Das Science Fiction Jahr 2020. Группа авторов
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Was Afrofuturismus also tatsächlich bedeutet, kann zwar eingegrenzt, aber rein auf Begriffsebene nicht hundertprozentig definiert werden – was schließlich in der Literatur auf viele Genrebezeichnungen, wie auch die Science Fiction, zutrifft. Dies führt zu allerlei Diskussionen und unterschiedlichen Definitionsversuchen unter Autor*innen, Künstler*innen, interessierten Laien und Akademiker*innen – und das ist auch gut so, denn dadurch wird dem aufstrebenden Genre Afrofuturismus – falls man von einem Genre sprechen will – noch zusätzlich Leben eingehaucht!
1994 führte der Kulturkritiker Mark Dery in seinem Essay »Black to the Future« den Begriff ein. Dery untersuchte in dieser Arbeit die Rolle afroamerikanischer Autoren und Autorinnen wie Samuel R. Delany und Octavia Butler innerhalb der SF und stellte gleichzeitig die Frage, warum Afroamerikaner*innen in diesem Genre sowohl als Akteur*innen als auch Leser*innen unterrepräsentiert waren (und es bis heute geblieben sind). Besonders interessant kann hier Derys Statement gelten, dass gerade diese Gruppe für einige Themen der SF in besonderem Maße empfänglich sein müsste, da sie bzw. ihre Vorfahren ja tatsächlich Opfer einer Entführung durch Aliens seien, man denke nur an die Begegnung afrikanischer Menschen mit Europäern und europäischstämmigen Amerikanern, die an einen Science-Fiction-Albtraum erinnert: Vertreter einer technologisch weiter entwickelten Kultur, die offenbar hauptsächlich wirtschaftlich orientiert ist, entführen in großem Stil Millionen nahezu zur Wehrlosigkeit verdammter Menschen, degradieren sie zu bloßen Arbeitskräften, denen alles Menschliche abgesprochen wird, und berauben sie systematisch ihrer Identität.
Ich spreche natürlich von der Jahrhunderte langen allzu realen Versklavung afrikanischer Menschen und von der Ausgrenzung und der Diskriminierung, denen sie bzw. ihre Nachfahren auch heute noch ausgesetzt sind.
Obwohl Afrofuturismus mittlerweile ein globales Phänomen geworden ist, kann man seine Wurzeln und Anfänge in den USA verorten. Dies hat mit der Geschichte des Landes und seiner afroamerikanischen Bevölkerungsanteile zu tun. Schon in der Ära vor dem Bürgerkrieg gab es Äußerungen afrikanischer Kunst und Kultur, die mehr oder weniger unterdrückt, manchmal geduldet und teilweise auch (beispielsweise von den Abolitionisten) gefördert wurden. So veröffentlichte der Autor, Soldat und Arzt Martin Robinson Delany (1812–1885), der als »free person of color« geboren wurde, mit Blake, or the Huts of America zwischen 1859 und 1862 einen utopischen Roman in Fortsetzungen über einen weltweiten Sklavenaufstand, der wohl als erster phantastischer Prosatext eines Afroamerikaners angesehen werden kann. Delany war freilich nicht der erste afroamerikanische Autor, der sich mit der Frage nach Alternativen für die Sklaven und die »free persons of color« befasste. So schrieb der (ebenfalls »frei geborene«) Abolitionist David Walker (1785–1830) bereits 1829 ein Pamphlet mit dem Titel Appeal to the Colored Citizens of the World, in dem er sich direkt an die versklavten Menschen besonders im Süden der USA wandte und die Abschaffung der Sklaverei forderte. Dieses Pamphlet fand große Verbreitung und führte zu einiger Beunruhigung unter der weißen Bevölkerung. Nicht ohne Grund setzten Plantagenbesitzer ein Kopfgeld von 3000 Dollar für die Ermordung Walkers aus. Nach dem Ende des Bürgerkriegs 1865 änderte sich die Situation für die Schwarzen[1] bekanntermaßen nicht schlagartig von Grund auf, jedoch gab es zumindest teilweise verstärkt das, was man heute Subkultur oder künstlerischen Underground nennen würde. Immerhin fanden aber auch schon damals einige Afroamerikaner*innen gebührende Aufmerksamkeit in manchen weißen künstlerischen und wissenschaftlichen Kreisen, wie etwa der Historiker, Ökonom, Soziologe und spätere Bürgerrechtler W. E. B. Du Bois (1868–1963), der auch einige phantastische Geschichten und SF-Storys verfasste.
