Kinderkriegen. Группа авторов

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Kinderkriegen - Группа авторов

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weitgehend separiert. Ich habe ein eigenes Zimmer, das ich allerdings demnächst mit meiner Schwester werde teilen müssen – doch wird dieser unerfreuliche Zustand nicht lange so bleiben. 1964 ziehen wir in ein Haus um, das meine Eltern gebaut haben.

      Nun gibt es für jeden in der Familie Platz genug, um sich zurückzuziehen. Das erhöht die Zentripetalkraft, die uns auseinandertreibt – und zugleich die Zentrifugalkraft, die jeden in seiner eigenen Welt hält. Im Grunde sehen wir uns vor allem zu den Hauptmahlzeiten. Dazwischen ist jeder für sich – oder in einer weiteren Welt, die zwar nicht die eigene ist, aber auch nicht die, die man mit den anderen aus der Familie teilt, die Welt der Schule oder der Arbeit oder die der Freunde. Die Sonntage sind die Tage, die meiner Schwester und mir verhasst sind, weil wir uns weniger gut aus dem Weg gehen können. Dann sind wir alle gezwungen, aufeinander zu hocken, ohne richtig zu wissen, was wir überhaupt miteinander anfangen sollen.

      Natürlich gibt es auch an Sonntagen schöne Momente, etwa, wenn sich die Familie ganz nahekommt, wenn große Vertrautheit herrscht und das Gefühlsleben von Wärme und Zuneigung geprägt ist, auch von einer besonderen emotionalen Großzügigkeit, aber das ist immer nur für wenige Stunden der Fall. Dann fällt wieder alles auseinander, vielleicht, weil auch Nestwärme auf Dauer nicht zu ertragen ist. In dieser übrigen Zeit träumen meine Schwester und ich und jeder auf seine Weise davon, erwachsen zu werden und selbst die Regeln zu bestimmen, an die sich dann die anderen halten müssen. Wer erinnerte sich nicht an den erhebenden, geradezu zeremoniellen Moment, in dem man begreift, dass man endlich selbst bestimmen kann, wann man zu Bett geht oder aufsteht und wie man den Tag gestalten will.

      An Trebur denke ich gern zurück. Trebur war eine Welt, die mir das Gefühl gab, noch weitgehend meine zu sein – und trotzdem fremd und abenteuerlich, voller flirrendem Sonnenlicht, Geraschel und unwegsamen Pfaden. Irgendwie verliert sich diese aufregende Fremdheit später, wenn man acht, neun, zwölf oder dreizehn Jahre alt wird. Dann lebt man in einer menschengemachten, durchschaubaren, geregelten, langweiligen und legoförmigen Welt – in einer, in der sogar Spiele geregelt sind (mit jedem Schritt in den Rheinauen wurden doch immer neue Regeln definiert) und in der von morgens bis abends über einen bestimmt wird. Das klingt übertrieben, aber es sind die Details und Kleinigkeiten, die einen das spüren lassen, der Atem der Dinge, die kalkulierte Dunkelheit, der vorausberechnete Exit Room. Kinder können die Armseligkeit dahinter wittern. Und jetzt, wo einen die Eltern überhaupt nicht mehr aus dem Blick lassen und keinerlei Risiken mehr eingehen vor lauter Angst, die Kontrolle zu verlieren, ist gewiss alles noch viel schlimmer. So denke ich mir.

      Die Kindheit ist eine Welt, von der man sich jedem Tag weiter entfernt – genau diese Entfernung, dieser Prozess des Sich-Entfernens, ist die Kindheit. Warum sollte man das jemandem zumuten? Eine frühe Kindheit zwischen vier und fünf – und dann ein Leben, das erfolglos nach der verlorengegangenen Kindheit sucht und einen enttäuscht. Wer geboren wird, wird – abgesehen von den Jahren zwischen vier und meinethalben sechs – den Rest seines Lebens damit zubringen, seine Kindheit wiederzufinden – diese frühe Kindheit, wo die Welt noch einem selbst gehörte und trotzdem fremd und voller Abenteuer war. Man ist ganz bei sich – und zugleich restlos verloren an die Welt, der man seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt. Nur den wenigsten ist später vergönnt, bei ihrem Tun ganz bei sich zu sein.

      Ute hat Buchweizenbrötchen gebacken. Dante hat sich das gewünscht. Er mag Teigwaren, wenn sie von seiner Mutter und ihren Händen gemacht worden sind, besonders Buchweizenbrötchen mit einer dicken Schicht Butter und Johannisbeermarmelade. Kauend sieht er uns dann mit bläulich verfärbten Zähnen an und mimt Aufmerksamkeit, aber natürlich hört er uns nicht zu. Er denkt an irgendwas anderes, weiß der Himmel, an was, an sein Mobiltelefon und dessen unerschöpfliche Möglichkeiten vermutlich. Dante wird demnächst vierzehn. Mit vierzehn beginnt die schwierige Phase, aber so schwierig ist sie auch wieder nicht; jedenfalls nicht bei Dante.

