Im Schlaraffenland. Heinrich Mann

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Im Schlaraffenland - Heinrich Mann

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in ein ve­ge­ta­ri­sches Re­stau­rant schlich. Ei­ni­ge Tage spä­ter bil­de­te dann der schwar­ze Kaf­fee sein haupt­säch­li­ches Er­näh­rungs­mit­tel. Das Mit­ta­ges­sen muss­te nur zu häu­fig, wie Pohl­atz sich aus­drück­te, durch stram­me Hal­tung er­setzt wer­den.

      An­dre­as schul­de­te seit ge­rau­mer Zeit die Zim­mer­mie­te, und es war ein Glück für ihn, dass es auch mit der Ent­loh­nung der Wä­sche­rin nicht eil­te. Er hat­te Kre­dit er­langt da­durch, dass das jun­ge Mäd­chen, das ihm sei­ne fri­schen Hem­den brach­te, sich durch sei­ne Lie­be be­ste­chen ließ. Sie bat nur um Frei­bil­letts für das Thea­ter, die ein Schrift­stel­ler wie An­dre­as ihr doch wohl ver­schaf­fen kön­ne. An­dre­as er­klär­te, dass nichts leich­ter sei, aber Lib­be­now so­wohl wie Go­lem, der ihm doch viel­fach ver­pflich­tet war, ver­trös­te­ten ihn. Als nach vier­zehn Ta­gen noch kei­ne Frei­kar­te zur Stel­le war, ver­ließ ihn die jun­ge Wä­sche­rin mit dem Aus­druck ih­rer Ge­ring­schät­zung und nicht, ohne die Rech­nung auf sei­nen Tisch zu le­gen.

      Im Ok­to­ber mach­te An­dre­as, ent­ge­gen sei­ner Ge­wohn­heit, ein­sa­me Spa­zier­gän­ge im Tier­gar­ten, wo die Blät­ter fie­len. Das »Café Hur­ra« ver­nach­läs­sig­te er. Moch­ten sie doch mer­ken, dass er sie ver­ach­te­te! Denn nach­ge­ra­de fühl­te er sich hier­zu ver­sucht. Wa­ren sie denn ei­gent­lich ein wür­di­ger Ver­kehr für ihn, die­se Leu­te, die meis­tens nicht ein­mal rich­tig Deutsch schrie­ben – so­weit sie über­haupt et­was schrie­ben. Es ward ihm im­mer kla­rer: ihre Bla­siert­heit, die ihm an­fangs als Über­le­gen­heit ge­gol­ten hat­te, war im Grun­de nur der Aus­druck von Un­wis­sen­heit und Im­po­tenz. Aber der gan­ze Ber­li­ner Ton kam schließ­lich bloß von Man­gel an Tie­fe. Sie ulk­ten, weil sie zu faul wa­ren, auf die Din­ge ein­zu­ge­hen. Er hat­te ge­nug da­von. Das »Café Hur­ra« war für ihn eine Sack­gas­se, die nie­mals zu ir­gend­ei­nem Zie­le füh­ren konn­te. Kei­ner der dort ken­nen­ge­lern­ten Her­ren schi­en ge­nug Ein­fluss zu be­sit­zen, um ihn jour­na­lis­tisch zu för­dern. Am Ende fehl­te auch der gute Wil­le. Au­ßer Go­lem, des­sen schlech­ter Ruf sei­ne Emp­feh­lun­gen ge­fähr­lich mach­te, ließ kei­ner einen Neu­ling an sei­ne Zei­tung her­an­kom­men. In sechs Mo­na­ten hat­te An­dre­as ge­nau vier­zehn Mark und fünf­und­sech­zig Pfen­nig ver­dient, was ihm nicht hin­rei­chend zur Be­grün­dung ei­ner Zu­kunft deuch­te. Das ers­te Stu­dien­jahr war dar­über hin­ge­gan­gen, sein Wech­sel lief jetzt noch zwei Jah­re. In­ner­halb des ge­ge­be­nen Zeit­rau­mes muss­te er es zu et­was brin­gen. Von die­ser Not­wen­dig­keit her­aus­ge­stört, tauch­te das Ge­s­penst des Gum­pla­cher Schul­meis­ters noch ein­mal vor ihm auf. Er wehr­te es ent­rüs­tet ab. Aber was dann? An­dre­as ver­moch­te auf die­se Fra­ge nur mit ei­nem Seuf­zer zu ant­wor­ten, und er hät­te sich zwei­fel­los sei­ner leicht­sin­ni­gen Un­tä­tig­keit aufs neue über­las­sen, wenn nicht eine krän­ken­de Er­fah­rung ihn vollends auf­ge­rüt­telt hät­te.

