Freud und das Vermächtnis des Moses. Richard J. Bernstein
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Freud stellt den Gegensatz von jüdischem Monotheismus und ägyptischem Polytheismus deshalb so stark in den Vordergrund, weil er hervorheben will, welche Fakten seiner Hypothese vom ägyptischen Ursprung des jüdischen Monotheismus zunächst ganz offensichtlich entgegenzustehen scheinen. Aber die Pointierung dieses „prinzipiellen Gegensatzes“59 dient noch einer anderen Absicht. Freud möchte den revolutionären Charakter des vom jungen Pharao Amenhotep IV (der seinen Namen in Echnaton änderte)60 während „der glorreichen 18ten Dynastie“ begonnenen Vorhabens herausstellen:
„Dieser König unternahm es, seinen Ägyptern eine neue Religion aufzudrängen, die ihren jahrtausendealten Traditionen und all ihren vertrauten Lebensgewohnheiten zuwiderlief. Es war ein strenger Monotheismus, der erste Versuch dieser Art in der Weltgeschichte, soweit unsere Kenntnis reicht, und mit dem Glauben an einen einzigen Gott wurde wie unvermeidlich die religiöse Intoleranz geboren, die dem Altertum vorher – und noch lange nachher – fremd geblieben.“61
Mit fast marxistischem Gestus bringt Freud diese Entwicklung mit der Ausbreitung des ägyptischen Reiches in Verbindung.
„Dieser Imperialismus spiegelte sich nun in der Religion als Universalismus und Monotheismus. Da die Fürsorge des Pharao jetzt außer Ägypten auch Nubien und Syrien umfaßte, mußte auch die Gottheit ihre nationale Beschränkung aufgeben, und wie der Pharao der einzige und unumschränkte Herrscher der dem Ägypter bekannten Welt war, so mußte wohl auch die neue Gottheit der Ägypter werden.“62
Freud fährt fort, Echnaton habe während seiner siebzehnjährigen Herrschaft (1375 bis 1358 v.Chr.)63 „etwas Neues hinzugebracht, wodurch die Lehre vom universellen Gott erst zum Monotheismus wurde, das Moment der Ausschließlichkeit.“64 Sogar die radikale Verwandlung des Sonnenkults von On schreibt Freud dem Wirken Echnatons zu:
„Amenhotep hat seinen Anschluß an den Sonnenkult von On niemals verleugnet. In zwei Hymnen an den Aton, die uns durch die Inschriften in den Felsgräbern erhalten geblieben sind und wahrscheinlich von ihm selbst gedichtet wurden, preist er die Sonne als Schöpfer und Erhalter alles Lebenden in und außerhalb Ägyptens mit einer Inbrunst, wie sie erst viele Jahrhunderte später in den Psalmen zu Ehren des jüdischen Gottes Jahve wiederkehrt. Er begnügte sich aber nicht mit der erstaunlichen Vorwegnahme der wissenschaftlichen Erkenntnis von der Wirkung der Sonnenstrahlung. Es ist kein Zweifel, daß er einen Schritt weiter ging, daß er die Sonne nicht als materielles Objekt verehrte, sondern als Symbol eines göttlichen Wesens, dessen Energie sich in den Strahlen kundgab.“65
Die Anstrengungen, die Echnaton unternahm, um den traditionellen ägyptischen Polytheismus zu beseitigen und an seine Stelle einen rigorosen, ausschließlichen, intoleranten Monotheismus zu setzen, riefen jedoch am Ende „eine Stimmung fanatischer Rachsucht bei der unterdrückten Priesterschaft und beim unbefriedigten Volk hervor“66. Echnatons Tod folgte eine Periode gewalttätiger Reaktion und Anarchie. Die Amun-Priester, von Echnaton unterdrückt, übten Rache. Der ägyptische Polytheismus wurde wiedereingesetzt. Alle Spuren der Aton-Religion, des Monotheismus Echnatons, sollten beseitigt werden. Die Kampagne hätte Erfolg gehabt, wäre da nicht jener Anhänger der Aton-Religion namens Moses gewesen. Moses durfte nicht hoffen, weiter in Ägypten leben zu können. Er mußte sich ein neues Volk „auserwählen“ und es aus Ägypten führen, um das Überleben der Aton-Religion zu sichern. Echnaton „hatte sich seinem Volk entfremdet und hatte sein Weltreich zerbröckeln lassen. Moses’ energischer Natur entsprach der Plan, ein neues Reich zu gründen, ein neues Volk zu finden, dem er die von Ägypten verschmähte Religion zur Verehrung schenken wollte.“67
