Kinderkriegen. Группа авторов

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Kinderkriegen - Группа авторов

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derselben Erzählung ist übrigens, dass Gebärfähigkeit etwas völlig Normales sei und jede*r relativ schnell den eigenen Kinderwunsch erfüllen könne. Wenn’s nicht klappt, dann eben »mit ein bisschen Unterstützung«. Auf die Idee, dass Elternschaft kein Muss ist, schon gar keine biologische Elternschaft, kommen dabei die Wenigsten.

      Nach der Sitzung bei der Therapeutin begann ich, das zu tun, was ich in solchen Fällen immer mache: zu lesen. Ich las mich quer durchs Netz und durch einige Bücher. Ich las Alternativen. Ich las Alisa Tretau, Sheila Heti, Sarah Diehl, Laura Carroll. Je länger ich las, desto weniger hörte ich aus dem Nebenzimmer. Irgendwann stand es leer, war zu vermieten, bisher keine Bewerbungen.

      Von all dem, was ich las, kann ich das Buch Die Uhr, die nicht tickt von Sarah Diehl absolut allen empfehlen. Leuten ohne und mit Kindern. Mit und ohne Kinderwunsch. Spinnerinnen und Weberinnen. Jeder, jedem. Ich empfand es als so konstruktiv, gut recherchiert, voller Informationen, positiv, bestärkend und relevant, dass es mir die letzten paar Stufen raus aus den gesellschaftlichen Erwartungen gebaut hat. Und mir die Erlaubnis gegeben hat, das Gefühl zu haben: Wir brauchen viel mehr Texte und Gespräche zu diesem Thema. Dass es – gerade als Frau – völlig in Ordnung ist, keine Kinder zu wollen. Dass generell die Formen, in die Viele ihre Leben zu gießen versuchen, nur für ganz Wenige genau passen. Und dass auch jede*r, die oder der sich eigene Formen baut, genau richtig ist. Und ein ganz echter Mensch.

      Thomas Palzer

       KINDERKRAM

      Auf dem Sofa sitzend kann man auf Schatzsuche gehen. Die Hand gleitet zwischen die Polster – und nach wenigen Sekunden stößt sie immer auf irgendeinen Gegenstand: auf ein Ladekabel, auf ausgedörrte Fruchtgummis, auf eine trockene Lache zerbröselter Chips oder auf einen USB-Stick. Es handelt sich um die Hinterlassenschaften von Dante, Utes Sohn.

      Dante ist dreizehn, und wenn er am Wochenende aus dem Internat kommt, darf er abends mit seiner Mum einen Film gucken. Beide, Mum und Sohn, sitzen dann auf dem Sofa, vor sich ein Notebook, das aufgeklappt im Zentrum ihrer Blickachsen steht – auf zwei aufeinandergestapelten Handkoffern aus rotbraunem Leder, in denen Ute ihre Fotoalben aufbewahrt. Es sind die Zeugnisse ihrer Jahre als Ehefrau und Mutter. Inzwischen ist Ute geschieden und teilt sich mit ihrem Ex Dantes turnusmäßige Gegenwart.

      Der überwiegende Teil der Fotos dokumentiert Dantes erste Lebensjahre – penibel und gefühlt sekundengenau. Vermutlich würde der Stapel Kinderfotos, der weltweit von Eltern und Großeltern in jeder Minute produziert wird, zweimal bis zum Mond reichen, wäre er auf Papier ausgedruckt. Um die Motive von Utes gut sechstausend Fotos zusammenzufassen, würde ich sagen: Dante hat gelacht, geweint, komisch geguckt, große Augen gemacht, ist hingefallen und wieder aufgestanden.

      Vor Nachwuchs habe ich mich lebenslang erfolgreich gedrückt. Warum Nachwuchs – die Gegenwart genügt, damit die Menschheit für immer gewesen sein wird. Eine Kette, die immer länger wird und endlos in die Vergangenheit zurückreicht, fügt der Existenz des Menschen, metaphysisch gesehen, nichts hinzu.

      Jedenfalls bin ich durch Ute in eine Lage gekommen, von der man behaupten könnte, sie gleiche einer Art Leihvaterschaft. Aber das ist eine Illusion, die von bestimmten Sachverhalten gestützt wird, etwa, wenn man uns alle zusammen im Auto oder der Straßenbahn sitzen sieht. Dann sehen wir aus wie die berüchtigte Trias: Vater, Mutter, Kind.

      In Wahrheit sind Dante und ich Freunde. Zum Beispiel streiten wir uns stundenlang über die alte Menschheitsfrage, ob für Microsoft oder Apple zu votieren sei. Die Rollen sind klar verteilt, der Gang der Argumentation ist vorgezeichnet. Es ist ein Ritual, das der Einweihung in die mysteriösen Gepflogenheiten eines bestehenden Familienverbands dient, der vor dem Problem steht, eine fremde Person in den inneren Kreis aufzunehmen. Es handelt sich um eine Art Fechten mit Worten. Unsere E-Westen registrieren pingelig jeden Treffer.