      Er be­trat am sel­ben Abend das »Café Hur­ra« frü­her als die an­de­ren und das Haupt umso hö­her er­ho­ben, je tiefer ihm der Mut stand. Er mach­te die Run­de um das fast lee­re Lo­kal und be­grüß­te das Fräu­lein am Bü­fett. Es war eine fade Blon­di­ne, An­dre­as hat­te noch nie das Be­dürf­nis ge­fühlt, einen An­griff auf sie aus­zuü­ben. Heu­te aber glaub­te er, dies sei­ner Wür­de schul­dig zu sein. Kurz ent­schlos­sen leg­te er ihr den Arm um die Hüf­ten. Das Mäd­chen, das sich hier­durch nicht an­ge­spro­chen füh­len moch­te, ver­zog die Mund­win­kel in böse, schar­fe Fal­ten, sie ver­setz­te dem jun­gen Mann einen hef­ti­gen Stoß ge­gen die Schul­ter und sag­te mit Nach­druck:

      »Jüng­ling, wie kom­men Sie mir vor?«

      An­dre­as sah sie eine Se­kun­de lang an, er war au­ßer­or­dent­lich blass ge­wor­den. Da­rauf pfiff er durch die Zäh­ne, dreh­te sich auf den Ab­sät­zen um und ver­ließ ge­mes­se­nen Schrit­tes den Raum.

      Gleich den fol­gen­den Mor­gen ging er zu Köpf, um sich mit ihm über sei­ne nächs­ten Schrit­te zu be­ra­ten. Das »Café Hur­ra« war eben­so ab­ge­tan wie der Gum­pla­cher Schul­meis­ter. Wenn selbst je­nes Mäd­chen, das ein hal­b­es Jahr lang Zeu­ge sei­nes ver­trau­ten Um­gan­ges mit den Mit­ar­bei­tern der an­ge­se­hens­ten Zei­tun­gen ge­we­sen war, ihm mit sol­cher em­pö­ren­den Nicht­ach­tung be­geg­nen konn­te, dann muss­te sei­ne ge­sell­schaft­li­che Stel­lung we­ni­ger glän­zend sein, als er ge­wähnt hat­te. Dies aber war das­je­ni­ge Be­wusst­sein, das er am we­nigs­ten zu er­tra­gen ver­moch­te.

      Er muss­te in Köpfs Zim­mer, in der un­te­ren Do­ro­theen­stra­ße, ei­ni­ge Zeit war­ten und be­merk­te dar­in eine ge­wis­se Wohl­ha­ben­heit. Der brei­te Schreib­tisch von Ma­ha­go­ni und der be­que­me, mit ro­tem Maro­quin über­zo­ge­ne Lehn­ses­sel wäre in kei­nem mö­blier­ten Zim­mer an­zu­tref­fen ge­we­sen. Die Wän­de wur­den von ho­hen Bü­cher­ge­stel­len ver­deckt, an­ge­füllt mit ei­nem un­glaub­li­chen Plun­der, vor dem An­dre­as stau­nend stand. Zer­fetz­te Papp­bän­de und an­ge­fres­se­ne Le­der­rücken ver­brei­te­ten den Duft al­ler mög­li­chen Tröd­ler­bu­ti­ken. Eine alte Ge­schich­te Lud­wigs XIII. von Le Vas­sor füll­te mit den Denk­wür­dig­kei­ten von Saint-Si­mon ein gan­zes Fach. Wei­ter­hin stan­den so­gar die Kir­chen­vä­ter. An­dre­as be­griff nicht, wel­chen Zweck die­se Din­ge für je­mand ha­ben konn­ten, der Ro­ma­ne schrieb. Köpf be­schäf­tig­te sich, wie Lib­be­now wis­sen woll­te, mit der An­fer­ti­gung von Ro­ma­nen, die je­doch kein Mensch zu se­hen be­kam. Wei­ter wuss­te man von ihm schlech­ter­dings nichts. Er er­schi­en wö­chent­lich kaum ein­mal im »Café Hur­ra«, und die­ser Um­stand flö­ßte An­dre­as in sei­ner jet­zi­gen Lage Ver­trau­en ein, ob­wohl er es in letz­ter Zeit Köpf stark ver­dach­te, dass er ihn über­haupt in je­nen Kreis ein­ge­führt hat­te.

      Es frag­te sich jetzt nur, was er ei­gent­lich von Köpf woll­te. An­dre­as, den das War­ten ner­vös mach­te, bau­te im Voraus ei­ni­ge schö­ne Sät­ze.

      »Sie ha­ben an der Ent­wi­cke­lung ei­nes Ih­nen völ­lig Un­be­kann­ten gleich an­fangs so freund­li­chen An­teil ge­nom­men, dass ich, von neu­en Zwei­feln be­drängt, es noch­mals wage, Sie um Ihren Rat und Ihre Hil­fe zu bit­ten.«

      Als die Pe­ri­ode fer­tig war, fand er sie al­bern. So sprach man nicht, be­son­ders nicht in Ber­lin. Au­ßer­dem klang es falsch; er woll­te Köpf doch nicht an­pum­pen.

      Die­ser er­schi­en plötz­lich in der Tür und be­grüß­te den Gast sehr er­freut.

      »Ah, lie­ber Kol­le­ge!«

      An­dre­as hat­te einen Ein­fall:

      »Wis­sen Sie, von dem ›Kol­le­gen‹ hab’ ich schon bald ge­nug«, sag­te er und dreh­te sich halb um.

      Köpf lä­chel­te.

      »Sie ha­ben im ›Café Hur­ra‹ wohl ein Haar ge­fun­den?«

      »Meh­re­re.«

      »Ich hät­te Ih­nen das vor­aus­sa­gen kön­nen. Aber es freut mich, dass Sie selbst da­hin­ter­ge­kom­men sind.«

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