Flusenflug. Peter Maria Löw
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Der Markt war wegen relativ geringer Eintrittsbarrieren und einer weit gestreuten Lieferantenschar, die fast identische Artikel zu fast identischen Preisen lieferte, heiß umkämpft. Es gab nur eine geringe Markentreue unter den Abnehmern. Ob ein Kopiergerät von Canon, Ricoh oder Minolta kam, war letztlich relativ egal. Was dem Kunden jedoch nicht gleichgültig war, waren die Reaktionszeiten, falls es einmal zu einem Papierstau bei einem Kopiergerät gekommen war. Im schlimmsten Fall konnte so ein ganzer Geschäftsbetrieb lahmgelegt werden. Daher definierten gerade diese Reaktionszeiten, nämlich die Entfernung und damit die Fahrzeiten der Reparaturteams vom Firmenstandort zum Kunden, in welchem Umkreis Kunden bedient werden konnten. Und tatsächlich besaß die A + L, ähnlich einem militärischen Gefechtsstand, eine operative Einsatzzentrale, die die verschiedenen Reparaturfahrzeuge zentral steuerte und so die kürzesten Reaktionszeiten erzielte.
Am 31. Dezember, also am Silvesterabend des Jahres 1992, unterzeichneten wir mit den Verkäufern Herrn Landmeier14 und Herrn Althaus15 den Kaufvertrag. Der Kaufpreis sollte mit Fertigstellung der geprüften Jahresabschlüsse geleistet werden. Dann wären wir stolze Eigentümer unserer ersten Firma, hafteten aber auch persönlich für die gesamte Finanzierung. Mit circa DM 7 Mio. belastet, aber um ein Unternehmen reicher, begannen wir nunmehr unsere Karriere als Firmenkäufer.
An diesem denkwürdigen Silvesterabend kehrten wir in Martins alter Kutsche erschöpft, aber doch befriedigt und ehrlicherweise auch ein wenig besorgt nach München zurück. Wir hatten alles auf eine Karte gesetzt. Die im Haus von Martin Vorderwülbecke angesetzte Silvesterfeier war bei unserer Ankunft gegen zwei Uhr so gut wie vorbei, die Stimmung bei ihm zu Hause natürlich aufgrund der zu späten Stunde und der uns dämmernden Haftungslage ein wenig angespannt. So endete dieser Abend bzw. begann dieser Neujahrsmorgen doch etwas lautstärker, nicht wegen der noch vereinzelten Böller, sondern wegen des offenbar aussichtslosen Versuchs von Martin, seiner lieben Frau die Situation zu schildern. Irgendwann ging eine Tür zu Bruch. Da beschloss ich, doch besser zu gehen. Wie schwer fällt es manchmal, die großen Taten waghalsiger Männer angemessen zu würdigen im Angesicht des täglichen, hochkomplexen Mikrokosmos eines Haushalts.
Nun waren wir ja von Hause aus nicht mit unbegrenzten Geldmengen gesegnet. Eigentlich hatte ich mir durch meine Arbeit bei McKinsey lediglich ein Polster von rund DM 150 00016 zurücklegen können. Ähnlich war es bei Martin. Der Kaufpreis sollte jedoch ebendie geforderten DM 7 Mio. betragen. Es bestand also noch eine gewisse Differenz. Fröhlich und naiv wie ich damals war, ging ich als Erstes zu meiner Hausbank in München und fragte an, ob diese nicht einfach die fehlenden DM 3,35 Mio. auf meinen hälftigen Anteil finanzieren könnte. Ich pries die zu kaufende Firma in den höchsten Tönen, konnte positive Bilanzen der letzten Jahre vorweisen, es gelang mir sogar, den Bankbetreuer auf meine Seite zu ziehen, der natürlich zunächst nur seine Provision im Auge hatte. Jedoch kamen aus dem Kreditausschuss ernüchternde Nachrichten. Man wolle aus München heraus nicht eine Firma im entfernten Espelkamp – Wo liegt das eigentlich? Gibt es das überhaupt? – finanzieren. Die Firma sei im Übrigen viel zu klein und damit unterkritisch17 für ein solches Investment. Schließlich hätte ich keinerlei Track Record18 und könnte auch sonst nicht nachweisen, dass ich überhaupt in der Lage sei, eine solche Firma operativ zu managen. Aber weil sie ja einen so guten Eindruck von mir hätten und ich schließlich ja bei McKinsey arbeiten würde, hätten sie sich im Gremium dafür entschieden, mir doch in gewisser Weise unter die Arme zu greifen. Unter Verpfändung meines McKinsey-Einkommens bis ans Lebensende wären sie gerne bereit, mir DM 200 000 zu leihen.
