Im Schlaraffenland. Heinrich Mann

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Im Schlaraffenland - Heinrich Mann

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Pohl­atz«, sag­te Dok­tor Be­die­ner mit ei­ner Hand­be­we­gung, die nicht viel Hochach­tung aus­zu­drücken schi­en. Doch setz­te er hin­zu:

      »Ich schät­ze Pohl­atz per­sön­lich hoch, ich kann so­gar sa­gen, dass wir recht gute Freun­de sind.«

      »Schon wie­der je­mand, mit dem ich ver­kehrt habe, ohne zu wis­sen, dass er mit dem Che­fre­dak­teur des ›Nacht­ku­rier‹ be­freun­det ist«, dach­te An­dre­as.

      »Nur möch­te ich Ih­nen da­von ab­ra­ten«, fuhr Dok­tor Be­die­ner fort, »an sei­nem Blat­te mit­zu­ar­bei­ten. Es wür­de für Sie we­nig Wert ha­ben – dies un­ter uns.«

      An­dre­as ver­beug­te sich, voll Ver­gnü­gen über die ver­trau­li­che Mit­tei­lung, de­ren er ge­wür­digt wur­de. Wie gut, dass Pohl­atz gar nicht dar­an ge­dacht hat­te, ihn beim »Ka­bel« ein­zu­füh­ren! Er lausch­te atem­los auf Dok­tor Be­die­ners Be­leh­rung.

      »Alle die­se Blät­ter mit stren­ger Par­tei­rich­tung tau­gen nichts für ein aus­sichts­rei­ches Ta­lent«, sag­te der Che­fre­dak­teur. »Sie wür­den sich dort kom­pro­mit­tie­ren, ohne für den Ver­lust Ih­rer Selbst­stän­dig­keit ent­schä­digt zu wer­den. Bei uns da­ge­gen, wis­sen Sie wohl, be­hält je­der Mit­ar­bei­ter sei­ne Ei­gen­art. Der ›Nacht­ku­rier‹ hat vor al­len an­de­ren er­kannt, dass die Par­tei­pres­se sich über­lebt hat. Dass man eine ge­sun­de li­be­ra­le Wirt­schafts­po­li­tik ver­tritt, ver­steht sich von selbst; wir wä­ren ver­rückt, wenn wir es nicht tä­ten. (Hier voll­führ­te Dok­tor Be­die­ner eine Arm­be­we­gung, die ei­ner län­ge­ren Par­en­the­se gleich­kam.) Im Üb­ri­gen be­trach­ten wir uns als ein Or­gan der deut­schen Geis­tes­kul­tur.«

      Dok­tor Be­die­ner hielt an; er war bei­na­he warm ge­wor­den. Aber er er­lang­te so­fort sein vor­neh­mes Gleich­ge­wicht wie­der, des­sen au­gen­blick­li­ches Ab­han­den­kom­men An­dre­as in sei­ner Hin­ge­ris­sen­heit gar nicht be­merkt hat­te. Der Che­fre­dak­teur be­trach­te­te den Ein­druck, den er auf den jun­gen Mann mach­te, mit Wohl­wol­len. Er lä­chel­te so­gar, denn er hat­te die Be­mer­kung ge­macht, dass An­dre­as’ Blick, der zwi­schen dich­ten und lan­gen Wim­pern her­vor­kam, in sei­ner Treu­her­zig­keit merk­wür­dig ein­schmei­chelnd sei, und dass die be­din­gungs­lo­se Ver­eh­rung, die er aus­drück­te, ei­ner Dame über­aus an­ge­nehm sein müs­se. Flüch­tig dach­te er so­gar an Frau Türk­hei­mer. Er zö­ger­te noch, denn der miss­lun­ge­ne schwar­ze Rock, der dem gut ge­wach­se­nen Jüng­ling et­was Un­ge­schick­tes gab, for­der­te zur Vor­sicht auf. Das Haar war er­bärm­lich ge­schnit­ten, doch trug An­dre­as den Kopf recht gut. Dann ent­schloss sich Dok­tor Be­die­ner.

      »Sie soll­ten sich vor al­lem beim Thea­ter ein­füh­ren, ich mei­ne in den Krei­sen, die dem Thea­ter na­he­ste­hen.«

      »Schon wie­der das Thea­ter«, dach­te An­dre­as. »Es muss doch et­was da­mit los sein.«

      Er öff­ne­te den Mund, aber Dok­tor Be­die­ner schnitt sei­nen Ein­wand ab.

      »Sie wer­den noch nichts für die Büh­ne ge­schrie­ben ha­ben, das tut nichts zur Sa­che. Man er­obert die Welt nicht mehr von der Schreib­stu­be aus. Auch der Schrift­stel­ler muss heut­zu­ta­ge mit sei­ner Per­son ein­tre­ten. Sie wer­den sich in der Ge­sell­schaft um­se­hen müs­sen.«

      »Kom­men jetzt Türk­hei­mers?« frag­te sich An­dre­as.

      Aber der Che­fre­dak­teur zö­ger­te wie­der.

