Kinderkriegen. Группа авторов
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Als er ging, hast du nichts gesagt, sondern hinausgeschaut, die Autos beobachtet, wie sie über die kleinen weißen Pillen fuhren, sie platt auf den Asphalt drückten, und du hast da gestanden, ihnen zugesehen und dir vorgestellt, es sei dein Herz, dass da unten lag.
Was danach kam, war einfach nur ein sehr großes, vollkommenes, kräftiges Leiden. Werther war nichts dagegen. Glaubtest du. Du warst auf Entzug, und dein Körper rebellierte, du konntest keine Nahrung mehr aufnehmen, nichts ging mehr und dass deine Tage irgendwann nicht mehr kamen, ist dir eigentlich erst ein halbes Jahr später aufgefallen.
- Amenorrhö.
War die Diagnose der Frauenärztin, zu der du dann gingst, und dass du erstmal wieder Gewicht zunehmen müsstest, dann würde die Periode schon von alleine kommen.
Aber sie kam nicht. Deine Höschen blieben leer und trocken wie die eines kleinen Mädchens.
Die Frauenärztin verschrieb dir die Pille, damit du wieder deine Regelblutung bekommen würdest, künstlich sei besser als nichts. Aber der Meinung warst du nicht, du hattest keine Lust mehr auf das Brustspannen, auf Krebsrisiko, auf Hormone in deinem Körper, auf die Stimmungsschwankungen und Gewichtzunahme, überhaupt, hatte nicht aller Liebeskummer mit der Pille angefangen?
Dann bist du ihm begegnet. Deinem Orion. Dem Typen, den du dir an deinen Himmel geworfen hast und den niemand mehr da runterholen konnte. Weil er eine tiefe Ablehnung gegen alles Begrenzende hat, im Denken, aber auch was alles Körperliche betrifft, ging das mit Kondomen nicht.
Du bist die Tochter einer betrogenen Generation, deren Mütter sich eingeredet haben, dass sie jetzt selbstbestimmt wären, weil sie ein eigenes Konto hatten, wählen gehen und im Notfall auch mal abtreiben durften.
Ins Behandlungszimmer gehst du allein. Orion bleibt im Wartezimmer und läuft dort sein Sternbild ab. Was sollte ein Mann auch beim Frauenarzt, es sei denn, seine Frau ist schwanger und er will den Knirps auf dem Monitor sehen, aber genau das will Orion ja nicht.
Die Gynäkologin ist dir fremd, jemand hat sie dir empfohlen, du bist neu in der Region, kennst dich nicht aus, dein Studium hat gerade erst angefangen und du hast nicht geplant, schwanger zu werden, jedenfalls nicht jetzt. Überhaupt brauchst du ja nicht mehr von ihr als den Beratungsschein, das grüne Licht. Vor der Untersuchung sitzt die fremde Frau an ihrem Schreibtisch und redet lange auf dich ein. Sie sagt, sie hat zwei Kinder. Keines davon selbst geboren, sie kann keine Kinder bekommen, ihr Uterus funktioniert nicht, erklärt sie dir, und ihre Kinder sind adoptiert. Sie zeigt dir Fotos, die auf ihrem Schreibtisch stehen. Zwei asiatische Gesichter blicken dich an und du fragst dich, ob es wohl schwer ist, mit solchen Gesichtern in Deutschland zu leben und ob du das auch mal einem Menschen zumuten musst, wenn du nun abtreibst und dann vielleicht nicht mehr schwanger werden kannst. Du überlegst, ob die Gynäkologin neidisch auf deinen Uterus ist, der seine Funktion erfüllt, ob sie dich für dumm hält, für egozentrisch, weil du, anders als deine Geschlechtsteile, nicht funktionieren willst, jedenfalls nicht so, wie es die Natur von dir erwartet, erzeugend. Dir wird klar, dass du hast, was diese Frau sich sehnlichst wünscht, eine eigene Schwangerschaft, und du willst sie nicht. Du fragst dich, ob sie dich für eine Mörderin hält, aber traust dich nicht, es auszusprechen. Du brauchst diesen Beratungsschein.
- Jetzt hören wir die Herztöne, sagt die Fremde, als du mit ausgestreckten Beinen vor ihr liegst, wie ein zum Schlachten aufgebahrtes Tier. Ein lautes schnelles Flimmern geht durch den Raum, hörbar wie ein Traum. Das ist der Moment, an dem du in deiner Steinschnittlage zusammenbrichst. Gerade noch warst du der Patient in Rückenlage, jetzt bist du der Stein, der in zwei Stücke birst und nichts als Wasser fließt aus dir heraus. Du heulst, du bist nur noch Tränen, du zerfließt praktisch auf ihrem Boden, du möchtest in den Monitor kriechen, dich zu dem Embryo kuscheln und nur noch seine Herztöne hören, denn wenn sie aufhören, dann ist es vorbei und das ist deine Schuld.
