Im Schlaraffenland. Heinrich Mann
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»Sie glauben das doch nicht?« fragte er Andreas.
Dieser lächelte verbindlich.
Pohlatz erläuterte:
»Die Weiber bekommen nämlich überhaupt nie was, darauf gebe ich Ihnen mein kleines Ehrenwort.«
»Warum denn nicht?« riefen die anderen.
»Lizzi Laffé hat noch heute ihre zehntausend, und sie geht auf fünfzig.«
»Reden Sie doch keine Makulatur!« versetzte Pohlatz schroff. »Was Lizzi hat, hat sie von Türkheimer.«
Die Namen, die Andreas hörte, prägten sich ihm ein, alles, was gesprochen wurde, schien ihm bedeutend, am bedeutendsten aber Doktor Pohlatz. Er wusste alles, er widersprach allen, er kannte die Einnahmen jedes Schauspielers besser als dieser selbst. Aber als er endlich fortging, ward es noch gemütlicher. Andreas erlaubte sich die Frage:
»Welcher Zeitung gehört Herr Doktor Pohlatz an?«
»Doktor?« sagte jemand, »der Kerl ist ja zum Sterben zu dämlich.«
»Einen Kognak und das Adressbuch!« rief Doktor Libbenow.
»Das ist untrüglich«, sagte er, indem er den Finger auf Pohlatz’ Namen legte. »Hier sind dem Doktor seine Grenzen gesetzt.«
»Wer ist denn überhaupt noch Doktor?« bemerkte ein dicker, schäbig aussehender Herr mit wolligem schwarzen Vollbart.
»Wenn man nur sonst gesund ist«, fügte er hinzu.
»Doktor Buhl? Doktor Rebbiner?«
Ein Doktor nach dem anderen ward im Kalender aufgeschlagen, und keiner vertrug die Stichprobe. Nur Doktor Libbenow verschonte man aus Höflichkeit.
Dass auch Doktor Wacheles vom »Kabel« und der große Abell ihren Titel nur der Gefälligkeit der Kollegen verdankten, machte auf Andreas immerhin Eindruck, aber gewissermaßen brachte der Umstand sie ihm menschlich näher, indem er ihn mit ihrer Größe aussöhnte.
Köpf war bereits verschwunden, als die anderen aufbrachen. Doktor Libbenow sagte zu Andreas, der sich von ihm verabschiedete:
»Nehmen Sie sich vor Golem in acht; er will Sie anpumpen.«
Andreas bemerkte, wie der dicke Schäbige mit dem wolligen, schwarzen Vollbart sich eilig nach der anderen Seite entfernte.
Zwei Tage später erschien der junge Mann wieder im »Café Hurra«, und von da an kam er regelmäßig. Es schmeichelte ihm, seine Abende in der Gesellschaft von Mitarbeitern angesehener Zeitungen zu verbringen, und das Urteil seiner neuen Freunde über ihn lautete günstig. Wie er einmal unbemerkt in die Tür trat, hörte er Doktor Libbenow sagen:
»Der junge Zumsee? Das ist so’n Bengel, der Talent zum Glückmachen hat.«
Er zeigte gerade genug Naivität, um der Eitelkeit der anderen zu schmeicheln, und gerade genug Scharlatanismus, um nicht durch Einfalt zu beleidigen. Er sagte: »Och, han ich’n Freud gehabt«, wenn er froh war, nannte »Knatsch geck« jedermann, der ihm missfiel, und nahm es nicht übel, wenn man seinen Dialekt belächelte. Zum Lohn dafür durfte er Meinungen, die er nicht einmal hatte, sogar dem strengen Doktor Pohlatz gegenüber vertreten. Einmal ließ er es sich einfallen, den Sozialismus, der ihm durchaus gleichgültig war, nur darum herauszustreichen, weil er dies für etwas Besonderes hielt. Er irrte sich, aber Pohlatz, der jeden anderen unsanft zurechtgewiesen hätte, begnügte sich damit, ihm zu erwidern:
»Das verstehen Sie nicht, junger Mann, das verstehe ich ja kaum, und ich habe studiert.«
Bei dieser Gelegenheit erfuhr Andreas den Grund, weshalb das »Café Hurra« diesen Namen führte. Die Herren von der Tafelrunde hatten früher staatsumwälzenden Grundsätzen gehuldigt, bis im März 1890 sich die Sozialdemokratie als nicht mehr zeitgemäß herausstellte. Damals hatten alle einem Bedürfnis der Epoche nachgegeben, sie waren ihren freisinnigen Prinzipalen ein Stückchen Weges nach rechts gefolgt und bekannten sich seither zum Regierungsliberalismus und Hurrapatriotismus. Der Name des Lokals bewahrte die Erinnerung an diese Evolution.
Andreas bewegte sich den ganzen Sommer in diesem Kreise, voll des heiteren Bewusstseins, nunmehr der Berliner Literaturwelt anzugehören. Seitdem er sein Studium aufgegeben hatte, wartete er die Ereignisse ab, um eine neue Arbeit zu beginnen. Bei seinen jetzigen Verbindungen konnte es ihm auf die Dauer gar nicht fehlen. In Vertretung des dicken Golem, der unmäßig faul war, hatte er bereits mehrmals im Gerichtssaal als Berichterstatter fungiert. Wenn er spät abends nach dem Genusse von zwei Tassen schwarzen Kaffee und zwei Kognaks heimging, blickte er in eine glänzende Zukunft gerade hinein. Früher hatte er »geochst«, ohne an etwas zu denken, jetzt tat er nichts und war dabei von hohem Ehrgeiz beseelt.
Wohl blieben auch trübere, weniger zuversichtliche Stunden nicht aus. Andreas konnte manchmal ein Gefühl der Leere nicht verleugnen, wenn er den Tisch verließ, an dem von zehn bis zwölf Schauspielergehältern und schlecht zahlenden Verlegern gesprochen worden war. Golem verschwand einmal auf acht Tage, und bei seiner Rückkehr erzählte er den erstaunten Kollegen, dass er sein erstes Feuilleton geschrieben habe. Seit zehn Jahren machte er nur Gerichtsberichte, jetzt aber hatte ihn seine Zeitung nach Bayreuth geschickt. Dies hatte nichts Auffälliges an sich, über Wagner schrieb nachgerade jeder. Aber Andreas meinte, im »Gumplacher Anzeiger« zuweilen weniger schlechte Artikel gelesen zu haben.
Dieser Golem erfüllte ihn überhaupt mit Besorgnis. Doktor Libbenows Voraussicht, dass der Dicke ihn anpumpen werde, war nicht unerfüllt geblieben, und Andreas wagte bisher keine abschlägige Antwort zu geben. Er fürchtete noch zu sehr, das Wohlwollen der Kollegen zu verscherzen. Vielleicht war er nicht kräftig genug der öffentlichen Meinung entgegengetreten, die ihn für einen begüterten Dilettanten zu halten schien. Vorläufig erhielt nun Golem bald fünf und bald zehn Mark. Und in letzter Zeit ging der