Kinderkriegen. Группа авторов
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Beim ersten Kind habe ich alles rund ums Vatersein aus dem Bauch heraus gemacht, ohne viel Kopfarbeit. Viel rausgehen, viel vorlesen, viel kuscheln, viel Eis essen und ansonsten »immer mit der Ruhe«. Ja, das Fieber wird schon runtergehen. Nein, sie wird nicht vom Baum stürzen. Sie wird ihren Weg schon gehen. Und natürlich musste ich meinen Weg auch erst gehen. Wir sind quasi zusammen groß geworden, meine Tochter und ich.
Ja, es war schwierig. Andere machten Party oder Erasmus. Ich war verantwortlich. Andere bekamen Bafög oder Geld von den Eltern. Ich ging arbeiten. Andere bastelten an ihren Karrieren. Ich besuchte mit meiner Tochter die günstige Kino-Nachmittagsvorstellung, wir schauten Pippi Langstrumpf und dazu kauten wir die reingeschmuggelten Gummibärchen, Popcorn konnten wir uns nicht leisten. Später gestand mir meine Tochter, dass sie immer furchtbare Angst hatte, erwischt zu werden.
Die Klamotten waren dritter Hand. Die Ausflüge führten in den Stadtwald oder an den Stadtsee, immer mit der S-Bahn oder dem Fahrrad. Und zu essen gab es Selbstgeschmiertes. Ja, es war ein riesengroßes Provisorium, oft musste das Kind nebenbei passieren, neben dem Schreiben der Hausarbeiten, neben dem Arbeiten. Das Kind war nicht mein Projekt, stand nicht im Mittelpunkt. Wir mussten einfach schauen, dass alles klappte. Ich erklärte ihr die Welt, dachte mir Geschichten aus, war Sicherheit und Trost.
Nur ich hatte keinen zum Drüberreden. Die anderen Väter aus der Kita waren alte Säcke, fand ich. Über 35, was sollte man mit denen schon groß bereden? Ich erinnere mich auch noch sehr gut an die Einsamkeit, als meine Freunde Silvester um 22 Uhr zum Feiern loszogen und ich allein mit Tochter in meiner WG blieb. Um Mitternacht weckte ich sie, um ihr das Feuerwerk zu zeigen. Sie war nicht interessiert.
In die WG war ich deshalb gezogen, weil meine Beziehung in die Brüche gegangen war, weil wir jung und dumm waren. Aber wir schafften es, friedlich zu bleiben, und teilten uns Pflichten und Kinderzeiten gerecht auf. Hälfte, Hälfte. Wenn der eine was hatte, einen Termin, eine Abgabe, eine Fortbildung, sprang der andere ein und umgekehrt.
Heute bin ich selbst dieser alte Sack. 38. Meine Tochter ist jetzt fast 17 und wohnt seit drei Jahren komplett bei mir, bei uns. Sie ist größer als ich, ist stärker als ich. Rettungsschwimmerin. Hat bei einem Jugendverband eine eigene Kindergruppe. Kümmert sich selbst um ihre guten Noten. Wäscht ihre Wäsche selbst. Kocht für sich. Ab und zu lehnt sie sich aber noch an meine Schulter und sagt, »Ich hab dich lieb, Papa.«
Mein Sohn ist fast vier – und auch diesmal ist alles anders. Erstens hat er oft seine Mutter viel lieber als mich. Mit mir toben will er. Spielen. Lego bauen. Aber mit mir kuscheln? »Nö, du piekst«, sagt er schlau, und dagegen kann ich schwer was sagen.
Der größte Unterschied zwischen damals und heute ist: Ich bin aufmerksamer, mehr da, ich bin weniger getrieben als mit Anfang zwanzig, als alles existenziell war. Und auch heute mache ich mit meiner Partnerin alles halbe-halbe: Haushalt, Einkommen, Kind. Sie will was von ihrem Beruf. Ich will was von meinem Beruf. Also schmeißen wir uns die Bälle zu. In den ersten Kinderjahren bildete sie sich fort, war im ganzen Land unterwegs und ich mit Sohn bin ihr hinterher gereist. So konnte man einen Mann mit Bart und Kind vor dem Bauch durch Schneewälder und Sommerstädte stapfen sehen. Immer im Drei-Stunden-Radius um die Mutter herum. Denn dann mussten wir wieder da sein, zum Stillen.
Ich bin heute viel mehr in Sorge als damals. Wie oft ich »Achtung« oder »Aufpassen« oder »Vorsicht« sage! Ich gehe mir schon selbst auf die Nerven. Sehe überall Gefahren und Hindernisse, die ich für meinen Sohn aus dem Weg räumen zu müssen glaube. Was natürlich Quatsch ist. Aber es fällt mir schwer, das zu unterdrücken. Neulich musste er operiert werden, nichts Schlimmes, aber mit Vollnarkose. Und als er dann dalag, betäubt und hilflos, wurde mir ganz anders. Vielleicht war es, weil er außerhalb meiner Reichweite war, an einem Ort, an dem ich ihn in diesem Moment nicht beschützen konnte.
