Freud und das Vermächtnis des Moses. Richard J. Bernstein
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Ich habe bereits gesagt, daß die gesamte zweite Abhandlung von der impliziten Aufwertung des jüdischen Monotheismus bestimmt ist. Dies scheint zwar durch die Adjektive, die Freud zu seiner Charakterisierung benutzt: „streng“, „schroff“, „intolerant“, „ausschließlich“ Lügen gestraft zu werden. Doch in Freuds Sprachschatz sind diese Ausdrücke nicht notwendig pejorative Formulierungen. In ihnen kommen vielmehr die rigorosen „geistigen“ Anforderungen und Pflichten zum Ausdruck, die der Monotheismus uns auferlegt – Anforderungen und Pflichten, die den rigorosen intellektuellen Ansprüchen der Psychoanalyse gleichen.
Freuds Lob der mosaischen Lehre, sein eigener Stolz auf die prophetische Tradition, läßt sich aus einer Passage her-auslesen, die am Ende der zweiten Abhandlung „Wenn Moses ein Ägypter war…“ steht – eine Passage, die auch die elliptische Formulierung des Titels zu erklären hilft. Hier klingt auch in Freuds eigener Prosa eine biblische Kadenz an:
„Da erhoben sich aus der Mitte des Volkes in einer nicht mehr abreißenden Reihe Männer, nicht durch ihre Herkunft mit Moses verbunden, aber von der großen und mächtigen Tradition erfaßt, die allmählich im Dunkeln angewachsen war, und diese Männer, die Propheten, waren es, die unermüdlich die alte mosaische Lehre verkündeten, die Gottheit verschmähe Opfer und Zeremoniell, sie fordere nur Glauben und ein Leben in Wahrheit und Gerechtigkeit (‚Maat‘). Die Bemühungen der Propheten hatten dauernden Erfolg; die Lehren, mit denen sie den alten Glauben wiederherstellten, wurden zum bleibenden Inhalt der jüdischen Religion. Es ist Ehre genug für das jüdische Volk, daß es eine solche Tradition erhalten und Männer hervorbringen konnte, die ihr eine Stimme liehen, auch wenn die Anregung dazu von außen, von einem großen fremden Mann gekommen war.“73
Es ist diese aufgeklärte mosaische Lehre, diese geistige Lehre, die Magie, Zauberei und die Sehnsucht nach leblosen Bildern verabscheut; es ist diese Lehre, die „nur Glauben und ein Leben in Wahrheit und Gerechtigkeit“ fordert, die am Ende triumphieren konnte. Es ist diese Tradition, die von den Propheten gepredigt wurde – eine, die das jüdische Volk (den Juden Freud eingeschlossen) ehren und auf die es stolz sein kann. Und es ist diese Tradition, mit der sich Freud, der „gottlose Jude“, identifiziert. Wir werden, sobald wir unsere Analyse der dritten Abhandlung von Der Mann Moses abgeschlossen haben, genau sehen, daß es dies ist, was Freud in seiner „Eigenart als jüdisch“ empfinden läßt. Freilich ist diese Auffassung des mosaischen Ideals und des jüdischen Monotheismus als einer Tradition, die solch hohe und unerbittliche Anforderungen an ein Leben in Wahrheit und Gerechtigkeit ohne Rückfall in jede Form von Idolatrie stellt, in den beiden ersten Abhandlungen bereits angedeutet.
Historisches Zwischenspiel: Von Wien nach London
Im ersten Absatz der zweiten Abhandlung, „Wenn Moses ein Ägypter war…“, verwendet Freud die Metapher vom „ehernen Bild auf tönernen Füßen“, die etwas abgewandelt auch in seinem Briefwechsel wiederkehrt. Yerushalmi hat recht, wenn er das „erschreckend großartige Bild“, von dem im Briefwechsel mit Arnold Zweig die Rede ist, auf Freuds dritte Abhandlung bezieht.74 Bevor ich mich deren Diskussion zuwende, möchte ich aber noch die historischen Umstände beleuchten, die Freuds tiefes Nachdenken über den ägyptischen Ursprung Moses’ und des jüdischen Monotheismus begleitet haben. Freud berichtet in seiner Korrespondenz der dreißiger Jahre freimütig vom Gang der Untersuchungen. Insofern ist der Briefwechsel eine reiche Quelle für Material, das genaueren Einblick in Freuds Planung, Motivation und auch das Zurückschrecken vor der Veröffentlichung seiner Ergebnisse gewährt.