Freuds Darstellung liefert hier den Hintergrund für die Antwort auf die Frage, warum die Juden Moses ermordeten: „Der jüdische Monotheismus benimmt sich in manchen Punkten noch schroffer als der ägyptische, z.B. wenn er bildliche Darstellungen überhaupt verbietet. Der wesentlichste Unterschied zeigt sich […] darin, daß die jüdische Religion völlig von der Sonnenverehrung abgeht, an die sich die ägyptische noch angelehnt hatte.“68
Paradoxerweise versucht Freud seine Argumentation aber gerade hier, wo sie deutlich von der biblischen Darstellung abweicht, mit dem biblischen Text zu untermauern. An mehreren Stellen, nicht allein in der berühmten Geschichte vom Goldenen Kalb, berichtet die Bibel von „Meutereien“ des jüdischen Volkes in der Wüste. Es gibt zahlreiche Passagen, die von der Klage der Israeliten und ihrem Versuch, gegen Moses zu rebellieren, zeugen. Sie sehnen sich nach den „Fleischtöpfen Ägyptens“ zurück. Was drückt sich in ihrem Wunsch nach Rückkehr aus? Freuds Deutung zufolge ist es der Wunsch nach Befreiung von den harten Geboten und Pflichten des Monotheismus, der sich an den Wunsch zur Rückkehr zum ägyptischen Polytheismus bindet.69 So wie die Amun-Priester an Echnaton Rache zu nehmen suchten, so planten auch die Juden, die, zum Auszug aus Ägypten gezwungen, einen neuen, strengen, rauhen und exklusiven Monotheismus mit unerbittlichen ethischen Standards annehmen mußten, Rache an Moses zu nehmen. Mit einem entscheidenden Unterschied: In Ägypten setzte die Reaktion nach Echnatons Tod ein. Die Juden dagegen warteten Moses’ Tod nicht ab; sie ermordeten ihn. Wenngleich Freud auf diesen zentralen Punkt seiner Theorie nur sehr behutsam zusteuert, so ist er doch bereits recht kühn im Umgang mit den Schlußfolgerungen, die er aus ihm zieht.
„Im Jahre 1922 hat dann Ed. Sellin eine Entdeckung gemacht, die unser Problem entscheidend beeinflußt. Er fand beim Propheten Hosea (zweite Hälfte des achten Jahrhunderts) die unverkennbaren Anzeichen einer Tradition, die zum Inhalt hat, daß der Religionsstifter Moses in einem Aufstand seines widerspenstigen und halsstarrigen Volkes ein gewaltsames Ende fand. Gleichzeitig wurde die von ihm eingesetzte Religion abgeworfen. Diese Tradition ist aber nicht auf Hosea beschränkt, sie kehrt bei den meisten späteren Propheten wieder, ja, sie ist nach Sellin die Grundlage aller späteren messianischen Erwartungen geworden. Am Ausgang des babylonischen Exils entwickelte sich im jüdischen Volke die Hoffnung, der so schmählich Gemordete werde von den Toten wiederkommen und sein reuiges Volk, vielleicht dieses nicht allein, in das Reich einer dauernden Seligkeit führen.“70
Freud war zweifellos hellhörig für Angriffe und Einwände, die ihn der Spekulation und Erfindung von Phantasiegeschichten bezichtigen. Er spricht sich deshalb gleichsam im voraus die Kompetenz zur Beurteilung der Richtigkeit von Sellins Deutung der biblischen Textpassagen ab, erkennt aber an, daß Sellins Hypothese ihm erlaube, „unsere Fäden weiterzuspinnen, ohne glaubwürdigen Ergebnissen der historischen Forschung zu widersprechen.“71 Wir sehen hier also erneut jene schiefe Bahn, die bei Freud schon des öfteren von bloßen Vermutungen zu bindenden Schlußfolgerungen führte. Zu Beginn des siebten (und letzten) Abschnitts der Abhandlung „Wenn Moses ein Ägypter war…“ notiert Freud:
„Unter all den Begebenheiten der Vorzeit, die die späteren Dichter, Priester und Geschichtsschreiber zu bearbeiten unternahmen, hob sich eine heraus, deren Unterdrückung durch die nächstliegenden und besten menschlichen Motive geboten war. Es war die Ermordung des großen Führers und Befreiers Moses, die Sellin aus Andeutungen bei den Propheten erraten hat. Man kann die Aufstellung Sellins nicht phantastisch heißen, sie ist wahrscheinlich genug. Moses, aus der Schule Ikhnatons stammend, bediente sich auch keiner anderen Methoden als der König, er befahl, drängte dem Volke seinen Glauben auf. Vielleicht war die Lehre des Moses noch schroffer als die seines Meisters, er brauchte die Anlehnung an den Sonnengott nicht festzuhalten, die Schule von On hatte für sein Fremdvolk keine Bedeutung. Moses wie Ikhnaton fanden dasselbe Schicksal, das aller aufgeklärten