- Überlegen Sie sich das nochmal, sagt die Fremde zum Abschied und reicht dir kein Taschentuch, sondern den Beratungsschein. Ohne noch einmal aufzublicken, erklärt sie, für die Abtreibung müsstest du dir noch jemanden suchen, aber da könnte dir sicher pro familia helfen.
Du gehst hinaus, du bist schockiert, du denkst, das wenigstens hast du geschafft, aber du weißt noch nicht, das Schlimmste kommt erst noch.
Die Praxis des Abtreibungsarztes ist sehr weiß gestrichen. Die Adresse hast du von pro familia und außer dir sitzen noch drei weitere Frauen im Raum und der Erzeuger, dein Orion. Du wünschst dir sehnlichst, dass alle Frauen wegen Abtreibung hier sind oder wenigstens wegen ihrer Nachuntersuchung, aber eine ist sehr sichtbar schwanger, was du ihr kaum verzeihst, denn du kannst ihren Anblick nicht ertragen. Du willst nicht glauben, dass Leben und Tod so eng zusammenhängen. Wenn dieser Arzt hier abtreibt, dann soll er sich doch bitte nicht auch noch um werdendes Leben kümmern. Du wärst gerne auf einem Friedhof, du hättest es gerne schon hinter dir.
Dann geht alles ganz schnell. Du bist wieder allein auf der Liege, der Monitor wird angeworfen, dir die schleimige Flüssigkeit auf den Bauch geklatscht, die dich auch später immer an deinen eigenen Zervixschleim erinnern wird. Da ist ein Bild, ein grauer Fleck, aber keine Herztöne mehr. Und dein eigenes Herz bleibt stehen, du richtest dich auf, um besser auf den Schirm zu sehen, ob es noch lebt, aber der Arzt macht das Bild aus.
- Kommen Sie bitte nüchtern. Mehr sagt er zum Abschied nicht. Und du verstehst, dass er gerade nur eine Summe diagnostischer Tätigkeiten an dir durchgeführt hat, mehr nicht, genauso, wie das eben passiert bei einer medizinischen Untersuchung, muss der Arzt seinen Patienten auskultieren, und das hat er gerade getan, dich und das Wachsende in dir.
Für ihn, denkst du, existiert es nicht mehr, es ist schon tot, es hat keine Bedeutung, das ist nur noch ein Müll, den er dir entfernen wird, wie eine sehr hässliche Warze, und wenn du in deinem Leben gedacht hattest, du seiest allein und du seiest traurig und verlassen, vielleicht sogar verzweifelt, rat- und hilflos, einsam sogar, dann war das nichts gegenüber dem, was du jetzt fühlst. Der Abgrund bist du.
Und du fällst und es gibt kein Ende. Du gehst durch Watte, durch Sand, du ertrinkst in einem Moor, du bist ins Meer gefallen und schon lange untergegangen. Warum nur hören die Synapsen in deinem Kopf nicht auf, ständig neue Verbindungen zu schaffen? Orion folgt dir, redet auf dich ein, aber du kannst ihn nicht verstehen. Es hat auch keine Bedeutung mehr, denn die Herztöne sind weg und das ist allein deine Schuld. Das ist der Augenblick, in dem dein Herz explodiert.
Orion steht da und will wissen, was los ist, aber du antwortest nicht. Du antwortest nicht, sondern gehst aus der Praxis, er rennt zurück zum Abtreibungsarzt, um herauszufinden, was mit dir los ist, was dir gesagt wurde, was die Konsequenzen sind, Nebenwirkungen, Folgen. Du bleibst irgendwo auf der Straße zwischen hupenden Autos stehen, du reagierst nicht, wo du bist, ist dir egal, du bist in einer Welt, die dir nicht gehört, zu der du niemals gehört hast, weil du nicht selbstbestimmt bist, sie ist dir fremd, du spielst in einem Film, von dem du das Drehbuch nicht kennst. Das ganze Leben geht an dir vorbei, jetzt, wo die Herztöne weg sind. Eigentlich ist es nicht das Leben, sondern die Entzauberung der Welt, die an dir vorbeigerauscht ist. Denn deine Instinkte, die solltest du doch eigentlich kontrollieren, um rational entscheiden zu können, wann der richtige Moment ist, auf jeden Fall nicht der, den dir dein Herz vorschlägt oder der, an dem die Klitoris anschwillt. Doch wenn du ehrlich mit dir und der Gesellschaft bist, so haben sie dir das doch nie wirklich zugetraut, das Entzaubern selbst in die Hand zu nehmen, angeschwollen sind immer die Organe des anderen, immer hat dir jemand gesagt, was du mit deinem Körper zu tun hast, und meistens war es ein Mann.
Jetzt kommt Orion zurück und erklärt