Flusenflug. Peter Maria Löw
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So beschlossen wir, unsere Rechtsstudien zu einem guten Abschluss zu führen und jeweils auch als Juristen zu promovieren, denn eine solche Promotion wäre nicht nur der Nachweis eines weit überdurchschnittlichen Examens, sondern Einstiegsvoraussetzung bei den sogenannten wirtschaftlichen Eliten, die es, wie ich aber erst jetzt weiß, gar nicht gibt. Und das Ganze sollte dann mit einem MBA-Studiengang, natürlich nur an einer der besten der internationalen Eliteschulen, gekrönt werden. Nun hatten wir beide schon unsere Ersten Staatsexamina abgelegt, beide mit Prädikat und damit unter den top fünf Prozent aller Teilnehmer, aber alle anderen Zutaten zu unserem genialen Plan fehlten noch.
Doch wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, und so trafen wir uns Jahre später 1991 an der renommierten Eliteuniversität INSEAD in Fontainebleau, am Jagdsitz der französischen Könige, wieder. Wir hatten beide unseren Weg gemacht, alle Vereinbarungen eingehalten. Martin beherrschte neben Englisch, Französisch und Italienisch eine Fremdsprache mehr als ich, nämlich Portugiesisch, und war insgesamt ein halbes Jahr schneller. Ich andererseits war mit einem abgeschlossenen Drittstudium und einem weiteren Doktortitel in Geschichte, also mit einem Dr. phil., vorgeprescht. Deuce, würde der Tennisprofi sagen.
Das Studium in Frankreich war, wie erwartet, kurzweilig und spannend, auf den zahlreichen Partys und Festen war der doch sehr formalistische, deutsche Universitätsbetrieb bald vergessen. Und gegen Ende unseres letzten Terms6 kamen sie dann alle, die Großkonzerne und Investmentbanken, die Headhunter und Unternehmensberater. Alle wollten uns haben, uns, die Deutschen mit den mehreren Studiengängen, den Doktortiteln und den Fremdsprachenkenntnissen. Teil unseres Plans war es immer schon gewesen, nach den Studien erst einmal in einer Angestelltenposition zu starten, um dort zu lernen und dort auch unsere ersten Fehler machen zu können. Erst danach wollten wir es alleine wagen. Was? Das wussten wir auch nicht, noch nicht, aber mit Gottvertrauen …
Ich entschied mich schließlich für die Unternehmensberatung. Mit McKinsey & Co. Inc. handelte ich, da ich mehrere Job-Offers hatte, alle möglichen Sonderkonditionen aus und startete am 6. Januar 1992 am deutschen Hauptquartier in Düsseldorf, als waschechter McKinsey-Associate.
Martin hatte bereits sieben Monate vorher auf die IMM gesetzt, die Industrie Management München. Seine Gesellschaft war eine der ersten M&A-Boutiquen7 in Deutschland und hatte sich darauf spezialisiert, Büromaschinenhändler systematisch aufzukaufen, um daraus einen Büromaschinenhandelskonzern zu schmieden. Deren Vorstand, Dr. Hans Albrecht, hatte vor Jahren ebenfalls bei INSEAD studiert. Er hatte dann Martin bei dem obligatorischen Bewerbungsinterview für die Zulassung zum INSEAD kennen- und schätzengelernt und den Kontakt gehalten. So bot er Martin also am Ende der Business School eine interessante Stelle an, nämlich mit ihm selbst als Chefakquisiteur die nun anstehenden Unternehmenskäufe durchzuführen. Gemeinsam erwarben sie in den nächsten neun Monaten an die 20 Unternehmen für die IMM. Martin erlernte das A und O des Firmenkaufs, das Screening nach guten Gelegenheiten, die Kontaktaufnahme, die Due Diligence8-Phase, die Analysen, die vertraglichen Gestaltungen, das Signing und das Closing9 und alles das, was danach kam. Inzwischen hatte Martin auch geheiratet und das erste Kind sollte demnächst auf die Welt kommen. Ich als »Rumtreiber« war zwar nicht »single«, aber immer noch ledig.