TEIL II NEUN MONATE

      Egon Koch

       GEWEBEKLUMPEN IM GLASKOLBEN

      Am Morgen des Tages, der mein Leben völlig veränderte, sprang in der Nähe des Kleistparks in Berlin-Schöneberg das Auto nicht an. Das rote Schiff der Straße, der wundervoll gerundete und lang gezogene Citroën DS 20 – Safari, wollte und wollte einfach nicht starten. Ein Wink des Schicksals, dachte ich in diesem Moment, das Geplante absagen, einfach aus der Maschinerie aussteigen, aber ich sagte nichts zu der jungen Frau auf dem Beifahrersitz. Ich ließ die letzte Chance vorübergehen, meinen Wunsch auszusprechen.

      Als Hypothese, wenn du es ausgesprochen hättest, hätte ich bestimmt versucht, es dir auszureden oder wegzuwischen, aber es wäre natürlich interessant, was dann passiert wäre, wenn du vehement für das Kind gewesen wärst.

      Im Herbst 1981 war meine Freundin 22 und ich 25 Jahre alt. Wir studierten beide an der Freien Universität Berlin und liebten uns seit sechs Monaten. Eigenartig, jenen Tag, an dem wir dann mit einem Taxi in die gynäkologische Praxis nach Kreuzberg fuhren, haben wir beide heute als grauen Novembertag in Erinnerung. Aber es war der 14. Oktober, der Tag an dem Muhammad Husni Mubarak Ägyptens Staatspräsident wurde. Ich weiß das so genau, weil ich es, wie vieles andere, aufgeschrieben habe.

      Ich seh dich immer, wie du in dein Tagebuch geschrieben hast. Und dass wir so die Sprache miteinander verloren haben. Ich hatte immer dieses Verlorenheitsgefühl und war gar nicht in der Lage, Kontakt aufzunehmen zu dir oder auch meine Bedürfnisse zu formulieren, überhaupt nicht. Nicht, was ich wollte, nicht, was ich dachte. Ich hab gar nichts formuliert.

      Vier Wochen vor diesem 14. Oktober hielten wir uns in den Semesterferien an der Nordküste Kretas auf. Sonne, Strand, Tavernen, griechischer Wein, uriges Leben. Die Wirklichkeit brach bald in unsere kleine Pension in Georgioupoli ein, das tagelange Bangen wurde zur Gewissheit. Der Schwangerschaftstest: positiv.

      Ich wollte da immer nicht drauf gucken, weil das ja so das endgültige Urteil ist, für das, was ich sowieso schon wusste. Obwohl es draußen total schön war, hab ich mich ins Bett verkrochen. Und ich hab das so in Erinnerung, dass du dann reingekommen bist und ich das gesagt habe.

       18. September 1981:

      Mir versagt die Vorstellung, Vater zu werden.

       »Ein Kind zu bekommen ist was Gesundes«, sagt sie, »und doch wird getan, als sei es eine Krankheit.«

      Die Männer am Strand von Kreta legen sich Handtücher über ihre Scham.

      Das entstehende Kind, das unbrauchbare Kind.

       »Wir sitzen hier, als wäre etwas Schreckliches geschehen«, sagt sie später, »das ist doch absurd. Das ist doch absurd.«

      Natürlich habe ich mir selber Vorwürfe darüber gemacht, dass ich nicht verhütet habe, was auch bescheuert gewesen ist. Entsprach so ein bisschen der damaligen Zeit, nach dem Motto »lässig, lässig, das geht schon irgendwie und ich kenn ja meinen Körper und jetzt hab ich einen Eisprung und jetzt hab ich keinen Eisprung«. Und das ist mit 22 eine Kamikazeunternehmung, das so zu machen.

      In der Nacht nach dem positiven Schwangerschaftstest schenkt mir mein Vater im Traum ein riesiges Stück Wald mit wunderbaren Bäumen. Es ist ein gutes Gefühl, der Herr über ein Stück Natur zu sein. Zumindest für einige Zeit. Weil ich nämlich nicht weiß, was ich mit dem Wald machen soll, verschenke ich ihn ein paar Tage später weiter an eine Frau.

      Einige Tage fühlte ich eine ungeahnte Potenz in der schroffen Natur Kretas, das Bewusstsein, ein Kind gezeugt zu haben, verschaffte

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