Wir reden, noch. Norbert Philipp

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als sich Nähe und Distanz noch unterschiedlich ausgedrückt haben: im Medium, das man nutzte, im Stil, den man anwandte, oder in Umgangsformen, die man an den Tag legte. Oder in dem, was man sonst noch so vermeldete mit Worten und Körper. Inzwischen signalisieren digitale Medien so viel wie: „Die sanfte Annäherung können wir gern überspringen.“ Mit der ersten WhatsApp-Nachricht schmiedet man eine Beziehung schon allein dadurch, dass man ein bestimmtes Medium benutzt. Mit zwei Jahren Smalltalk im Stiegenhaus wäre man manchmal wahrscheinlich auch nicht weitergekommen.

      Lieber Vorname Nachname, das ist inzwischen die gängige E-Mail-Anrede. Da steckt das Angebot des „Du“ schon drin. Der andere muss nur noch darauf einsteigen. Aber „angeboten“ wäre ja noch schön, „aufgedrängt“ trifft es schon eher. Internet macht alle zu Du-Freunden. Aber bitte, komm mir doch nicht zu nahe. Da sprech’ ich dir doch lieber eine Busfahrt lang Sprachnachrichten auf, bevor ich dich anrufe. Denn das wäre mir dann doch zu unmittelbar. Zu direkt. Und anstrengend.

      Im Laufe eines digitalen Lebens sammelt man viel mehr Verbindungen mit Menschen, mit denen man früher nicht verbunden gewesen wäre. Dafür werden die kleinen Verbindungen des Alltags weniger. Jene, die man spontan und kurzfristig eingeht, schnell wieder löst. Und wenn sie doch stattfinden, dann serviert einem die Interaktion oft wirklich nicht mehr, als das, was man tatsächlich bestellt hat, den Kaffee und das Kipferl; das Lächeln dazu muss man sich dann oft woanders holen, im Notfall auch digital. Fast scheint es, als wäre Face-to-Face-Kontakt in der Dienstleistungsbranche ohnehin schon zum Plus-Feature geworden. Manchmal muss man es ja schon extra dazubuchen. Wenn man fliegt etwa. Oder wenn man sich ein Hotel wählt, in dem einen noch Menschen begrüßen und Schlüssel übergeben. Denn manche Betriebe haben ja auch schon die Rezeption auf die Gäste ausgelagert. Nämlich auf ihre Handys. Und wo man etwa noch tatsächlich persönlich ein Konto eröffnen kann, dort sind meist auch die Kontoführungskosten höher als bei den Banken, bei denen miteinander Reden gar nicht erst Teil des Geschäftsprinzips ist.

       Digital verwirrt, bedroht, gefährdet

      Es ist viel passiert. Und ja: Es war schon einiges auf einmal. Da darf man sich schon mal verwirrt, verloren, verunsichert fühlen. Vor allem weil man dachte, dass einem die Welt und alle in ihr plötzlich so viel näher stehen. Warum fühlt man sich manchmal gerade dann einsam, wenn man seinen Freunden beim Leben auf Instagram zuschaut? Oder so im Stich gelassen, wenn man bei Unternehmen ausnahmsweise etwas deponieren will, was keine Bestellung ist, sondern so etwas Unbeliebtes wie etwa eine Beschwerde? Warum ist das Online-Kontaktformular plötzlich die einzige Möglichkeit, sich zu verbinden? Und warum heißen meine Ansprechpartner vor dem @ plötzlich ganz anonym „info“ und „office“ und duzen mich trotzdem zurück? Oder warum nennen sie sich Susi und Angela, obwohl sie keine Menschen sind? Sondern Plauderautomaten. Muss ich zu Chatbots eigentlich höflich sein? Darf man sie anschreien?

