Das Monster im 5. Stock. Regina Mars
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Читать онлайн книгу Das Monster im 5. Stock - Regina Mars страница 8
Ein verschämtes Murmeln. »Ja, sowas hab ich gedacht, wenn ich ehrlich bin. Hat nicht funktioniert, oder?«
Es war fast ein wenig süß. Nur war Adrian keiner, der irgendetwas süß fand und beeinflussen ließ er sich davon erst recht nicht. »Nein. Komm vorbei, wenn du mein Geld hast.«
»Ja.« Sebastian stand auf. Schlapp ließ er das Wasser aus dem Waschbecken und wrang das Küchentuch aus. »Sollen wir … Magst du wenigstens was essen? Damit ich mir die Mühe nicht umsonst gemacht habe?«
War das ein Trick? So wie dieses Geheule gestern? Inzwischen war Adrian sicher, dass das ein mieser Bluff gewesen war. Welcher erwachsene Mann heulte denn einem Fremden etwas vor?
»Meinetwegen. Aber dann gehst du.«
»Ja.« Ein Nicken, das die verstrubbelten Haare wippen ließ. »Ja, mach ich.« Und dann strahlte der Blödmann und die Sonne ging auf. Was für ein unerträglicher Schönling! »Ich hoffe, es schmeckt dir. Wie heißt du gleich?«
»Adrian.« Etwas nagte an ihm. Etwas, das er nicht ganz fassen konnte, wollte seine Aufmerksamkeit. Aber er hatte genug damit zu tun, Essbares in den verkohlten Lebensmittelbergen zu finden, die Sebastian auftischte. Das, was er fand, schmeckte nicht übel.
Schweigend saßen sie sich gegenüber. Jeder auf einem Barhocker, einen Seines de la Seine-Teller vor sich und Berge aus glibberigem Rührei, verkohltem Toast und zusammengefallenen Brötchen zwischen sich.
»Es schmeckt annehmbar«, sagte Adrian und bestrich eine weitere warme Semmel mit Butter. Daher waren also die Geräusche aus dem Ofen gekommen.
»Echt? Danke.« Sebastian sah ihn verwundert an. An seinem unrasierten Kinn klebten mehrere Krümel. »Ich bin nicht sehr gut darin, das alles gleichzeitig zuzubereiten, aber man kann es essen, oder?«
»Ja, erstaunlicherweise.« Adrian wusste selbst nicht, warum ihm diese laienhafte Mahlzeit so gut mundete. Er hatte das Gefühl, zum ersten Mal seit langer Zeit etwas zu schmecken. Er schmeckte Eierschalen und Brandlöcher. Aber das war besser als der Pappgeschmack, der sich sonst nach ein paar Bissen einstellte. »Es sieht schlimmer aus, als es schmeckt.«
»Soll das ein Kompliment sein?« Sebastian schaute fragend.
»Nein.«
»Für so einen feinen Pinkel bist du ganz schön unhöflich.«
Adrian lachte. »Dafür, dass du hier eingedrungen bist und meine Küche verwüstet hast, nimmst du dir ziemlich viel raus.«
»Ach, wenn du mich eh nicht hier wohnen lässt …« Sebastian zuckte mit den Achseln. Ein winziges Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Dieses Lächeln musste Mädchenherzen schmelzen wie ein Flammenwerfer.
Adrian spürte seine Wange. Hatte er gerade gelacht? Die Haut spannte unangenehm. Dann durchzuckte ihn ein Gedanke: Er beachtet es nicht. Das war es, was ihn irritiert hatte. Der kleine Mistkerl reagierte überhaupt nicht auf seine Entstellungen. Weder starrte er auf den Metallfuß, der aus der Pyjamahose schaute, noch blieb sein Blick an den Brandwunden hängen. Versuchsweise hob Adrian das Brötchen zum Mund. Mit der rechten Hand, die zur Hälfte mit verbranntem Stückwerk überzogen war statt mit richtiger Haut. Sebastians Blick flackerte nicht, obwohl er es bemerkt haben musste. Er sah Adrian in die Augen, als wäre nichts.
