Wir reden, noch. Norbert Philipp

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Wir reden, noch - Norbert Philipp

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Umarmung irgendwie auch entwerten, meinte er. Was hebt man sich auf für jene, auf die man sich wirklich das ganze letzte Jahr gefreut hat? Jedenfalls hat man ziemlich viele Übereinkünfte in der Kommunikation allein dadurch unterschrieben, dass man einfach in ihre Kultur hineingeboren wurde.

       Lesen, schreiben, digital kommunizieren

      Umgangsformen regeln, wie man Zeichen miteinander austauscht. Dabei sind nur ein kleiner Teil davon die sprachlichen. Der Begriff „Konversation“ hat früher überhaupt den Umgang miteinander beschrieben, nicht nur jenen, den man durch ein Gespräch pflegt. Inzwischen machen sich kleine Unsicherheiten breit, nicht nur darüber, ob die Zeichen, die man sendet, überhaupt ankommen. Sondern auch darüber, was es für den anderen bedeutet, wenn man sie sendet. Vor allem wenn man sie nun quer durch alle Uhrzeiten des Tages und Kontinente des Planeten verschicken kann. Schneller, als man denkt, ist man beim letzten Update wieder zum kommunikativen Analphabeten geraten. Zum Glück will da auch manche offizielle, staatlichen Stelle entgegenwirken: Indem sie etwa „Digital Literacy“ großspurig als Ziel der Volks- und Allgemeinbildung ausgibt – also die Kompetenz, Informationen adäquat über digitale Plattformen zu verfassen, zu senden, zu finden und zu bewerten.31

      Die Digitalisierung der Kommunikation, sie ist nun mal ohne Gebrauchsanweisung eingerauscht. Und so drastisch und so schnell, dass man gar nicht sanft überleiten konnte, von der einen in die andere Ära. Netterweise haben viele der digitalen Kanäle zumindest eine ganz typische Designstrategie verwendet, um das Neue nicht ganz so furchterregend wirken zu lassen. Man tat einfach so, als wäre man irgendwie ohnehin noch analog. „Skeuomorphismus“ heißt der Ansatz im Design, bei dem man versucht das „Neue“ zu etablieren, indem man das „Alte“ zitiert. Bei Auto und Kutsche hat das auch schon einmal geklappt. Ansonsten hätte man den Briefkasten für Sprachnachrichten nicht Mailbox genannt. Oder den Papierkorb einfach dorthin versetzt, wo es gar kein Papier mehr gibt: auf den „Desktop“ des Computers, den Schreibtisch, der ja selbst auch keine vier Tischbeine mehr hat und niemals wackelt. Auf ihm jedenfalls stehen die „Ordner“, in die man alles ablegen kann. Und die nur auf der Festplatte Platz brauchen, nicht im Regal. Auch die Sprechblasen auf dem Handydisplay suggerieren: Hier wird noch geredet, obwohl längst geschrieben wird. Nur eines ließ sich scheinbar nicht so leicht in die digitale Ära übertragen: die Benutzungskultur der Sprache und der analogen Kommunikationskanäle.

      Was durchaus leichte Verwirrungszustände zurücklassen kann. Selbst bei jenen Menschen, die andere beobachten – aus wissenschaftlichen Gründen. Und eigentlich den unausgesprochenen gesellschaftlichen Auftrag bekommen haben, das alles für uns einzuordnen, was sich da so rasant dreht und wendet – im Feld der Kommunikation. Doch gerade waren die Soziologen noch damit beschäftigt zu ergründen, was die „Mediatisierung“ der Gesellschaft bedeutet, widmen sich dieselben Soziologen schon der „De-Mediatisierung“. Untersuchen also, wie sich Menschen der ständigen digitalen Verbundenheit entziehen. Zu definieren gibt es jedenfalls für die Forschung noch eine Menge: Was ist denn überhaupt noch eine Interaktion? Und ist eine Situation auch noch sozial, wenn der eine Interaktionspartner gerade an der Supermarktkassa steht und der andere am Strand? Vor allem aber: Unter welchem Namen kann man das alles in der Schublade verstauen – all diese Kommunikationsformate? Auf „mediatisierte Kommunikation“ hat man sich schließlich geeinigt. Denn was allen neuen digitalen Kanälen gemeinsam ist: So verbindend sie auch sein sollen, tatsächlich schiebt sich ja immer etwas dazwischen, ein Screen, ein Display, ein Medium. Ein paar Jahre zuvor wollten die Kommunikationswissenschaftler das Phänomen noch mit „computervermittelte Kommunikation“ etikettieren. Aber schon nach kurzer Zeit konnte man kaum noch neue Formate in derselben Schublade ablegen. Weil sie einfach nicht mehr passen wollten. Etwa weil sich die digitale Kommunikation – wie die Telefonie Jahre zuvor – vom Kabel losgerissen hatte. Und damit auch von jenem Gegenstand, der vermeintlich als Voraussetzung für die neue Kommunikation galt, dem Computer.

