Flusenflug. Peter Maria Löw
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Das Entlohnungspaket war ein voller Erfolg. Es führte u. a. dazu, dass die besten Vertriebsmitarbeiter deutlich mehr verdienten als ich selbst mit meinem monatlichen Geschäftsführergehalt von DM 12 000. Ich freute mich sogar über jede Mark, die ein Vertriebsmitarbeiter mehr als ich verdiente, da die Firma von diesen Erfolgen überproportional profitierte.
Mit der Zeit entwickelte sich unser kleiner Büromaschinenhändler zum Magneten für alle guten Vertriebsleute der Region, selbst aus anderen Branchen. Die Umsätze der Firma legten stark zu, sodass wir unsere Zinsraten pünktlich bedienen konnten. Dennoch blieb es ein waghalsiger Ritt auf Messers Schneide. Die diversen Bankdirektoren, bei denen wir unsere Akquisitionsgelder geliehen hatten, gaben sich die Klinke in die Hand und stellten sich fast immer mit dem gleichen Satz vor: »Lieber Herr Dr. Löw, wie konnte es passieren, dass es Ihnen erst nach geraumer Zeit aufgefallen ist, dass Ihre Geschäftsführer Gelder von den Bankkonten entwendet haben, und war es wirklich Ihr Plan, dass Sie innerhalb kürzester Zeit kein Management mehr haben? Haben Sie überhaupt schon mal selber eine Firma geführt?« Diese Floskeln waren ja noch zu ertragen. Als viel schlimmer stellte es sich heraus, dass besagte Bankdirektoren nunmehr anfingen, ein jeweils eigenes Controlling einzurichten, das hieß, dass sie von uns im Wochen- oder Tagesrhythmus diverse unsinnige Statistiken und Aufstellungen verlangten, um für den möglichen Fall einer Insolvenz ausreichend dokumentieren zu können, wie intensiv sie sich doch um die Firma gekümmert hätten. Jedenfalls kann ich im Nachhinein sagen, dass ich in dieser Zeit ziemlich schlecht geschlafen habe, auch wenn die Aufgabe an sich höchst interessant und unterhaltsam war. Denn mit Gesamtschulden in Höhe von ca. DM 7 Mio. ist eine beginnende Existenz schon oft im Keim erstickt worden.
Nach einem Jahr Geschäftsführertätigkeit vor Ort hatte sich der Umsatz um fast 50 Prozent auf über DM 10 Mio. erhöht. Die Beschäftigung war von 27 auf 41 Mitarbeiter gestiegen. Auch die Profitabilität des Unternehmens hatte sich deutlich verbessert. In der Branche war man auf uns aufmerksam geworden. Wir erhielten Angebote zur Übernahme der Gesellschaft von diversen Wettbewerbern, akzeptierten aber im Endeffekt doch das beste Angebot von den beiden untreuen Herren Landmeier und Althaus, denen es im Pensionärsstand offensichtlich langweilig geworden war, und die damit wohl auch weitere Ermittlungen der Behörden verhindern wollten. Und die beiden Herren bestanden – aus nachvollziehbaren Gründen – nicht wie alle anderen darauf, dass wir noch ein, zwei Jahre als Geschäftsführer im Unternehmen bleiben sollten, auch ein Vorteil.
Wir verkauften also das Unternehmen nach circa 13 Monaten im Februar 1994 mit einem Gewinn von DM 1 Mio., also zu einem Kaufpreis von DM 8 Mio. Damit konnten wir alle unsere Schulden bezahlen. Zusätzlich hatten wir jeweils ein Geschäftsführergehalt von ca. DM 140 000 bezogen. Wir behielten unsere schicken Dienstwagen – nunmehr im Privateigentum – und machten darüber hinaus immer noch einen unternehmerischen Gewinn von DM 1 Mio., zu zweit natürlich und vor Steuern, aber für eine Tätigkeit von etwas mehr als einem Jahr war dies doch ein respektables Ergebnis.
Wir bestanden bei den Herren natürlich auf Bezahlung durch offiziellen Bankscheck. Ein Bankscheck hat die gleiche Bedeutung wie Bargeld. Wenn er verloren geht, kann man das Geld nicht noch einmal erhalten. Ich kann mich noch erinnern, wie Martin und ich taktisch planten, wie wir diesen wertvollen Scheck in Höhe von DM 8 Mio. von der Übergabe beim Notar bis zur Abgabe in der Bank sicher beförderten. Als alter Fallschirmjäger konnte ich Überfallsund Diebstahlsfantasien weitgehend ausräumen, aber ein Unfall? Ein Meteorit? Eine Sintflut? Wer konnte das schon wissen? Irgendwie erreichten wir dann aber doch sicher die Bank und zahlten ein. Ein schönes Gefühl.