Die ersten beiden Abhandlungen wurden 1937 in der Zeitschrift Imago veröffentlicht, zu einem Zeitpunkt also, als Freud noch in Wien lebte. In beiden Abhandlungen macht er Andeutungen, welche Schlußfolgerungen er aus dem „Faktum“, daß Moses ein ägyptischer Aristokrat gewesen sei, der das jüdische Volk zu Anhängern des Monotheismus Echnatons auserkor, ziehen wird. Er tut aber so, als seien diese Schlußfolgerungen einer zukünftigen Arbeit aufgegeben, die möglicherweise nie abgeschlossen würde. Freud war 1937 einundachtzig Jahre alt, er litt unter einer schmerzhaften und kräftezehrenden Krebskrankheit, fühlte seinen Tod nahen. Er verschloß sich noch immer den Bitten seiner Familie und Freunde, Wien zu verlassen. Gleichwohl wissen wir, daß Freud bereits 1934 „seine Gedanken über Moses und die Religion zum größten Teil entworfen und geschrieben hatte – Gedanken, in die er sich für den Rest seines Lebens vertiefen würde.“75 Schon in Freuds Manuskript des ersten Entwurfs finden wir die zentralen Thesen der dritten Abhandlung – eben jenes Material, auf das er sich bezieht, wenn er am Ende der zweiten Abhandlung „Wenn Moses ein Ägypter war…“ von der zukünftigen, noch zu schreibenden Fortsetzung spricht. Am 6. November 1934, drei Jahre vor der Veröffentlichung der ersten beiden Abhandlungen, schreibt Freud an Arnold Zweig: „Ich verlange doch mehr Sicherheit und mag nicht, daß mir die wertvolle Schlußformel des Ganzen durch die Montierung auf eine Basis gefährdet wird.“76 Am 16. Dezember 1934 schreibt Freud erneut, diesmal von seinen Publikationsbedenken:
„Mit dem Moses lassen Sie mich in Ruhe. Daß dieser wahrscheinlich letzte Versuch, etwas zu schaffen, gescheitert ist, deprimiert mich genug. Nicht daß ich davon losgekommen wäre. Der Mann, und was ich aus ihm machen wollte, verfolgt mich unablässig. Aber es geht nicht, die äußeren Gefahren und die inneren Bedenken erlauben keinen anderen Ausgang des Versuchs. Ich glaube, mein Gedächtnis für rezente Vorgänge ist nicht mehr verläßlich. Daß ich Ihnen in einem früheren Brief genug darüber geschrieben habe, daß Moses ein Ägypter ist, ist nicht das Wesentliche, obwohl der Ausgangspunkt dafür. Es ist auch nicht die innere Schwierigkeit, denn es ist so gut wie gesichert. Sondern die Tatsache, daß ich genötigt war, ein erschreckend großartiges Bild auf einen tönernen Fuß zu stellen, so daß jeder Narr es umstürzen kann.“77
Dieses offene Eingeständnis bestätigt, was wir bereits am Text der beiden ersten Abhandlungen herausgearbeitet hatten. Ungeachtet der wiederholten Versicherungen über das schwache Fundament seiner historischen Behauptungen ist Freud ganz offensichtlich davon überzeugt, mit seinen Vermutungen über das Schicksal des Moses richtig zu liegen. Noch nach dem Abschluß seines ersten Entwurfs, Der Mann Moses: Ein historischer Roman betitelt, suchte er nach Beweisen für die Schlüssigkeit seiner historischen Behauptungen. Am 2. Mai 1935 schreibt Freud an Arnold Zweig, er habe in einem Bericht über die Ausgrabungen bei Tell-el Amarna die Erwähnung eines Prinzen Thotmes gefunden, „von dem sonst nichts bekannt ist“, und fährt fort: „Wäre ich ein Pfund-Millionär, so würde ich die Fortsetzung der Ausgrabungen finanzieren. Dieser Thotmes könnte mein Moses sein, und ich dürfte mich rühmen, daß ich ihn erraten habe.“78
Ungeachtet also der Sorge um die wenigen objektiven Beweise für seine historischen Behauptungen bleibt die Moses-Studie Freuds alles beherrschendes Interesse. Er bekennt in der schließlich 1939 veröffentlichten Fassung: „In Wirklichkeit ist sie zweimal geschrieben worden. Zuerst vor einigen Jahren in Wien, wo ich nicht an die Möglichkeit glaubte, sie veröffentlichen zu können. Ich beschloß, sie liegenzulassen, aber sie quälte mich wie ein unerlöster Geist […].“79 Freud hatte der Öffentlichkeit kein ehernes Bild auf tönernen Füßen präsentieren, sich nicht der Lächerlichkeit preisgeben wollen. Doch ist dies nicht der Hauptgrund für den Aufschub der Publikation jener „gefährlichen“ dritten Abhandlung. In der ersten Vorbemerkung zu ihr, geschrieben vor dem 12. März 1938, dem deutschen Einmarsch in Österreich, sagt er ausdrücklich: „Ich werde diese Arbeit also nicht bekanntmachen, aber das braucht mich nicht abzuhalten, sie zu schreiben. […] Sie mag dann in der Verborgenheit aufbewahrt bleiben, bis einmal die Zeit kommt, wann sie sich gefahrlos ans Licht wagen darf, oder bis man einem, der sich zu denselben Schlüssen und Meinungen bekennt,