Politische Justiz. Otto Kirchheimer
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Politische Justiz - Otto Kirchheimer страница 4
5 Auslieferungsverweigerung im Wandel der Lehrmeinungen
1 Politischer Kalkül, Willkür oder Milde?
3 Typen der politischen Amnestie
4 Ein halbes Jahrhundert Amnestieschicksale
Kapitel XIVersuch einer Zusammenfassung
1 Strategie der politischen Justiz
2 Geplante Justiz und richterlicher Spielraum
3 Der Richter und das Risiko der politischen Freiheit
4 Gerechtigkeit auf Umwegen angestrebt
Kapitel XIIVorläufige Nachtragsbilanz
1 Grenzen der staatlichen Strafmacht
2 Gaullismus und Prozesspädagogik
4 Chancen für die Gerechtigkeit?
ANHANG ADAS RÖMISCHE REICH UND DIE CHRISTEN
ANHANG BTREUBRUCH MIT ERFOLG: GUILLAUME DU VAIR
Vorwort
Vor einer Missdeutung des Titels des vorliegenden Buches braucht der deutsche Leser kaum gewarnt zu werden. Im Gegensatz zum englischen oder französischen justice hat das Wort »Justiz« die ursprüngliche Bedeutung des lateinischen iustitia weitgehend eingebüßt; es bezeichnet nicht in einem höheren Sinne Gerechtigkeit, sondern faktisch nur noch das, was das organisierte Gebilde Staat auf dem Gebiet der Gerechtigkeit und des Rechts (oder der Rechte) tut, eine ganz konkrete »Rechtspflege«, deren Inhalt durch das bestimmt wird, was das jeweilige Staatsgebilde darstellt. Es geht dem Wortsinn nach weniger um Gerechtigkeit als um administration of justice, um die Anwendung bestimmter geronnener Rechtsvorstellungen, um die Verwaltung gegebener Rechtsverhältnisse; so kann »Justiz« mitunter sehr nahe an das lateinische iustitium herankommen, das einen Stillstand in der Abwicklung rechtlicher Dinge andeutet und zur Außerkraftsetzung aller Gerechtigkeit ausarten kann.
An den deutschen Leser tritt infolgedessen gar nicht erst die Versuchung heran, »politische Justiz« mit politischer Gerechtigkeit, also mit der Suche nach einer idealen Ordnung menschlichen Zusammenlebens gleichzusetzen, in deren Rahmen sich alle Angehörigen des Gemeinwesens in ständiger gemeinschaftlicher Anstrengung um die größtmögliche Vervollkommnung ihrer politischen Lebensform bemühen. Dass der Begriff »politische Justiz« auf den dubiosesten Abschnitt der »Rechtspflege« angewandt wird, in dem die Vorkehrungen und Einrichtungen des staatlich betreuten Rechts dazu benutzt werden, bestehende Machtpositionen zu festigen oder neue zu schaffen, entspricht dem traditionellen Sprachgebrauch und hat nichts Zynisches an sich. Das griechische Ideal tritt in dieser Ebene nur noch schärfer profiliert hervor, weil Justiz in politischen Dingen so viel schwindsüchtiger ist als in allen anderen Bezirken der Rechtsprechung, weil sie hier so leicht zur Farce werden kann.
Wenn sich die Politik der Vorrichtungen der Justiz bedient, geht sie gewisse Verpflichtungen ein, auch wenn sie nicht klar abgrenzt, ja vielleicht von vornherein nicht zu erfüllen gedenkt. Die ihrem Wesen nach zufällige und widerspruchsvolle Verbindung von Politik und Justiz birgt beides in sich: Verheißung und Verhängnis.
Das vorliegende Buch will das vielschichtige Problem der politischen Justiz darstellen und erhellen. Es ist weder eine Geschichte der politischen Justiz noch eine erschöpfende Sammlung ihrer besonders erwähnenswerten »Fälle« und Episoden; hier wird nicht das Panorama der wichtigsten politischen Auseinandersetzungen, die über die Bühne der Gerichte gegangen sind, nachgezeichnet, sondern der Versuch unternommen, den politischen Inhalt von Machtkämpfen zu der Rechtsform in Beziehung zu setzen, in der sich »Fälle« präsentieren. Zum Beispiel habe ich darauf verzichtet, den Fall Dreyfus zu erörtern, der immer noch als die cause célèbre der politischen Justiz in der neueren Zeit gilt. Im Grunde war Dreyfus ein karrierebeflissener Militärbürokrat, dem jegliches Verständnis für die Konflikte und Widersprüche seiner Zeit abging; in den Irrgarten der politischen Justiz war er unschuldig, ohne eigenes Zutun hineingeraten: ein bloßer Statist in dem historischen Schauspiel, in dem sich sein Schicksal entscheiden sollte.
Er hatte keinen Anteil an dem großen Drama aller Zeiten, auch unserer Zeit, in dem es darum geht, inwieweit die bestehenden Gewalten die Unterwerfung, den Gehorsam derer verlangen dürfen, die ihren moralischen Anspruch und ihre Zukunftsperspektive nicht anerkennen. In diesem Drama sind die Mitwirkenden bisweilen mutig und heldenhaft, bisweilen ängstlich und verwirrt, nie aber unschuldig,1 mögen sie sich als Politiker oder Meinungsbeeinflusser geben, als Beamte oder Richter, als Anwälte, Verschwörer oder Revolutionäre. Der Moskauer Hauptankläger Vyšinskij und der große Angeklagte Bucharin, der New Yorker Richter Medina und seine kommunistischen Widersacher, die französischen Militärgerichte und die FLN-Kämpfer auf der Anklagebank mitsamt ihren Bewunderern in der französischen Öffentlichkeit, sie alle kannten den wahren Inhalt der Anklage und den wahren Inhalt der gegen sie gerichteten Argumente; sie wussten, dass beides nur politische Systeme symbolisierte, Systeme von gestern, heute oder morgen, und dass sie alle, Ankläger und Angeklagte, je ein bestimmtes System verkörperten und vertraten.