Martin Robinson Delany und sein Roman in Fortsetzungen (Quelle: Wikipedia)
Nach dem ersten Weltkrieg entstand mit der Harlem-Renaissance eine Bewegung afroamerikanischer Maler*innen, Musiker*innen und Schriftsteller*innen, die aus der massenhaften Abwanderung von Schwarzen aus dem Süden vor allem nach New York resultierte. Die Bürgerrechtsbewegungen, die zur Zeit des Vietnamkrieges besonderen Zulauf erhielten, ebenso wie der zunehmende Widerstand gegen die Rassendiskriminierung förderten die Etablierung eines neuen, emanzipierten »schwarzen« Bewusstseins. Als ein herausragender Vorläufer des Afrofuturismus kann der Lehrer und Autor Henry Dumas (1934–1968) gelten, dessen Werke zum größten Teil postum veröffentlicht wurden. Dumas, der neben einem Roman zahlreiche Gedichte und Kurzgeschichten schrieb, wurde nach seinem Tod (er wurde von einem weißen Polizisten ermordet) zu einer Schlüsselfigur des Black Arts Movements. Viele seiner Geschichten – allen voran vielleicht »Ark of Bones« (postume Erstveröffentlichung 1970) – behandeln auf stilistisch eigenwillige und thematisch phantastisch gefärbte Weise die Traumata der afroamerikanischen Historie. Ein anderer Autor, der außerhalb des SF-Genres tätig war, jedoch häufig zu den bedeutenden Vorläufern des Afrofurismus gezählt wird, war Ralph Ellison, dem neben James Baldwin und Toni Morrison wohl wichtigsten afroamerikanischen Schriftsteller. Dass Ellison von vielen Afrofuturisten als großer Einfluss wahrgenommen wird, liegt an seinem komplexen, mit dem National Book Award ausgezeichneten Roman Invisible Man (dt. Der unsichtbare Mann) aus dem Jahr 1952, in dem er die »weiße amerikanische« Sichtweise auf Afroamerikaner*innen aufzeigt. Wie der Romantitel schon deutlich macht, besteht diese Sichtweise aus Ignoranz bis hin zur Entmenschlichung – schwarzen Menschen wird in gewisser Weise die Rolle minderwertiger Aliens auferlegt.
In der moderneren SF zählen vor allem Samuel R. Delany und Octavia E. Butler zu den wichtigen Stimmen des Afrofuturismus, die beide auch schon vor der Etablierung des Begriffs Werke geschrieben haben, die diesem Genre zugeordnet werde können. Delany, der in seinen Romanen und Erzählungen immer wieder auf durchaus ungewöhnliche Art und Weise mit Motiven der SF und Fantasy experimentierte, verfasste mit dem Essay »Racism and Science Fiction«[2] einen zentralen Text des Afrofuturismus. Ob man ihn allerdings tatsächlich als »echten« Afrofuturisten bezeichnen kann, erscheint mir fraglich, bietet sein Werk doch eine viel zu große thematische Vielfalt, als dass man ihn auf eine künstlerische Richtung festlegen sollte.
Mit ihrer Xenogenesis-Trilogie, die erstmalig zwischen 1987 und 1989 erschien, lieferte Octavia E. Butler ein Werk ab, dessen Ausgangssituation man getrost als thematische Blaupause des Afrofuturismus bezeichnen könnte: Nach dem Atomkrieg werden die wenigen überlebenden Menschen von den außerirdischen Oankali, die sich selbst als Genhändler bezeichnen, gerettet und zuerst für eine Neubesiedlung der Erde, später des Sonnensystems vorbereitet. Dazu bedarf es jedoch der Bereitschaft, sich von der gewohnten hierarchischen und aggressiven Denkweise zu verabschieden und gleichzeitig fulminante biologische Veränderungen zuzulassen. Damit thematisiert Butler die furchteinflößende Begegnung mit Fremden, die zunächst undurchschaubare und damit bedrohliche Ziele verfolgen. Allerdings konterkariert sie die historischen Fakten unserer Realität, indem sie die Oankali als tatsächlich ethisch höher stehend als die Menschen schildert und sie eben nicht als Gewaltherrscher auftreten lässt. Wichtige andere Themen, die in den drei Romanen und auch in anderen Werken des Afrofuturismus auftauchen, sind Selbstbestimmung, Rassismus, Geschlechterrollen, Manipulation und natürlich immer wieder die Auseinandersetzung mit einer technologisch höher entwickelten fremden Macht. Damit behandelt Butler das Thema »Entführung« in Dawn (dt. Dämmerung), Adulthood Rites (dt. Rituale) und Imago (dt. Imago) auf eine äußerst facettenreiche und intelligente Weise. In ihrem wohl bekanntesten Werk Kindred (dt. Vom gleichen Blut, bzw. Kindred – Verbunden) von 1979 lässt sie eine junge schwarze Frau aus der Gegenwart mittels Zeitreise in das Amerika vor dem Bürgerkrieg zurück reisen. Butler nimmt sich in Kindred auf hautnahe und erschreckende Weise eines Motivs an, das sich auch im heutigen Afrofuturismus immer wieder zeigt, nämlich der Konfrontation mit der grausamen Realität der Sklaverei.
Thematisch verwandt mit Kindred ist der bereits 1972 erschienene Roman Captain Blackman von John A. Williams, in dem ein schwarzer GI, der im Vietnamkrieg