In diesen jeweiligen Lebenssituationen stehend, trafen wir uns also an jenem April im Jahre 1992 auf dem Nockherberg in München, so wie wir es jedes Jahr zu tun pflegten. Es war relativ heiß an diesem Nachmittag und das kühle Bier, das eiskalt in großen Steinkrügen serviert wurde, erfüllte genau das, was man von einer Erfrischung erwartete. Bereits eineinhalb Stunden waren verflossen und wenn man als »gesundes« Maß für einen vernünftigen Bierkonsum eine Maß10 pro Stunde festlegt, so hatten wir das Vernünftige schon ein wenig überschritten. Vier leere Krüge, vielleicht noch zu einem Achtel mit einer lauwarmen, dunklen Flüssigkeit gefüllt, die auch beim besten Willen nicht mehr getrunken werden konnte, lungerten wie Fremdkörper auf dem Tisch. Ob das »Noagerl« noch verdunsten musste, bis jemand die »Steine« holte?
Der guten Laune tat das alles keinerlei Abbruch. Das erste Bier hatte bereits kurz nach unserer Ankunft verführerisch auf dem Tisch gestanden. Die warme Luft kondensierte am eiskalten Steingut und zahlreiche Tröpfchen liefen schließlich in kleinen Bächlein vereint am Krug herab. Die Gespräche kreisten zunächst um private Themen. Martin war frisch verheiratet und Nachwuchs kündigte sich an. Ich, als Single, berichtete von dem ein oder anderen Abenteuer mit dem anderen Geschlecht. Wir scherzten über Bekannte und weniger Bekannte. Martin berichtete fröhlich von seinen Akquisitionen bei der IMM und wie spannend doch alles und wie zufrieden er vor allen Dingen sei. Ich erzählte von McKinsey, meinem Swarovski-Projekt in der großen weiten Welt und was wir dort schon alles erreichen konnten und wie zufrieden ich doch wirklich sei, und, und, und …
Da kam das zweite Bier. »Eigentlich«, Martins Stimme klang mit einem Mal ganz fremd, »eigentlich wollten wir uns doch selbständig machen, nicht wahr?« Nachdenkliches Kopfnicken von mir. Es entspann sich eine Diskussion über Vor- und Nachteile des Angestelltendaseins. Klar, wir verdienten überdurchschnittlich gut, klar, wir hatten beide eine spannende Tätigkeit, aber wirklich frei? Ich erzählte von einem Vorgesetzten, der »dumm wie Bohnenstroh« sei und dem ich alles erklären müsse. Und wie nervig es sei, wenn er, nur um seine Autorität zu wahren, unsinnige Entscheidungen durchsetzte – par ordre du mufti. Martin erzählte, wie wenig er am Erfolg der IMM eigentlich beteiligt werde, obwohl er doch einen Hauptanteil daran leiste. Lob gebe es auch nur selten. So einigten wir uns erst einmal auf die Formel: Jammern auf hohem Niveau.
Dann wurde es doch noch ein wenig ernster. Wenn wir noch länger auf diesen Angestelltenpositionen blieben und immer weiter befördert und mit weiteren Incentive-Paketen versorgt würden, dann würde es uns immer schwerer fallen, uns selbständig zu machen. Das Risiko des Verlustes einer sicheren und hochdotierten Stelle gegenüber der unsicheren Chance einer erfolgreichen Unternehmerschaft würde von Jahr zu Jahr steigen. Und irgendwann – mit Familie und Kindern – wäre ein Wechsel oder gar ein Neustart fast schon verantwortungslos. Und dann würden auch wir zu Angestelltentrotteln in Managementpositionen mutieren, die sich auf Kosten aller anderen im System nach oben boxen und ihren Charakter von Jahr zu Jahr mehr deformieren, bis sie nur mehr eingebildete Schatten ihrer selbst sind. Davon kannten wir einige.
Das dritte Bier nahte und nahm uns wieder die Ernsthaftigkeit. Die ausgelassene Stimmung kehrte zurück. Nach dem ersten Prost sprang Martin völlig unerwartet auf und es platzte aus ihm heraus: »Dann machen wir es einfach jetzt!«
Eine unheimliche Euphorie brach aus. »Genau, denen zeigen wir es. Was die können, können wir schon lange« und ähnliche geistvolle Sätze wechselten