Kinderwunschbehandlung. Wer nicht mehr jugendlich schön ist, der soll halt wenigstens Mutter werden. Einen anderen Plan gibt es nicht, gab es nie. »Sie können das ja dann moderner machen, vielleicht nimmt Ihr Freund einen Monat Elternzeit, eine Kinderwunschbehandlung ist doch der schönste Hochzeitsgrund!« Im Gehirnnebenzimmer war es merkwürdig still.
Seltsamerweise brauchte ich die dritte Schwangerschaft, um endgültig zu verstehen, dass ich wirklich kein Kind will. Ich geriet über sie in Panik. Ich dachte darüber nach, wie absurd es wäre, wenn ich jetzt nach all der Stresserei mit fast 40 abtreiben würde, nur, weil ich vorher nicht mit meiner Ambivalenz ins Reine gekommen war, weil ich den Stimmen geglaubt hatte, die mir erzählten, ich würde es »irgendwann bereuen«, keine Kinder bekommen zu haben, weil das eben so sei als Frau. Eine ganze Frau sei man nur mit Kind, und habe man keins, dann wäre man immer nur halb, quasi halblebendig, eine Kompensatorin. Karriere könnte ich natürlich alternativ noch machen, dachte ich, aber das wollte ich auch nicht. Eigentlich wollte ich nicht viel von dem, was das Nebenzimmer so für mich vorsah. Ich hatte dann, so muss ich das ganz ehrlich sagen, das große Glück, diese Schwangerschaft beinahe direkt wieder zu verlieren. Ich war endlos erleichtert. Ich war verwirrt. Ich verstand gar nichts mehr.
Gleich darauf hatte ich nochmal großes Glück. Die Trauerberaterin, bei der wir als Paar schon nach den ersten Verlusten waren, stellte sich nämlich als Therapeutin für Paare mit unerfülltem Kinderwunsch heraus; und außerdem als großartige Sortiererin. Sie hörte uns zu und sagte schließlich: »Wissen Sie, ich habe viele Paare erlebt, die unbedingt Kinder wollen. Und wenn ich Ihnen das so ehrlich sagen darf: Ich glaube, Sie gehören nicht dazu. Es klingt außerdem ganz so, als hätten Sie genug andere Pläne.«
Manchmal passiert das ja in Therapiestunden, dass jemand nur ein Wort spricht, und es macht deine Seele gesund. Ich hatte aus verschiedenen Gründen nie Kinder gewollt. Und, das sickerte nach dieser Sitzung langsam zu mir durch: Ich wollte immer noch keine. Obwohl mir das so vorgelebt worden war. Obwohl mir die Medien, die Werbung und einige meiner Bekannten erzählten, dass das »richtige Leben« erst mit Kindern anfängt. Obwohl meine Eltern sich das wünschten. Obwohl ich kein einziges Vorbild von einem »guten Leben ohne Kinder« hatte und mir immer