Flusenflug. Peter Maria Löw

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Flusenflug - Peter Maria Löw

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der Ausrüstung, die über Bord gegangen waren. So segelten wir also weiter von Insel zu Insel. Es war sehr idyllisch.

      An eine Insel erinnere ich mich besonders. Wir betraten sie mit unserem kleinen Beiboot und bei jedem Schritt gab der kilometerlange Sandstrand ein Geräusch von sich. Zuerst dachte ich, es würde sich um einen Hörfehler handeln oder ich hätte vielleicht ein Problem im Fuß, aber dieses »quak, quak«, dieses froschartige Geräusch, setzte sich bei jedem Schritt fort. Als ich in den Sand heruntergriff, fühlte er sich eher wie fein gemahlenes Mehl an. Sobald ich aber meine Hand öffnete, fiel der vermeintliche Sand nicht zu Boden, sondern flog mit dem Wind einfach davon. Wie sich herausstellte, handelte es sich nicht um Sand, also Quarzsand, sondern um reines Silikon, das in fein gemahlener Konsistenz auf natürlichem Wege irgendwie den Silikonstrand dieser Insel geformt hatte. Optisch sah er aus wie blütenweißer normaler Sandstrand. Es ist doch immer wieder bemerkenswert, welche Wunder die Erde für uns bereithält. Es war Urlaub und so verwarfen wir schnell aufkeimende Geschäftsideen zur Vermarktung des »Natursilikons« an Schönheitschirurgen etc.

      Auf einer anderen Insel hatte sich unser Skipper Ralf nach intensivem Studium der Tidentabellen entschlossen, mit mir einen Landgang zu machen. Wir »parkten« unser Boot also zweihundert, dreihundert Meter vor der Küstenlinie dieser Insel und schipperten mit dem Dingi an Land. Inzwischen hatten, es war schon gegen Abend, zwei andere Segelboote auf ungefähr gleicher Höhenlinie zur Insel hin, aber in einigem seitlichen Abstand von uns, ihre Anker geworfen.

      Wir blickten also abends vom schönen Südseestrand auf das blaue Meer hinaus. Wir hatten unseren Grill mit den Steaks aufgebaut, ein duftender Käsekuchen wartete nachher auf dem Boot auf uns. Da beobachtete ich ein merkwürdiges Phänomen. Die Lichter unseres Bootes, insbesondere das Licht oben am Mast, begannen sich mit dem Mast etwas eigenartig zu bewegen. Erfolgten die Bewegungen zunächst mit der Dünung sachte von links nach rechts, so kam es mir vor, als ob sie in diesem Lauf ab und zu stecken blieben, also an einer Stelle verharrten, um dann umso schneller die restliche Bahn abzulaufen. Es ergab sich also eine irgendwie ruckelige Bewegung. Nun mag man ja auf der südlichen Halbkugel sehr viele andere Gesetzmäßigkeiten erkennen, aber dieser Befund stimmte mich doch etwas besorgt. Kratzte das Boot etwa mit dem Schwert am Grund und verursachte das vielleicht die Friktionen? Konnte das sein? Ich fragte Ralf, ob vielleicht die Ebbe eingesetzt habe. Er aber versicherte mir, dass er alles genau studiert hätte, und dass wir uns beim »Parkieren« bereits in einer Ebbephase befunden hätten, der Meeresspiegel also nur noch ansteigen könne. Dies widersprach aber wiederum meiner Wahrnehmung, denn das Wasser hatte sich seit unserer Anlandung am Strand um mehr als zehn Meter Richtung Meer zurückgeschoben. Ich ermahnte Ralf dringlich zum Boot zurückzufahren, denn irgendwas schien hier nicht zu stimmen. »Vielleicht handelt es sich um die Vorboten eines Tsunamis, bei dem sich das Wasser auch entgegen der Tidentabelle zurückzieht?«, warf ich in die Runde, und zumindest das bewegte Ralf dazu, schnellstmöglich auf das Boot zurückzueilen. Dort holten wir den Anker ein und fuhren sicherheitshalber zweihundert Meter weiter hinaus in tieferes Gewässer, um dort erneut den Anker zu werfen.

      Das Spektakel setzte sich fort, das Wasser ging offenbar mit einer doch unerwartet hohen Sinkrate zurück. Das ließ sich am besten bei einem Stück Käsekuchen von unserem Schiff aus beobachten. Denn die anderen beiden Schiffe, die immer noch in »erster Insellage« ihre Anker geworfen hatten, begannen nun auch mit ihren Lichtern am Mast in ruckelige Bewegungen zu verfallen. Irgendwann beschränkte sich diese Bewegung nicht mehr auf einen von links nach rechts gleichmäßig verlaufenden 100 Grad Winkel, sondern verlagerte sich auf eine einzige Seite des Bootes. Das hieß, die Lichter – inzwischen war es schon recht dunkel – bewegten sich, militärisch gesprochen, nur noch von 1 Uhr bis vielleicht 2 Uhr und dann immer mehr in Richtung 3 Uhr. Dann erreichten uns hektische Funkrufe: »Mayday, Mayday, Mayday. We are dipping, we are dipping, we are dipping!«, waren die Meldungen, die bei uns immer aufgeregter eingingen. Doch wir konnten auch nichts gegen die physikalischen Gesetzmäßigkeiten ausrichten. So zogen wir es vor, von unserem Aussichtspunkt aus das Ganze erst einmal in Ruhe zu beobachten, das Rotweinglas, wie einen Rettungsring, in der Hand. Irgendwann lagen die beiden fremden Schiffe völlig auf dem Trockenen, seitwärts auf dem Sand, wie zwei schlafende Walrösser. Dies war nicht weiter gefährlich, sah aber doch irgendwie drollig aus.

