Die Illusion der Unbesiegbarkeit. Paul Williams
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Das war dann der Kick-off für die Visions-Workshops, die zu Hunderten und zur Freude der Consultants national und weltweit durchgeführt wurden. Auch wenn es einen heute zum Schmunzeln bringt, war es damals für die Beteiligten eine ganz ernste Sache.
Visionen aus einem Mix individueller Spontanideen herauszudestillieren ist ebenso riskant, wie sie komplett in die Hände eines externen Beratungsunternehmens zu legen. Wie schon gesagt: Eine »funktionierende« Vision entspricht dem Geist des Unternehmens und leitet daraus ein ambitioniertes Fernziel ab, das als Ansporn, Richtschnur für tägliches Handeln und Begeisterungsmoment taugt. Wenn eine Organisation »das kundenfreundlichste Unternehmen der Welt« werden will, lassen sich konkrete Entscheidungen auf jeder Unternehmensebene an dieser Vision messen, von der Reaktion des Sachbearbeiters auf eine Kundenbeschwerde bis hin zu strategischen Entscheidungen des Managements. Eine gute Vision beschreibt ein Projekt, bei dem die richtigen Leute sagen: »Da will ich dabei sein!« Sie verleiht der eigenen Arbeit einen Sinn und ist daher ein wichtiger Motivationsfaktor. Sie bringt die Dinge einfach, klar und für jedermann verständlich auf den Punkt. Das disqualifiziert lange, gewundene Formeln des Unternehmensmarketing ebenso wie rein monetäre, umsatzbezogene Ziele.
Oder würde das Folgende Ihr Herz gewinnen?
Je mehr Worte es braucht, desto mehr Skepsis ist angebracht. Das »kundenorientierteste Unternehmen der Welt« werden zu wollen, mag beflügeln. Aber »die führendste kundenzentrierte globale Universalbank, die die Interessen ihrer Shareholder exzellent bedient«? Auch Verweise auf Leistungs- oder Marktanteilsziele verpuffen, weil sie Selbstverständlichkeiten mit großem Pathos präsentieren: Welches Unternehmen möchte nicht »auf all seinen Hauptmärkten erfolgreich sein« und die »beste Leistung« bringen? Solche Formulierungsversuche übersehen, dass kraftvolle Visionen aus starken Emotionen gespeist werden. Zugegeben, das ist für Non-Profit-Organisationen leichter umzusetzen als für Unternehmen. Aber es ist nicht unmöglich:
Simon Sinek, ein erfolgreicher TED-Talk-Sprecher, Autor und Unternehmensberater, weist in diesem Zusammenhang auf den »Start with why«-Effekt hin.10 Während fast jeder weiß, was Unternehmen machen, und einige wissen, wie Unternehmen Dinge tun, wird selten erklärt, warum. Die meisten Visionen bleiben auf der »What we do«-Sachebene hängen, wie weiter oben aufgezeigt. Deshalb sind sie so langweilig und trocken. Visionen mit »Why«-Botschaften inspirieren, sie erklären den Sinn und die wirkliche Vision. Eine kindergerechte Welt, einen besseren Alltag schaffen, Informationen jedem und jederzeit zugänglich machen usw. Managementvordenker Jim Collins spricht bildhaft von »Big Hairy Audacious Goals (BHAG)« statt von Visionen – von einem kühnen, herausfordernden (»haarigen«) Fernziel als inspirierenden »Mount Everest«, den das Unternehmen in den nächsten zehn bis dreißig Jahren besteigen will.11 Gute BHAGs – gesprochen wie das englische »Bee Hags« – sind Fortschrittstreiber, keine bloßen Marketingfloskeln. Die Messlatte liegt also hoch, und so überrascht es nicht, dass wirklich zündende Visionen trotz der allgegenwärtigen Visionsinflation selten sind. Eine gute Vision wird zudem eher »entdeckt« als postuliert. Weil das so schwierig ist, greifen viele Unternehmen nach Wachstumsmärkten wie nach einem rettenden Strohhalm. Das ist einfach, kann aber verheerende Folgen haben. Nicht nur bei den Incas.
Warum Marktanteile keine Vision sind
Wollen Sie »die Nummer Eins« in Ihrer Branche werden? Ihr Ehrgeiz in allen Ehren, aber überlegen Sie zweimal, ob dies ein taugliches Fernziel ist. Und seien Sie auf der Hut, wenn Ihr Topmanagement mit dieser Formel liebäugelt. Vielleicht stünde VW heute nicht im juristischen Dauerfeuer, hätte CEO Martin Winterkorn nicht die Parole ausgegeben, bis 2018 Toyota vom Spitzenplatz als größten Autobauer der Welt zu verdrängen.12 Eine funktionierende Vision prägt das Verhalten der Mitarbeiter – und extremer Ehrgeiz lenkt es womöglich in die falsche Richtung. Gäbe es den Abgasskandal mit »Schummel-Software« in VW-Fahrzeugen auch, hätte man nicht um jeden Preis auf dem US-Markt punkten und dabei ebenso ehrgeizige Kostenziele einhalten wollen? Wäre die Deutsche Bank auch dann von Investmentbankern mit Zockermentalität gekapert worden, hätte sie nicht (wie viele andere Banken Ende der Neunzigerjahre) auf Teufel komm heraus zum Global Player aufsteigen wollen? Hätte das Inca-Reich den Spaniern mehr entgegensetzen können, wenn die jahrzehntelange extreme Expansion rechtzeitig in eine interne Konsolidierung übergegangen wäre? Auch die folgende Erfahrung untermauert die Fragwürdigkeit von Number-One-Zielen.
»Vision 2015« oder: Wie man Fehlinvestitionen provoziert
Schauplatz: ein süddeutsches Maschinenbauunternehmen Anfang des neuen Millenniums. Verkündet wird die »Vision 2015«, die eine groß angelegte Transformation mit Tausenden Mitarbeitern und Milliardenumsätzen einläuten soll: In weniger als zwei Jahrzehnten soll ein strategisch zentraler Unternehmensbereich wieder zu den Top Five der Welt gehören. Im letzten Jahrzehnt ist man