      Existenzweisen, die es erlauben, auf Nachwuchs zu verzichten, stellt die Kultur seit jeher zur Verfügung: als komischer Heiliger oder Hagestolz oder als Nonne oder Amazone. Kinderlosigkeit ist gesellschaftlich lange stigmatisiert und für moralisch verwerflich erachtet worden. Das hat sich inzwischen geändert. Es ist sogar eine Lebensform neu dazugekommen: Sie beruht auf dem Birth Strike. Zu den größten Verursachern von CO2 zählt bekanntlich die Bevölkerungsexplosion, also jedes weitere Kind, das in die Welt gesetzt wird. Aber kann Umweltschutz ein Grund sein, auf Kinder zu verzichten?

      Fragen nach dem Nutzen (oder der Schädlichkeit) sind Perspektiven, die nicht derjenige einnimmt, der handelt – sich also für oder gegen Kinder entscheidet. Es sind immer die Perspektiven derer, die nicht handeln – aber vom Handeln eines anderen profitieren zu können glauben (die also entweder das Wachstum der Wirtschaft sichergestellt sehen oder aber die Erde retten wollen). Hinter utilitaristischen Erwägungen steckt die Moral des Ressentiments, wie Nietzsche das genannt hat.

      Menschen tragen ihren Zweck in sich. Deshalb kann die Entscheidung für oder gegen Kinder keine sein, die auf Gründen beruht – dass man Kinder hat oder dass man keine hat, das lässt sich nicht rechtfertigen.

      Was also spricht für Kinder – oder dafür, keine zu haben? Ich frage mich das, weil ich mich, wie gesagt, bewusst gegen Kinder entschieden habe. Wenn ich von Fürsprache rede, ziele ich darauf ab, dass sich die Frage argumentativ nicht lösen lässt – also logisch (»40 Gründe, keine Kinder zu haben«) –, sondern dass sie, um beantwortet werden zu können, vergegenwärtigt werden muss, folglich dargestellt. Mit anderen Worten: Entscheidend ist hier nicht, ob etwas der Fall ist oder nicht, sondern wie es wäre, wenn. Wie wäre es, Kinder zu haben, lautet die Frage, die ich mir stellen muss. Das Leben mit Dante hilft mir für ihre Bewältigung keinesfalls – entgegen dem ersten Augenschein.

      Besser, als sich mit fremden Kindern zu schmücken und so zu tun als ob, ist es, sich der eigenen Kindheit zuzuwenden – jener Zeit, in der man selbst Kind war und wusste, wie es sich von innen anfühlt, Kind zu sein. Ein Kind zu sein ist dabei nur die komplementäre Seite zu der, auf welcher man Kinder hat. Zwischen beiden besteht eine gewissermaßen asymmetrische Ähnlichkeit – eben die zwischen Haben und Sein.

      Eine der frühesten Erinnerungen, die ich an meine bewussten Jahre habe, stellt mich in eine sumpfige, tundraähnliche Landschaft, auf Sandbänke oder zwischen Baumstrünke; stellt mich ins Schilf oder an den Rand von lichtdurchbrochenen Föhrenwäldern am Rheinufer. Am Vormittag bin ich mit meiner Mutter nach Trebur gefahren, eine hessische Kleinstadt im nördlichen Oberrheingraben, wo einst zahllose Mündungsarme von Neckar und Main in den Rhein strömten. Ich bin vier Jahre alt und renne barfuß über den Sand, umkurve Hindernisse oder Wurzeln, wate quakend durch zähen Morast – gefolgt von meinem gleichaltrigen Freund, der wie ich mit einem aufgelesenen Ast bewaffnet ist und dessen Mutter es war, die uns von Mainz hierher gelotst hat. Sie wohnt im benachbarten Mietshaus, und seine und meine Mutter haben sich angefreundet, weil ihre Söhne den gleichen Spielplatz in der Neustadt benutzen. Meine Mutter ist zu dieser Zeit dreiunddreißig. Damals sind die Mütter in Deutschland bei der Erstgeburt typischerweise achtundzwanzig. Mein Freund und ich sind also unauffälliger Teil der Statistik. Meine Schwester wird erst in einem Jahr geboren werden.

      Ich weiß noch, dass wir mit zwei Autos gefahren sind, wir, meine Mutter und ich, dem anderen, in dem mein Freund und dessen Mutter sitzen, hinterher. Ich erinnere noch die Fragen, die meine Mutter unter dem Wagenhimmel halblaut sich selbst stellt, wenn sie den Vordermann für den Moment aus dem Auge verliert. Es ist das Deutschland des Jahres 1960.

      In diesem Jahr greift der Mossad in Buenos Aires Adolf Eichmann auf. Siebzehn afrikanische Staaten erringen ihre Unabhängigkeit. In Hamburg spielt eine Boygroup erstmals unter dem Namen The Beatles. Von Kindern an der Macht ist noch nirgends die Rede. Der

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