Kinderkriegen. Группа авторов
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Die Maschinerie der Abtreibung führte in die Katastrophe: »Mach langsam! Halt an!«, hatte vor dem Abbruch alles in mir gerufen, aber ich konnte das in die Schleuse der Arztpraxis fahrende über tausend Tonnen schwere Schiff nicht stoppen, mit dem Abbruch brach es durch das Schleusentor hindurch, ich stürzte und stürzte in eine bodenlose Tiefe …
Was dann war, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Wir sind, glaube ich, mit dem Taxi nach Hause gefahren. Da hab ich ganz viel geheult, also ich hab da ganz viel geheult, weil erstmal ging’s mir nicht gut, zweitens hab ich, glaube ich, auch Schmerzen gehabt, dann hatte ich dieses Loch-im-Bauch-Gefühl. Also, ich find, du hast dann als Frau schon das Gefühl, dass dir da was rausgerissen wurde. Ich war unendlich traurig, wahnsinnig unglücklich über die Endgültigkeit des abgetriebenen Kindes, da war ich völlig am Ende, traurig, ja, untröstlich.
Sie war traurig, aber sie erlebte das Mitgefühl ihrer Freundinnen. So fühlte ich mich auch, mit einem Loch im Bauch. Wenn ich aber versuchte, mit meinen Freunden darüber zu sprechen, ging das nicht. Sie wussten nicht, was dazu sagen, wechselten peinlich berührt das Thema oder mussten plötzlich weg. Ich ahnte in diesen Tagen nur, dass mein innerer Junge in stürmischer See weit, weit abgetrieben wurde und ich alles, was in meiner Macht stand, tun musste, ihn eines Tages wiederzusehen.
Das ist ja eher immer so das Bild gewesen: Ich hab mich abgetrieben. Ich hab mich selber abgetrieben, ich hab mich damit abgetrieben eigentlich. Oder ein Teil von mir abgetrieben, ich glaub, damit hab ich dann ganz viel zu tun gehabt.
6. November 1981:
Eine kurze Szene meiner Ohnmacht und Hilflosigkeit:
»Was ist das für eine Art?!«, sagt sie, »Ich erzähle dir von mir und du hältst dir dein Tagebuch vors Gesicht.«
»Du wirfst mir vor, dass ich mir das Tagebuch vors Gesicht halte«, erwidere ich, »aber wer kümmert sich um mich?«
Wie vor und während des Abbruchs spielte ich auch in der Folgezeit keine Rolle, sondern war der sprachlose Komparse in einem Film, dessen Handlung ich nicht verstand. Der Schmerz um das abgetriebene Kind blieb, der Phantomschmerz. Mir wurde zwar nichts aus dem Körper gerissen, aber in Berlin brach mir der Boden unter den Füßen weg. Mit nichts als Trauer und Schuld im Gemüt überkam mich die große Sinnlosigkeit und ich vollzog den zweiten Abbruch: Ich brach das Studium ab und zog mich in mich zurück.
Ich glaube, ich hab mich dann einfach ein Stück weit mit der Situation abgefunden und hab dann, glaube ich, auch manches verdrängt einfach, es versucht wegzupacken und auch mit so einem gewissen Aktionismus darüber hinwegzugehen. Der Impuls kommt dann irgendwann, entweder du verstrickst dich in diese Depression und das war dann für mich irgendwann durch, ich wollte einfach ins Leben rein. Und hab das dann auch gemacht, in unterschiedlichster Form, um aus diesem Loch wieder rauszukommen.
Jeder von uns ging damals auf seine Weise mit dem Erlebnis um, jeder von uns ging andere Wege. Erstaunlich, dass wir uns, wie es viele andere Paare nach einem Abbruch tun, nicht trennten.
Ich glaub letztendlich schon, dass die Liebe zwischen uns so ne Verbindung war, die offensichtlich so ein Trauma ausgehalten hat. Ich glaub, wir waren einfach noch nicht am Ende unserer Liebe oder unserer Beziehung angekommen. Weshalb wir das dann doch gemeinsam weitergemacht haben, gemeinsam weitergegangen sind und nicht nur Unterschiedlichkeiten festgestellt haben.
Vier Monate nach dem Schwangerschaftsabbruch, im März 1982, regten sich in den Niederungen meiner Existenz die ersten Lebensgeister, mich aus meiner Ohnmacht zu befreien.