Das waren andererseits auch keine völlig schlechten Nachrichten. Immerhin hatte ich jetzt erkannt, dass meine Position bei McKinsey anscheinend einen gewissen monetären Wert besaß. Daher bedankte ich mich freundlich für die Zusage, strich die DM 200 000 ein und setzte, ausgestattet mit jetzt insgesamt DM 350 000, meine Finanzierungsreise fort. Bei der nächsten Bank erging es mir ähnlich, nur dass ich meine Geschichte in der Zwischenzeit ein wenig adaptiert hatte. Nunmehr konnte ich auf DM 350 000 »Eigenmittel« zurückgreifen. Mir fehlte also nur noch die kleine Differenz von DM 3,15 Mio. und wieder bekam ich eine Zusage über einige Hunderttausend DM »wegen McKinsey«, sodass sich die Finanzierungslücke langsam zu schließen begann. So zog ich munter weiter durch die Finanzwelt und ergatterte hier und da noch einige Mittel, um schließlich mit fast einer Million im Säckel bei der örtlichen Sparkasse in Rahden vorzusprechen, die seit Jahren die Hausbank der A + L gewesen war. Auch Martin war ähnlich weit gekommen.
Jetzt standen wir also gemeinsam vor Herrn Direktor Gollup. Herr Gollup, inzwischen an die sechzig, war das, was man sich unter dem Direktor einer ländlichen Sparkasse vorstellte. Mit einem kleinen Wohlstandsbauch ausgestattet, stets in grauem Anzug mit Weste und einer eigenwilligen Krawatte, die ich nie in Erwägung ziehen würde, strahlte er die Würde und Bedeutung seines Amtes aus. Mit der Bitte uns, als wichtige Investoren, eine gewisse Brückenfinanzierung für die Akquisition der für den Landkreis so bedeutenden Firma A + L zur Verfügung zu stellen, stießen wir endlich auf offene Ohren. Der Bankdirektor, von unserer offensichtlichen Finanzkraft und unserem bestimmenden Auftreten beeindruckt, erklärte sich bereit, unter Verpfändung der Anteile der Gesellschaft und nach Abgabe jeweils einer gesamt- und selbstschuldnerischen, persönlichen Bürgschaft unter Verzicht auf jedwede Einrede (übrigens wie bei allen anderen Banken vorher auch) das fehlende Quäntchen zu finanzieren.
Dass eine solche »Kaskadenfinanzierung« natürlich nicht den üblichen Standards einer soliden und seriösen Finanzierung entsprach, dass insbesondere mein McKinsey-Gehalt durch die Mehrfachverpfändungen deutlich strapaziert war, dass dies alles heute natürlich gar nicht mehr möglich wäre, das war mir damals nur ansatzweise bewusst. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt!
Zwei Monate später lagen die Jahresabschlüsse vor und wurden beim Notar hinterlegt. Die Fälligkeitsvoraussetzungen für die Auszahlung der Bankdarlehen waren damit eingetreten. Die tatsächliche Abwicklung des Kaufvertrages sollte jedoch bereits in dieser frühen Phase einen leichten Schatten auf unser erstes gemeinsames Projekt werfen. Über den Kaufpreis hinaus hatten wir nämlich mit der Bank vereinbart, dass diese uns einen weiteren Working Capital19-Kredit20 über DM 200 000 zur Verfügung stellte. Die Idee war, mögliche Schwankungen im Cashflow der A + L, die man nicht voraussehen konnte, auszugleichen. Wir hatten also auf unserem Konto nach Auszahlung aller Darlehensvaluta DM 7,2 Mio.
Im Rahmen einer kleinen Übergabezeremonie hatten wir uns alle in den Räumen der Gesellschaft versammelt. Anwesend waren die Herren Landhaus und Altmeier, der Herr Bankdirektor aus Rahden, Martin Vorderwülbecke und ich. Mit feierlicher Geste nahm Martin ein Scheckformular zur Hand und im Beisein aller füllte er dieses Scheckformular mit dem Kaufpreis aus und übergab es ebenso feierlich den beiden Verkäufern. Was Martin jedoch in der Aufregung dieses Augenblicks übersehen hatte, er hatte anstatt des Kaufpreises von DM 7 Mio. einen Betrag von DM 7,2 Mio., also den gesamten Valutabetrag des Darlehens, eingetragen. Dies bemerkten wir erst wenige Tage später, als die Valuta von unserem Konto in dieser überkompletten Höhe von den beiden Verkäufern abgebucht worden war. Natürlich stand im Kaufvertrag eine andere Summe und natürlich hatten die Herren auch keinerlei Anspruch auf den erhöhten Betrag. Wir fragten also an, ob sie den Betrag erhalten hätten und wenn ja, wann sie uns den versehentlich zu viel geleisteten Teil wieder zurücküberweisen würden. Die Antwort war kurz und bündig. Ein ostwestfälisches »Nö« schallte uns entgegen. Es sei eine alte Regel, dass das, was gezahlt worden sei, bezahlt sei und immer so verbliebe. Das sei hier so! Wir waren nun in einem gewissen Dilemma, denn einerseits sollten besagte Herren die Firma unter unserer Ägide ja weiterführen, und wir wollten es uns nicht gleich am Anfang mit ihnen verderben, andererseits handelte es sich nicht gerade um einen geringen Betrag, jedenfalls nicht für uns, die sich den gesamten