      An welche Fixpunkte man sich sonst noch so halten konnte beim Miteinanderreden, das war lange auch klar: Man wusste, wie man sich zueinander positioniert, wohin man schaut und was es bedeutet, wenn man woanders hinschaut als dorthin, wo es der andere erwartet. Anstarren, außer Babys und Handys? Lieber nicht. Ich und du, was zwischen uns passieren könnte, war gut geregelt. Der eine wusste, wann er den anderen ansprechen darf. Und der andere wusste, ob er antworten muss. Auch zu welcher Uhrzeit. In der Nacht waren dazu eher Menschen genötigt, die noch in ihren beruflichen Rollen stecken, wie Nachtportier oder Barkeeper. Ansonsten: lieber schlafen lassen. Für die höfische Konversation beim französischen König gab es natürlich auch Konventionen, etwa: Nur reden, wenn man gefragt wird, was im 19. Jahrhundert in den Benimmbüchern auch meistens generell für Frauen galt. Aber auch zwanglosere Formate als königliche Tischzeremonien folgen einer Regie von Regeln. Etwa so: Wenn man ein Gespräch eröffnet, sollte man es auch möglichst abschließen. Außer man will Verwirrung stiften. Oder es ist Kunst. Türzuschlagen oder Telefonhörerauflegen gilt dabei nicht. Nur wenn es wirklich nicht anders geht, rein emotional gesehen. Selbst das Gefühl, wann genug geredet ist, alles gesagt, oder es Zeit ist zu schweigen, hat einen oft nicht getäuscht. Der Abstand zueinander, zumindest innerhalb eines Kulturkreises, ergab sich in vielen Fällen auch fast wie von selbst. Ebenso hat man mit der eigenen Geburt stumm eingewilligt, dass man für manche Nachrichten Briefmarken aufklebt, wenn man will, dass sie auch überbracht werden. Außerdem hat man im Lexikon oder auf Wikipedia gelesen, dass es einmal so etwas wie Telegramme gegeben hat und dass das ziemlich revolutionär gewesen sein muss. Vor allem die Sache mit dem Überseekabel. Die Oma während der Hauptnachrichten im Fernsehen anzurufen, war oft auch keine gute Idee, wenn man die Oma bei Laune halten wollte. Oder ihr zu verstehen zu geben, dass etwas passiert sei, indem man trotzdem anrief – selbst darin war man sich mit vielen anderen und ihren Omas einig.

      Und noch mehr kollektive Einigkeit: Dass Fernsehen dumm und unsere Kinder dick macht, auch daran haben wir ein paar Jahre gar nicht gezweifelt. In manchen Kulturen hat man sich sogar darauf verständigt, dass man einen Kanal abschaltet, wenn ein anderer an der Tür läutet. Also den Fernseher aus, wenn Gäste kommen. Die Regel stammt jedoch aus Zeiten, als Gespräche scheinbar noch automatisch das verlangten, was der Soziologe Erving Goffman in menschlichen Interaktionen als „Engagement“ bezeichnete. Nämlich dass man sich auf die Interaktion auch einlässt, seine Konzentration sowie seine „kognitive und visuelle Aufmerksamkeit“ auch darauf ein- und ausrichtet.32 Auch das eine Gesicht auf das andere kann schon helfen. Natürlich waren stets auch „Nebenengagements“ erlaubt: zu Reden und dabei die Katze auf dem Schoß zu streicheln. Beim Gespräch aber ein anderes auf dem Handy zu führen, oder auf dem Smartphone gleichzeitig nach interessanteren Themen zu suchen: eher unerwünscht. Wobei: Diese Regel dürfte wiederum nur eine Generation unterschrieben haben, für die „Switchen“ noch ein Erlebnis war, das aus zwei Kanälen am Fernseher bestand.

      Wie viel Schweigen Gespräche gerade noch vertragen, auch das hat man meist richtig austariert. Und wann man selbst wieder mit Schweigen dran ist, selbst da ist man selten falsch gelegen. Wann man nicht mehr antworten muss, das war auch klar in den meisten Fällen. So lange, bis neue Medien sich in den Katalog der Kommunikationsmöglichkeiten mischten. Vor allem wenn es welche waren, die Schweigen oder Nichtantworten nicht so gut vertragen. Telefonieren etwa. Oder Chatten. Auch Anschreien per SMS hat sich trotz Großbuchstaben und Rufzeichen in der Benutzungskultur nicht durchgesetzt. Dafür aber, sich kurz zu halten, aber dafür war das „Short“ im Namen („Short Message Service“) schon Hinweis genug. Weniger Andeutungen, ob das Gespräch jetzt schon aus ist oder doch noch ein wenig schwelt, findet man oft in WhatsApp-Chats. Im Sinne von „always on“ ist es meist nie richtig zu Ende gegangen. Schon vor der digitalen Kommunikation musste man sich das Telefon mit eigenen Verhaltensweisen erarbeiten, sich zunächst einmal ausmachen, dass ein „Hallo“ am Anfang des Gesprächs helfen kann. Damit der Anrufer auch weiß, dass man empfangsbereit ist. Aber dann wurde es bald schon komplizierter, vor allem als sich die Kommunikation vom Kabel losgerissen hat. Dann tauchten solche Benutzungsfragen auf wie etwa: Wo darf ich eigentlich sprechen? Vor allem, wenn ich Privatgespräche plötzlich mit dem Handy vor die Tür trage. Wird dann nicht jedes Gespräch automatisch

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