Ein Freund provoziert mich. Er kennt mein schwieriges Verhältnis zu meinem Vater und verlangt dennoch genervt von mir: »Dann sag deinem Vater doch: Ich bin ein Mensch ohne Mut, ohne Wille!«
Das saß. Niemals würde ich meinem Vater meine Schwäche eingestehen. In Berlin fasste ich keinen Fuß mehr, also machte ich mich auf die Suche nach einem neuen Platz in der Welt. Über die italienische Riviera, wo ich für einige Monate in einer Ferienwohnung von Freunden unterkam, reiste ich im Sommer 1982 nach Paris. Dort traf ich meine Lebensgefährtin wieder, sie besuchte eine Schauspielschule. Und ich, auf einem Rheinschiff aufgewachsen, fand auf der Seine den Ort meiner eigenen Kindheit wieder, ein Hausboot, der Boden, auf dem ich wieder Fuß fassen konnte. Unsere Liebe lebte wieder auf und lebte fort, aber die Angst, wieder ein Kind zu zeugen und abermals in den Abgrund zu stürzen, schwang als Damoklesschwert über jedem sexuellen Akt.
Ich hab ja auch zwei Fehlgeburten gehabt. Das heißt, da ist ja das gewollte Leben und das hab ich nicht gekriegt, was ja auch total traurig ist. Also, insofern ist das manchmal so makaber, dass ich denke, ich hab ja auch was hergeben müssen, es ist halt so. Wobei ich jetzt weiß, dass das nicht ungewöhnlich, aber ein Aspekt der Beziehung ist, über den ja auch wenig geredet wird: »Wie viele tote Kinder gibt’s denn in eurer Beziehung?« Ich mein, darüber unterhält man sich ja nicht, aber das ist ne Tatsache.
Nach einigen enttäuschten Hoffnungen und viel Trauer brachte meine Lebensgefährtin 1997 unsere gemeinsame Tochter zur Welt. Zehn Jahre später trennten wir uns als Paar und wurden zu Freunden. Noch heute sind wir untröstlich darüber, dass wir das erste Kind nicht bekommen haben. Immerhin können wir nun das tun, was wir uns damals versagt haben: ehrlich miteinander über den Abbruch sprechen.
Wenn man mir jetzt diese merkwürdige Frage stellen würde, »Was würden Sie anders machen in Ihrem Leben, wenn Sie es noch einmal anders machen könnten«, dann wäre das sicherlich ein Punkt, wo ich sagen würde: »Ich würde dieses Kind nicht mehr abtreiben.« Und – mit allen Konsequenzen, aus meiner jetzigen Sichtweise.
Ja, stellen wir uns vor, sie hätte das Kind bekommen. Stellen wir uns vor, wie sie und ich in den letzten Jahrzehnten gelebt, jenes andere Leben jenseits des gelebten Lebens geführt hätten. Es wäre möglich gewesen, wie auch immer, es wäre eines mit Kind gewesen. 2022 wäre dieses Kind 40 Jahre alt.
Barbara Peveling
HERZTÖNE HÖREN
The lioness has rejoined her cub.
And all is right in the jungle.
Quentin Tarantino, Kill Bill
Anfang und Ende jeder Existenz sind zwei Nullstellen, die zu einer werden, und was dazwischen liegt, ist ein Traum. Welten wie diese zum Beispiel: Ein Paar beschließt nach einer gemeinsamen Liebesnacht, ein Kind zu bekommen. Man ist nicht mehr bei Null, sondern hat sich im Leben eingerichtet, das Studium beendet, einen Job oder zwei, den ersten Bausparvertrag. Sie entsorgt die Pille, er trinkt Kaffee und blättert in der Zeitung. Nur Wochen später pinkelt er auf einen weißen Stab, den sie zitternd in den Händen hält oder umgekehrt, egal, jedenfalls gibt es da in einem weißen Fenster sowas von einem blauen Streifen und dazu, gratis sozusagen, noch ganz viel Glück. Das Wesen des Daseins ist seine Existenz, sagt Heidegger. Am Anfang ist der Gedanke, das Ausbleiben einer Blutung, ein blauer Strich auf einem Teststäbchen und ganz viele Nervenzellen, die alle um einen Punkt kreisen.
Wenn aus dem Traum ein Albtraum wird, erlebt frau das: Plötzlich bist du nicht mehr allein, sondern in deinem Innern wächst was. Wer hat es hergerufen? Du nicht. Aber schuld bist du allein, denn du hast nicht aufgepasst. Du, nicht er. Denn das war nicht abgesprochen und schwanger werden kannst ja nur du, die Frau. Er hat das nicht gewollt. Über ihn ist das sowas von hereingebrochen. Vaterwerden stand nicht auf seinem Projektplan. Ficken schon.