      Da muss man sich auch erst wieder einmal zurechtfinden im ganzen Chaos der neuen Möglichkeiten. Sicherheitshalber vermutet man ja gern einmal das Schlimmste. So ganz allgemein für die Zukunft, die Jugend und unsere Gehirne. Faul und dumm ist das Mindeste, was das Internet aus uns macht. Das behaupten Psychiater, Neurowissenschaftler, Medienschlagzeilen. Natürlich ist das Hirn der Menschen das erste Opfer der Digitalisierung. Die soziale Kohäsion könnte gleich das Nächste sein. Doch wenn wir uns lieber auf optimistischere Meinungen berufen, dann haben Gehirne und Gehirngemeinschaften trotzdem eine Chance. Vielleicht ist ja alles auch ganz normal. Das durchaus so positiv zu sehen, dazu hätte auf jeden Fall etwas geholfen: ganz einfach in die ganze Sache hineingeboren zu sein. Der britische Science-Fiction-Autor Douglas Adams meinte das zumindest. Noch in der Phase des digitalen Mittelalters, im Jahr 1999. „Everything that is already in the world while you are born is just normal.“18 Alles, was nach der Geburt erst erfunden wird, daran müsse man sich eben gewöhnen. Und je älter man wird, an umso mehr Dinge muss man sich gewöhnen. Denn umso mehr Dinge sind während der Lebensspanne erfunden worden. Was neu auf die Welt kommt, während man selbst schon 30 Jahre da war, bringt einen erstmal völlig aus dem Konzept, meint Adams. All das sei „against the natural order of things and the beginning of the end of civilization as we know it“. Nachdem man sich zehn Jahre mit dem Neuen auseinandergesetzt hätte, wäre es auch schon wieder „ganz okay“. Mit anderen drastischen Wendungen war es ja nicht anders: Zuerst hat man sich ziemlich gefürchtet, dann akzeptiert, was sich nicht ändern lässt, dann sogar daran gewöhnt und irgendwann will man ohnehin gar nicht mehr ohne leben. Bis zum nächsten dramatischen „Turn“: Plötzlich will keiner dabei gewesen sein, als etwa das Auto jahrzehntelang Gesellschaft und Umwelt gleichermaßen zerfurchte. Doch so gefährlich, wie alle tun, kann es doch nicht sein. Vom sauren Regen spricht doch auch keiner mehr. Aber ganz schön ernst klingt es trotzdem: Eine amerikanische Gehirnforscherin hat zumindest die Digitalisierung als den nächsten „Hot Shit“ der menschlichen Bedrohungen identifiziert. Susan Greenfield setzt sich seit Jahren mit „Screen Technologies“ auseinander. Nur den Klimawandel hält sie für ähnlich bedrohlich wie die Digitalisierung. Sorgen macht sie sich vor allem um die Gehirne und darum, was mit ihnen passiert, wenn sie sich zum größten Teil mit „Screens“ beschäftigen als direkt mit der Welt selbst.19 Für Greenfield steht zumindest fest: Die Gehirne sind jetzt definitiv schon andere als noch vor der Digitalisierung.

      Sicherheitshalber bekamen in den letzten Jahren doch einige Autoren publizistische Panikattacken. Dabei sind sie mit ziemlich drastischen Prognosen und Stichwörtern aufgefahren: „Digitale Demenz“ war nur eine der populärsten Diagnosen, die Psychiater und Neurowissenschaftler Manfred Spitzer auch als Buch gut verkauft hat.20 Inzwischen sind die kritische Haltung und der Kommunikationskulturpessimismus an einem Punkt angekommen, wo man die „Funktionsstörung“ und den „Störfall“ nicht in der Technik vermutet, sondern beim Menschen, der diese Technik verwendet.21 Die Umbrüche zeigen sich nicht nur stilistisch in den Dialogen auf dem Smartphonedisplay, sondern mindestens auch in dem, was in gewissen Gehirnregionen so los ist. Aber nicht nur im Gehirnscanner meinen Neurowissenschaftler Verstörendes zu sehen, sondern auch in der Zukunft. In ihr sehen die besonderen Pessimisten einsame, bindungsunfähige Menschen wandeln. Und dazu Kinder, die keine Emotionen mehr aus Gesichtern lesen können, dafür in Emojis. Die Freundschaften schließen sie über Online-Games, nicht im Kindergarten. Und verbal werden sie auch emotional nicht viel mehr äußern können als ein universelles „What the Fuck“ oder „I like“. Dafür können sie wahrscheinlich Kurzgeschichten mit Emojis erzählen. Auch gut, aber nicht ganz optimal, um sie dann mit der etwas älteren Generation zu teilen.

      Schädlich zu sein, das gehört noch zu den netteren Diagnosen, die man den sozialen Medien so stellt. Manche halten sie dagegen für richtig kriminell. Und unterstellen ihnen sogar bisweilen böse Absicht. Wenn sie etwa „Entführer“ sind, die es hauptsächlich auf eines abgesehen haben: auf unsere Aufmerksamkeit. „Our minds can be hijacked“, verkündete etwa Justin Rosenstein.22 Einer der Kidnapper: Facebook, das Unternehmen, für das er selbst tätig war. Das Bewusstsein werde fremdgesteuert, sagt Rosenstein. Noch schlimmer als Facebook sei aber ohnehin Snapchat. Heroin wirke auch nicht viel anders, meint einer, der eine der Drogen selbst im Labor mit abgemischt hat. Früher war Rosenstein in einer Arbeitsgruppe, die den „Like“-Button für Facebook entwickelt hat. Heute gehört er hingegen zu einer Gruppe, die auch nicht viel kleiner ist: jene der Silicon-Valley-Häretiker. Ehemalige Technologievisionäre, die heute nur mehr schwarzsehen. Allesamt Menschen, die jetzt vor den Monstern warnen, die sie selbst mit großgezogen haben. Für die großen Internetkonzerne waren sie aktiv, geläutert holen sie heute ihre Kinder aus der Waldorfschule in Silicon Valley ab und verspüren Schuldgefühle: Wie etwa auch der ehemalige Facebook-Vizepräsident, der das schlechte Gewissen, das ihn plagt, gerne als „Tremendous Guilt“ in den Medien verlautbart. Chamath Palihapitiya heißt er. Bis 2011 arbeitete er bei Facebook. Heute zerreißt es ihm fast das Herz, wie sehr Facebook seinerseits „das soziale Gewebe zerreißt und alle Regeln, wie die Gesellschaft bis dahin funktionierte“.23 Teuflische dopamingesteuerte Feedbackschleifen fangen die User ein. Die Konsequenz: die Grundfesten der Gesellschaft zerbröseln. Gemeinsam mit der Basis, wie sich Menschen seit jeher mit-

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