Frei - Land - Haltung. Группа авторов

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Beschränkung nicht für Deutschland insgesamt repräsentative Studie kommt zu dem Schluss, dass 71,6 % gern in ihrem jetzigen Wohnort leben, nur für 13,9 % gilt das nicht, und 14,4 % wissen sich weder für die eine noch die andere Antwortmöglichkeit zu entscheiden (vgl. ebd.: 70). 9 % aller Befragten wollen „auf jeden Fall“ und 28,4 % „eher“ „hier bleiben“; 26,5 % wollen „eher“, 13,1 % „unbedingt“ „wegziehen“; dem Rest ist es „egal“ (ebd.: 81). Bemerkenswert dabei ist, dass auch ein gutes Fünftel derjenigen, die gern in ihrem Wohnort leben, eine Abwanderungstendenz hat. Was also entscheidet darüber, ob man einen Wegzug aus der Region plant oder nicht? Nach dieser Untersuchung hängt die Bindungsneigung am stärksten von der Einschätzung und positiven Bewertung der Region selber ab, für die wiederum – in dieser Reihenfolge – Landschaft, Natur, Freizeitmöglichkeiten und die Erreichbarkeit für attraktiv gehaltener Räume und Orte von vorrangiger Bedeutsamkeit sind. Einen zweiten Bindungsfaktor bildet die Familie, einen dritten die Wertschätzung von Freizeit, wobei hier Sportaktivitäten bzw. -kontakte und auch freundschaftliche Bindungen, wenn sie im gleichen Maße wie familiäre Bindungen geschätzt werden, sowie starke Paarbeziehungen besondere Rollen zu spielen scheinen. Wer hingegen „Einzelgänger“ ist, sich deutlich stärker an der Peergroup als an der Familie orientiert, shoppen gehen wichtig findet und/oder vor allem eine berufliche Karriere ansteuert, hat eher Abwanderungstendenzen (vgl. ebd.: v. a. 104–113). Während Wochnik (2014) feststellt, dass die Entscheidung über Gehen oder Bleiben der Berufswahlentscheidung vorausgeht und eher ein alternativer Berufswunsch verfolgt wird, als die Region zu verlassen, gibt die Mehrheit der Proband*innen in der Studie von Schametat u. a. zu erkennen, die Region verlassen zu wollen (oder zu müssen?), um den primären Berufswunsch in die Tat umsetzen zu können. Abwanderungsintentionen steigen auch mit der Ortsgröße. Interessanterweise ist in größeren Ortschaften die Zufriedenheit mit der Freizeitsituation und den Einkaufsgelegenheiten trotz tatsächlich größeren Angebots geringer (vgl. ebd.: 116 f.) – ein erneuter Hinweis darauf, dass sich subjektive Bewertungen nicht mit objektiven Lagen decken müssen.

      Deutlich stärkere Bleibetendenzen stellt die niedersächsische Landjugendstudie 2010 fest (vgl. Stein 2013), in der allerdings bis auf 3 Befragte alle Proband*innen Mitglieder der Niedersächsischen Landjugend und auch im Durchschnitt mit fast 21 Jahren deutlich älter sind, weshalb auch die von ihr produzierten Ergebnisse nicht verallgemeinerbar sind. Hiernach würden 99,5 % am liebsten weiterhin innerhalb der nächsten fünf Jahre in der Region bleiben (vgl. ebd.: 142). Dabei ist zusätzlich anzumerken, dass kaum Migrant*innen einbezogen wurden (5 % der Stichprobe), viele bereits altersbedingt die Ausbildung und damit auch – anders als die o. e. Neuntklässler – ihre Berufsorientierung hinter sich haben und – wie schon oben erwähnt – mehr als ein Drittel der Proband*innen in der Landwirtschaft tätig ist, gewachsene Freundeskreise stark für die Wohnortwahl zu Buche schlagen und 77,3 % sich „stark familienorientiert“ zeigen. Fast ein Fünftel gibt auch die Landschaft als Grund für die Wohnortpräferenz an, immerhin 13,1 % benennen auch „Tradition/Kultur“ als mit ausschlaggebend (ebd.: 113, 142 f. und 162).

      Resümierend ist festzuhalten: Umso positiver die regionale Verankerung ausfällt, umso stärker die sozialen Kontakte sich darstellen, umso höherer Stellenwert der Freizeit zugemessen wird und umso kleiner der Ort ist, an dem man*frau wohnt, desto größer ist die Bindungsneigung.