»Wohnst du schon lange hier?«, fragte er, als wäre das ein Frühstück mit neuen Bekannten. »Es sieht alles so neu aus.«
»Fast zehn Jahre. Ich bin nach dem Studium hier eingezogen.«
»Oh. Und da konntest du dir die Miete leisten?«
»Ich habe die Wohnung gekauft.« Adrian probierte vom Rührei, ohne den Blick von seinem Gast zu wenden.
Du kleiner Scheißer, dachte er. Das spielst du doch nur.
Er wusste, wie sie normalerweise schauten. Er hatte gemerkt, wie krampfhaft es seine alten Freunde vermieden, ihn anzuschauen. Wie die Jungs vom Lieferdienst versucht hatten, ihr Entsetzen zu verbergen, bevor er angewiesen hatte, das Essen einfach vor der Tür abzustellen und zu klingeln. War ausgerechnet dieser lebende Stallburschenkalender so ein guter Schauspieler, dass er sich nichts anmerken ließ?
»Gekauft.« Sebastians Blick wanderte über die Fenster, hinter denen die Stadt langsam zum Leben erwachte. »Das hier? Das muss doch Millionen gekostet haben.«
»Hat es.«
Sebastians Brötchen verharrte auf dem Weg zum Mund. »Echt jetzt? Ich meine, klar, aber … Ich kenn nur keinen, der so viel Geld hat. Also hast du das geerbt, oder …«
Niemand konnte so gut schauspielern. Niemand. Adrian öffnete den obersten Knopf des Pyjamaoberteils, um noch mehr Entstellungen zu zeigen. Da, endlich. Sebastians Blick wackelte. Leichte Röte schoss in die Wangen und ließ ihn noch ländlicher aussehen. Adrian hätte beinahe gelächelt.
»Warm hier«, sagte er und öffnete einen weiteren Knopf.
Endlich zeigte der Mistkerl Ekel. Er räusperte sich und versuchte krampfhaft, nicht auf die besonders schweren Verbrennungen auf der Brust zu schauen. »Äh, ja. Warm.«
Adrian sah seinen Adamsapfel hüpfen. Bittere Befriedigung erfüllte ihn. Ja, er war noch genau so scheußlich wie zuvor. Ein Monster, das in einer übergroßen Wohnung hockte und sich vor der Welt verbarg.
»Hast du Angst vor mir?«, fragte er Sebastian und beugte sich vor. Seine Wange spannte und kribbelte und fühlte sich doch taub an. Sebastians Augen weiteten sich, als diese Abscheulichkeit auf ihn zukam. Gut. Adrian würde ihn vertreiben. Dieses Frühstück war beendet. Gleich würde er wieder herrlich allein sein.
»Uh, Adrian …«
Warmer Atem, ein buttersüßer Hauch aus Sebastians Mund, streifte Adrians Nase. Er lächelte.
Weich zurück. Kapier, dass ich nicht auf einen miesen Schauspieler wie dich reinfalle …
Sebastian beugte sich vor und küsste ihn.
Lippen, weich wie Seide, pressten sich auf Adrians vernarbte. Einen Moment lang. Dann war er es, der zurückwich.
»Was soll das, verdammt?!«, brüllte er.
Sebastian ruderte mit den Armen und fiel von seinem Hocker. Einen Moment später erschien sein Blondschopf wieder hinter der Tischkante.
»Aber …«, sagte er. »Ich dachte, du willst … also …«
»Dich küssen?!« Adrian richtete sich zu seiner vollen Größe und Scheußlichkeit auf. »Warum sollte ich das wollen?«
Das saß. Sebastian wurde blass. Seine Lippen öffneten sich und er schaffte es doch nicht, etwas zu sagen. Ein kleines Krächzen war alles, was er zustande brachte.
»Danke für die Gastfreundschaft«, presste er schließlich heraus. Dann stürzte er an Adrian vorbei und sammelte hektisch seine Sachen vom Sofa. Mit dem überquellenden Rucksack ausgerüstet verließ er die Wohnung.
Endlich wieder allein.
Adrian