So. Nun aber soll noch eins her. Ein Geschwisterkind. Ihr zweites, mein drittes. Puh. Ich habe wirklich nichts gegen Kinder. Meine zwei zu sehen, ihnen zuzuhören, mit ihnen rumzualbern, sie zu nerven, erfüllt mich mit unbändiger Lebensfreude. Aber noch eins? Wenn das dritte ausgewachsen wäre, dann wäre ich 55, 56, 57 Jahre. Ein richtig alter Sack, der den größten Teil seines Lebens mit Kindergroßziehen verbracht hätte. Ich bin ja jetzt schon so müde.
Ich schätze, das dritte Kind kommt dann einfach, wenn ich nicht mehr so viel darüber nachgrüble.
Judith Sombray
ZEHN RUNDEN KARUSSELL, ODER: ENDLICH WUNSCHLOS.
Ich habe zehn Jahre und drei Schwangerschaften gebraucht, um zu merken, dass meine Uhr gar nicht tickt. Dass ich eher ein Phantomticken wahrgenommen habe, eines, von dem mir erzählt wurde, dass ich es haben sollte, eigentlich.
Mit 30 Jahren und nach einigen halbherzigen Versuchen vorher bin ich endlich die Pille losgeworden. Nach vielen Frauenärzt*innen, die mir was von der »Befreiung der Frau«, von Einfachheit und Sicherheit erzählt haben und meine Nebenwirkungen (Migräne, Haarausfall, depressive Episoden) als absolute Ausnahmefälle bezeichneten, stieß ich eher zufällig auf NFP (»Natürliche Familienplanung«), beziehungsweise die symptothermale Methode. Ich nahm brav das letzte Pillenblister zu Ende. Danach hörten die Migräne und der Haarausfall auf. Depressive Verstimmungen habe ich immer noch ab und zu, aber sie sind aushaltbarer, kürzer und fast immer gekoppelt an PMS-Tage.
»Na, dann wirst du sicher bald einen Spielkameraden für X bekommen!«, sagte eine damalige Freundin von mir. Was anderes konnte es ja nicht heißen, dass ich die Pille abgesetzt hatte. Tatsächlich hatte ich mit Staunen und ein bisschen Neid der Schwangerschaft dieser Freundin zugesehen. Wie sie rund wurde, überall üppig, etwas behäbig. Wie sie ein Nest baute. Interessant sah das alles aus, gemütlich irgendwie, gesellschaftlich anerkannt. Wie ein normaler Mensch, so ein echter, richtiger Mensch. Das wollte ich auch gern sein, dachte ich, so eine Echte, Richtige, eine, die Nester baut, rund wird, die endlich mal als normal durchgeht, etwas Verständliches tut. Gar nicht übel, dachte ich, obwohl ich vorher eigentlich immer nur gedacht hatte: Bloß keine Kinder.
Mit 30 durfte ich auch aus Ärzt*innensicht die Pille absetzen, weil »Jetzt tickt ja langsam Ihre Uhr!«. Bei mir tickte nix, aber so ein bisschen Normalsein, das kam mir gut vor. Vielleicht so in ein paar Jahren, dachte ich damals. So ein Enkel, sagte meine Mutter ein paar Jahre später, das käme ihr schon gut vor. Das hätten ja jetzt auch fast alle ihre Freundinnen. Ist ja irgendwie das, was man halt so macht, dachte ich. Vielleicht wache ich ja doch irgendwann auf und bin endlich so wie alle, dachte ich. Mit einem Vollzeitjob, einem Auto, vielleicht finde ich dann plötzlich Rotwein gut und interessiere mich für Großveranstaltungen.
Jetzt nichts gegen Vollzeitjobs und Rotwein, »you do you«, wie man heute sagen würde, Beispiele nur zufällig gewählt. Beides sind Marker des Erwachsenseins, die bei mir nie verfangen haben, wofür ich mich immer wieder mal erklären muss; wobei die Abwesenheit von Rotwein in meinem Leben mehr Entsetzen hervorruft als die Abwesenheit eines eigenen Autos (oder Vollzeitjobs).
Ich wartete jedenfalls noch ein bisschen ab und machte immer wieder mal Zukunftspläne, die von einer völlig anderen Version von mir ausgingen. Von einem anderen Menschen eigentlich. Ich weiß gar nicht recht, wie dieser andere Mensch in mich reingeraten ist, diese verinnerlichte Vorstellung davon, wie ich zu sein hätte, aber er oder sie wohnte in irgendeinem Hirnnebenzimmer, rumorte da so herum und schickte ab und zu Kurznachrichten:
»Demnächst evtl. Auto kaufen.«
»Bisher