      Als wir am nächsten Morgen aufwachten, waren beide Boote verschwunden. Die Flut hatte eingesetzt. Da wir nun nicht davon ausgingen, dass der Sand sie verschluckt hatte, war es wohl so, dass sie beim ersten Wasser unter dem Kiel fluchtartig diese Location verlassen hatten. Meine Analyse hatte inzwischen ergeben, dass unser erfahrener Skipper irgendetwas durcheinandergebracht haben musste. Jedenfalls war es so, dass wir zum unglücklichsten aller Zeitpunkte, nämlich zur Flut, unseren Ankerplatz gefunden hatten. Ein zweiter ungewöhnlicher Umstand kam hinzu, nämlich dass der Tidenhub an dieser Stelle mit fast zehn Metern besonders hoch war, was ebendiese merkwürdigen Effekte ausgelöst hatte. Die Crews der beiden tapferen Schiffe, die am Schluss bäuchlings am Strand lagen, hatten sich wohl blindlings auf die Expertise unseres »pilot in command« verlassen und einfach da geankert, wo wir bereits ankerten. Dieser Lemminge-Effekt hatte dann besagte Konsequenzen und lehrte mich, dass ich mich eben nicht unkritisch auf die Meinung irgendeines anderen verlassen durfte.

      Unsere Taucherlebnisse waren ebenfalls abenteuerlich. Wir hatten nicht nur ein schönes Schiff, sondern auch sechs Tauchausrüstungen an Bord und das Great Barrier Reef war gleich vor der Tür. Doch wie sollten wir es anstellen? Aus Filmen war mir ja bekannt, dass es auf hoher See vielleicht nicht so ratsam ist, wenn die gesamte Mannschaft gleichzeitig von Bord geht. Andererseits waren die Tauchgründe zu verlockend und so versuchten wir immer, einen besonders sicheren Ankerplatz zu finden, auch wenn wir ringsum kein Land mehr sehen konnten. Dort gingen wir beide dennoch das ein oder andere Mal zusammen tauchen. Gott sei Dank war das Schiff beim Auftauchen immer noch da, denn bis zur nächsten Insel in der Südsee wäre es doch etwas weit gewesen.

      Noch unheimlicher war die Situation, wenn wir den Anker nicht mehr losbekamen, weil er sich irgendwo verhakt hatte. Das war manchmal der Fall in Bereichen, in denen eine etwas höhere Strömung herrschte. Dort sprang Ralf todesmutig mit Tauchgerät in die Fluten, um den Anker zu befreien. Etwas unklar war mir dabei aber die Frage, was passieren würde, wenn das Schiff in der Strömung beim Lösen des Ankers einfach davonschwimmen würde. Denn mit mir als völlig ungeübtem Segler an Bord war es nicht sicher, ob und wann es mir gelingen würde, den armen Ralf auf offenem Meer wieder einzusammeln. Diese Besorgnis trieb Ralf offenbar auch um. Daher hatte er sich folgende Technik ausgedacht: Er hängte sich einfach an die Ankerkette und zog sich so nach und nach durch die Strömung wieder zum Schiff heran. Ich muss sagen, diese Technik hat ausgezeichnet funktioniert. Jedenfalls kann ich vermelden, dass es Ralf Schläpfer bis heute sehr gut geht.

      Nachdem sich unsere Bootsreise dem Ende zu näherte, hatte sich auch unser Bestand an Käsekuchen, Steaks und sonstigen Utensilien fast auf null reduziert. Denn jedem Bekannten oder Unbekannten, der uns über den Weg lief, konnten wir mit einem freundlichen Präsent eine große Freude bereiten und damit für die Offenherzigkeit der Europäer im Allgemeinen Werbung machen.

      Wir schlossen die Reise wieder in Sydney ab und bereits auf dem Rückflug Ende November 1995 hatte es sich für mich »aussabbaticalt«. Jetzt musste es wieder geschäftlich weitergehen.

      28Das Sabbatjahr, auch Schmittah (image) genannt, ist in der Tora (Bibel) ein Ruhejahr für das Ackerland. Nach 6 Jahren Bebauung wird das Land – in Analogie zum Sabbat als Ruhetag – ein Jahr brach liegen gelassen (Ex 23,10–11 EU; Lev25,1–7 EU) (Wikipedia), heute versteht man darunter auch eine längere Auszeit vom Berufsalltag.

      29Zweimal den legendären New York Marathon.

      30Rangliste.

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