21Ceteris paribus (lat.): unter sonst gleichen Bedingungen; in der betriebswirtschaftlichen Modellentwicklung versteht man darunter, dass Regelhaftigkeiten ermittelt werden sollen, indem man in der Modellanordnung zahlreiche andere Einflussgrößen, die in der wahren Welt sehr wohl vorkommen können, dadurch zu eliminieren versucht, dass man sie ignoriert.
Das 3. Abenteuer Ab nach Kassel
Seit Mitte 1993 hatten wir zur Bündelung unserer zukünftigen Kopieraktivitäten eine Dachgesellschaft gegründet, die System Kopie AG. Mit der Rechtsform AG wollten wir Größe und Seriosität nach außen vermitteln und die Bezeichnung »Vorstand« hatte zudem einen etwas wichtigeren Klang. Diesem Image diente auch die Wahl des Firmensitzes. Wir mieteten uns in einer sehr repräsentativen Villa aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts im Münchner Nobelviertel Bogenhausen ein. Dort, in der Cuvilliesstraße, mussten wir dennoch ein paar Zugeständnisse an unseren Geldbeutel machen. Wir leisteten uns einen komplett getäfelten Raum im Erdgeschoss mit bestimmt 30 qm und dazu nur noch ein winziges Büro von vielleicht 10 qm daneben, mehr ging nicht. Firmenbesucher wurden also stets über den repräsentativen Eingangsbereich der Villa in unser getäfeltes Büro geführt, das wir inzwischen mit zeitgenössischer Kunst und allerlei Schnickschnack »gepimpt« hatten. Der Durchgang zu unseren »weiteren« Büroräumen war dann natürlich für Gäste tabu. Dieses Potemkinsche Büro sollte aber seinen Zweck erfüllen.
Noch vor dem Verkauf der A + L Bürocenter hatte Martin Anfang Oktober 1993 eine weitere Firma identifiziert. Ich fuhr also mit meiner hübschen, französischen Oktoberfestbekanntschaft vom Vortag im Zuge der Völkerversöhnung flugs nach Kassel. Bei der Firma handelte es sich um den Büromaschinenhändler »brw Bürosysteme Vertriebsgesellschaft mbH« in Kassel, der dem Konzern Bührmann-Tetterode gehörte. Die Firma erwirtschaftete jährlich bei einem Umsatz von DM 8 Mio. einen sagenhaften Verlust von DM 5 Mio. und das Ganze bei einem schuldenfreien Bestand von 4000 Kopiergeräten, die an Kunden verleast worden waren. Nachdem ich mich ja bereits intensiv in das Geschäft des Büromaschinenhändlers eingearbeitet hatte, erschienen mir diese Zahlen völlig unerklärlich. Allein anhand der bestehenden Leasingverträge musste jeden Monat ein erheblicher Cashflow generiert werden und, wenn man dann für das Handling dieser Verträge ohne Neugeschäft nur einen reduzierten Personalstamm zugrunde legte, musste die Gesellschaft eigentlich einen erheblichen Gewinn erwirtschaften. Mit dieser Überzeugung im Tornister zogen wir also in die Schlacht. Bührmann-Tetterode war heilfroh, die Gesellschaft irgendwie loszuwerden, da die Verluste das Gesamtergebnis in der Konzernbilanz doch deutlich verhagelten. So gelang es uns, die Gesellschaft im Oktober 1993 für einen symbolischen Kaufpreis von DM 1 schuldenfrei zu übernehmen.
Unmittelbar nach dem zeitgleichen Signing und Closing stürmten wir in die Gesellschaft und entließen als erste Amtshandlung die beiden Geschäftsführer. Ähnlich wie bei A + L hatte der Konzern von diesen die Firma brw erworben und die beiden »Herren« im Amt belassen (was für ein blöder Anfängerfehler!). Gerade einmal zwei Stunden nach Entlassung der Geschäftsführer ereilte uns der Anruf von deren Anwalt. Man könne doch über alles reden und vielleicht einen Deal machen. Jedenfalls solle man nichts überstürzen. Diese sehr defensiven Aussagen ließen uns aufhorchen. Das Studium des Aktenmaterials im Geschäftsführerzimmer zeigte uns dann sehr schnell, dass die überraschend friedliche Kontaktaufnahme nicht ganz uneigennützig war. Wir stellten bald fest, dass nicht unerhebliche Beträge – Millionenbeträge – von der Gesellschaft für die privaten Bauvorhaben der beiden Herren Geschäftsführer zweckentfremdet worden waren.