       FAZIT UND PERSPEKTIVEN

      Das Dorf ist offenbar nicht mehr das, was es einmal war – jedenfalls nach den weithin verbreiteten nostalgisch-schönfärberischen Zeichnungen ländlicher Idylle: ein Ort der Heimat, der durch Homogenität, Nestwärme und Sesshaftigkeit gekennzeichnet ist. Im Ausmaß regional und auch geschlechtsspezifisch sehr unterschiedlich denkt heutzutage immerhin die Hälfte bis 3/4 der Landjugendlichen über einen (womöglich auch nur temporären) Wegzug nach (ebd.: 106/107), um Selbstverwirklichungs-, Ausbildungs- und Berufschancen zu verbessern und Chancen auf den Erwerb von Wohlstand zu nutzen. In einigen strukturschwachen Landstrichen bestehen deutlich spürbare Unzufriedenheiten mit den infrastrukturellen Gegebenheiten, und gerade die besser (aus)gebildeten, vor allem weiblichen jungen Menschen haben hier verstärkt Abwanderungstendenzen. Heimatgefühle und lokale sowie familiäre Verwurzelungen können Letzteren auf Dauer bei den meisten nichts entgegensetzen. Auch wenn konventionalistische Werthaltungen mit zum Teil problematischen Auswirkungen auf die politische Kultur des ländlichen Raums noch vergleichsweise stark verhaftet bleiben, weichen sich dennoch traditionelle Bindungen und kulturelle Praktiken mehr oder weniger rapide auf, erleiden über Jahrhunderte und Jahrzehnte gewachsene örtliche Vereinigungen Attraktivitätsverluste innerhalb der nachwachsenden Generationen und häufen sich bei ihnen dementsprechend fast durchweg die Klagen über Rekrutierungsschwierigkeiten neuer Mitglieder. Bleibt wenigstens die Kirche im Dorf? Auch ihre Rolle wird – nicht nur im weitflächig konfessionslosen Osten der Republik – erheblich in den Hintergrund geschoben. Gesellschaftliche Treiber wie Ökonomisierung, Mediatisierung, Anonymisierung, Individualisierung, Pluralisierung, Entschleunigung, Globalisierung und Mobilitätszuwächse haben längst auch ländliche Strukturen ergriffen.

      Und dennoch oder gerade deshalb: Von regionalen Ausnahmen einmal abgesehen zeigen sich rund 90 % der Landjugendlichen mit ihren Lebenssituationen insgesamt und den Gestaltungsmöglichkeiten in ihren Lebensumfeldern zufrieden, die meisten von ihnen sogar „überwiegend“ bzw. „völlig“ (vgl. Becker/Moser 2013: 58). Sie weisen damit für sich eine hohe Lebensqualität aus und sehen zumeist zuversichtlich in die Zukunft. Das lange vorherrschende Bild von Landjugend als benachteiligter Jugend erweist sich vor diesem Hintergrund eher als Zerrbild. Am Dorfleben wird besonders geschätzt, seine Ruhe zu haben, in einer sicheren Umwelt leben zu können und dabei viele Freiheiten zu besitzen (vgl. Becker/Moser 2013: 87).

      Was diese Vorzüge neben allen empfundenen Widrigkeiten und Unzulänglichkeiten, aber auch den Strategien des Arrangements mit ihnen konkret für die jungen Menschen bedeuten und welche weiteren Vorteile Landleben aus ihrer Sicht mit sich bringt, lassen die in diesem Buch folgenden Gesprächsauszüge zutage treten. Ihre Vielfalt macht dreierlei deutlich: Erstens gibt sie zu erkennen: Die Landjugend gibt es nicht. Zweitens offenbart die Pluralität der Sichtweisen: Eine geografisch und kulturell statische Heimat lässt sich nicht (mehr) denken. Heimatverluste, die in dieser Weise verspürt werden, gleichen tatsächlich Phantomschmerzen (vgl. Schüle 2017), die auf einer Verklärung der Vergangenheit beruhen und die Möglichkeiten neuer Erfahrungsformen von Vertrautheit, Gemeinschaft und Geborgenheit ungenutzt lassen. Drittens nährt sie gerade mit Blick auf diese neuen Optionen von Beheimatung die Vermutung: Es kann kein Zufall sein, wenn der urbane Zeitgeist alte Dorfqualitäten in die Stadt holt: selbst gärtnern als Urban Gardening, das Backhaus als Backvollautomat, Nachbarschaftstratsch und Hocketse als Quartiersfest, alte Handwerkstugenden als aktueller Do-It-Yourself-Trend, unbekümmerte Freiflächennutzung als innerstädtisches Brachenrecycling, Hausmusik im kleinen Kreis als Wohnzimmer-Konzert einer Indie-Band, internetverbreitete Jugendkultur aus der Provinz als chart- und metropolentauglichen Hype, Fahrzeug ausborgen als Sharing-Kultur, Tante Emma als Bioladen, die Eckkneipe als hippen veganen Imbiss, Holzfällerhemden und Strickmützen kombiniert mit schweren Lederboots und Hosenträgern als Lumbersexual-Style für den urbanen wilden Mann, Marmelade selbst einkochen als ultimativen Nachhaltigkeits-Ausweis … image

       LITERATUR

      Arbeiterwohlfahrt (AWO) Kreisverband Westerwald: Jung sein im Westerwald. Lebens- und Freizeitsituation junger Menschen im Westerwaldkreis. Eine Studie der Arbeiterwohlfahrt Westerwald e. V. in Zusammenarbeit mit der Universität Koblenz-Landau. Koblenz 2001.

      Baier, Dirk/Pfeiffer, Christian/Simonson, Julia/Rabold, Susann: Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt. Erster Forschungsbericht zum gemeinsamen Forschungsprojekt des Bundesministeriums des Innern und des KFN. Forschungsbericht Nr. 107. Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen, Hannover 2009.

      Becker,

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