      »Hal­ten Sie sich vor­läu­fig an uns«, sag­te er. »Un­se­re Sonn­tags­bei­la­ge ›Die Neu­zeit‹ steht den jun­gen Ta­len­ten of­fen. Schi­cken Sie uns et­was, und nach zwei, drei Ver­su­chen rech­nen wir Sie zu un­se­ren Haus­dich­tern, die bei den Büh­nen na­tür­lich einen Vor­sprung ha­ben. Das ist das, was ich Ih­nen ver­spre­chen kann.«

      Die letz­ten Wor­te sprach er lang­sa­mer, er schi­en auf et­was zu war­ten. Aber An­dre­as sah schon die Spal­ten des »Nacht­ku­ri­er« zu sei­nem Empfan­ge weit ge­öff­net. Sei­ne san­gui­ni­schen Hoff­nun­gen wur­den alle wie­der wach. Es ward ihm ganz heiß, und ohne sich zu be­dan­ken, ver­setz­te er:

      »Herr Dok­tor, ohne die große un­ver­dien­te Güte, die Sie mir ent­ge­gen­brin­gen, wür­de ich nie ge­wagt ha­ben, Sie dar­um zu bit­ten, ver­zei­hen Sie, dass ich es jetzt wage: wür­den Sie mich als Vo­lon­tär auf­neh­men?«

      Dok­tor Be­die­ners Mie­ne drück­te plötz­lich tie­fe Be­sorg­nis aus.

      »Sie ir­ren sich«, sag­te er. »Ich mei­ne es mit den jun­gen Leu­ten, die mir emp­foh­len sind, zu gut, um sie auf die von Ih­nen be­zeich­ne­te Art kalt­zu­stel­len. Ha­ben Sie die drei­ßig Un­glück­li­chen ge­se­hen, die dort drü­ben die Zeit tot­schla­gen?«

      An­dre­as be­griff, dass das Fens­ter im War­te­zim­mer zu sei­ner und sei­nes­glei­chen Ab­schre­ckung an­ge­bracht sei.

      »Wen Herr Je­ku­ser dort hin­setzt, das geht mich nichts an«, fuhr Dok­tor Be­die­ner fort. »Aber ich sehe, dass man dort durch das vie­le Her­um­lun­gern faul und un­brauch­bar wird. Wer es am längs­ten aus­ge­hal­ten hat, bringt es schließ­lich zu ei­ner klei­nen An­stel­lung bei ei­nem Pro­vinz­blatt. Be­schrän­ken sich Ihre Träu­me dar­auf? – Nein, mein Lie­ber«, so schloss der Che­fre­dak­teur, »wir ha­ben es bes­ser mit Ih­nen im Sinn. Was wir Ih­nen ver­spre­chen kön­nen, habe ich schon ge­sagt. Sie wis­sen ja, wel­cher wirk­sa­men Emp­feh­lung Sie un­ser Wohl­wol­len ver­dan­ken.«

      Bei je­dem der von Dok­tor Be­die­ner ge­brauch­ten, ge­schäfts­mä­ßig küh­len »wir« über­rie­sel­te es An­dre­as kalt. Er ward sich be­wusst, dass sei­ne per­sön­li­che Un­ter­re­dung mit ei­nem ho­hen Gön­ner be­en­det sei, und dass er sich nur noch als na­men­lo­ser Bitt­stel­ler ei­nem Mäch­ti­gen ge­gen­über be­fin­de. Und dies bloß in­fol­ge sei­ner plum­pen Un­ge­schick­lich­keit; weil er durch eine dum­me Bit­te den gan­zen schö­nen Er­folg des bis­he­ri­gen Ge­sprä­ches zer­stört hat­te! Nun fühl­te er Dok­tor Be­die­ners Blick mit der deut­li­chen An­kün­di­gung auf sich ru­hen, dass die Au­di­enz be­en­det sei. Und nun wand­te sich der Che­fre­dak­teur ganz un­ver­hoh­len der Stutz­uhr auf dem brei­ten Schreib­ti­sche zu. Der arme jun­ge Mann biss sich auf die Lip­pen. Er war bleich und ver­wirrt, doch fest ent­schlos­sen, sich lie­ber vom Re­dak­ti­ons­die­ner hin­aus­set­zen zu las­sen, als un­ver­rich­te­ter Din­ge frei­wil­lig zu ge­hen.

      »Ich habe nichts mehr zu ris­kie­ren«, sag­te sich An­dre­as. »Gehe ich jetzt, so hin­ter­las­se ich den denk­bar schlech­tes­ten Ein­druck.« – »Ich muss die Emp­feh­lung an Türk­hei­mer ha­ben«, wie­der­hol­te er sich hart­nä­ckig und starr­te auf den hell­ge­blüm­ten eng­li­schen Tep­pich, der den Bo­den des Zim­mers be­deck­te. Er woll­te ein nied­rig hän­gen­des Öl­ge­mäl­de be­trach­ten, doch ver­sag­te ihm der Mut. Sein Blick wag­te sich nicht hö­her als bis zu Dok­tor Be­die­ners Lack­schu­hen und den wei­ßen Ga­ma­schen, über

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