Im Schlaraffenland. Heinrich Mann

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Im Schlaraffenland - Heinrich Mann

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wol­len sich ihr wohl nur vor­stel­len? Hat ja gar kei­nen Zweck.«

      Der kor­pu­len­te Herr folg­te ge­lang­weilt dem Ruf ei­nes Be­kann­ten. Kaf­lisch nahm An­dre­as’ Arm wie den ei­nes Ju­gend­freun­des.

      »War das der be­rühm­te Ver­tei­di­ger?« frag­te der jun­ge Mann.

      »Ihn selbst ha­ben Ihre sterb­li­chen Au­gen ge­se­hen. Wis­sen­se, den müs­sen Sie ken­nen­ler­nen.«

      Im Men­tor­ton setz­te Kaf­lisch hin­zu:

      »Von de­nen, die hier sind, kann kei­ner sa­gen, dass er ihn nicht ei­nes Ta­ges nö­tig ha­ben wird.«

      »Wie geht es Ih­nen sonst?« frag­te er gleich dar­auf. »Ist Be­die­ner nett zu Ih­nen?«

      »Sehr«, sag­te An­dre­as. »Vo­ri­gen Sonn­tag ist was von mir er­schie­nen.«

      »Aha, das Ge­dicht in der ›Neu­zeit‹.«

      »Ha­ben Sie es ge­le­sen?«

      »Das kön­nen Sie nicht ver­lan­gen. Aber von je­dem aus­sichts­rei­chen Ta­lent, das an den Al­ten emp­foh­len ist, bringt die ›Neu­zeit‹ ein Ge­dicht. Auf das zwei­te kön­nen Sie lan­ge war­ten. – Da ha­ben Sie Asta«, setz­te er schnell hin­zu, stieß An­dre­as an und wand­te sich un­ver­fro­ren nach ei­ner vor­über­ge­hen­den Dame um.

      »Wer, Asta?« frag­te An­dre­as, der Kaf­lisch’ Bei­spiel folg­te. Aber sei­ne wein­se­li­ge Auf­ge­räumt­heit räch­te sich so­fort, er trat der Dame auf die Schlep­pe, und sie zeig­te ihm ein Ge­sicht vol­ler Ver­ach­tung.

      »Nu ha­ben Sie sie doch mal an­ge­se­hen«, sag­te Kaf­lisch freund­lich. Die Dame ging wei­ter, ei­nem lan­gen, blon­den Herrn mit schüt­term Bart ent­ge­gen, der ihr über den Köp­fen der Men­ge, hin­ten an der Tür zu­wink­te.

      An­dre­as war jetzt nicht mehr so leicht aus der Fas­sung zu brin­gen. Er frag­te, über­mü­tig la­chend:

      »Sa­gen Sie doch, wer ist denn die Asta?«

      »Die Toch­ter vom Hau­se, mein jun­ger Freund. Und wenn die hier spa­zie­ren­geht, so kön­nen Sie glau­ben, dass die Mut­ter ganz wo an­ders ist.«

      »Wa­rum?« frag­te An­dre­as. Er war doch leicht er­schro­cken.

      »Wa­rum? Die lie­be Un­schuld! Asta ist ’n Mäd­chen mit Grund­sät­zen, das heißt, sie geht à la Ib­sen fri­siert, mo­der­nes Weib, mehr in­tel­lek­tu­ell als Ge­schlechts­we­sen, ver­stehn­se mich, sehr ge­ehr­ter Herr?«

      Kaf­lisch sprach mit der Nase dicht an An­dre­as’ Mund und sehr laut. Es lag ihm of­fen­bar nichts dar­an, sein Licht un­ter den Schef­fel zu stel­len. Um sie her fing man an zu la­chen. An­dre­as fühl­te die Auf­merk­sam­keit auf sich ge­rich­tet, was ihm schmei­chel­te.

      »Und die Mut­ter?« frag­te er mit er­ho­be­ner Stim­me, wäh­rend sie weiter­schlen­der­ten.

      »Die ist ’ne gute Frau«, er­klär­te Kaf­lisch leicht­hin. »So­gar zu gut ge­gen uns jun­ge Leu­te.«

      »Ich ver­ste­he«, sag­te An­dre­as mit ei­ner Be­to­nung, die er für viel­sa­gend hielt.

      »Kommt dort nicht Liz­zi Laffé?« frag­te er. Der Name je­ner Dame, die er schon im Vor­zim­mer durch sei­ne In­dis­kre­ti­on be­lei­digt hat­te, war ihm zu sei­nem Schre­cken ein­ge­fal­len. Er kann­te sie von der Büh­ne her, der sie an­ge­hör­te, und Liz­zis Be­zie­hun­gen zu Türk­hei­mer wa­ren im »Café Hur­ra« des öf­te­ren er­ör­tert.

      »Abend, Liz­zi«, sag­te Kaf­lisch, der ihr im Vor­über­ge­hen die Hand schüt­tel­te. Sie be­merk­te An­dre­as gar nicht, der voll Ehr­furcht fest­stell­te, dass ihre Toi­let­te, seit sie den gelb­sei­de­nen Man­tel ab­ge­legt, an Prunk noch nichts ver­lo­ren hat­te. Er schau­te ihr vor­sich­tig nach, wie sie in ih­rer alle ein­schüch­tern­den Üp­pig­keit, mit Bril­lan­ten über­sät, am Arm des­sel­ben Herrn da­hin­schritt, mit dem er sie über­rascht hat­te. Es war ein ge­schnie­gel­ter jun­ger Mann, mit bart­lo­sem, doch her­aus­for­dern­dem Ge­sicht, breit­schult­rig, be­leibt und von der Hal­tung ei­nes Korps­stu­den­ten.

      »Also Liz­zi ist auch da!«

      An­dre­as be­müh­te sich, recht harm­los zu spre­chen. Die Be­geg­nung mit die­ser Frau, die ei­ner be­lei­dig­ten Her­zo­gin glich, hat­te ihn völ­lig er­nüch­tert. Auch sah ihr Beglei­ter ge­fähr­lich aus.

      »Na, sie ge­hört hier ja zum In­ven­tar«, setz­te An­dre­as hin­zu. Kaf­lisch grins­te.

      »So­lan­ge es dau­ert, heißt das. Türk­hei­mer soll sie satt ha­ben. Ko­misch, ge­ra­de jetzt, wo sei­ne Frau den Edel­berg los ist, wis­sen­se?«

      »Hab’ ich auch ge­hört«, log An­dre­as, der sich vor­nahm, ohne wei­te­res al­les zu be­grei­fen.

      »Es ist aber nicht schön von Liz­zi«, sag­te er ver­trau­lich, »was ich vor­hin zwi­schen ihr und dem jun­gen Mann ge­se­hen habe, mit dem sie eben vor­bei­kam.«

      Kaf­lisch horch­te auf.

      »Mit dem, der so staats­er­hal­tend aus­sieht?« frag­te er. »Nun, was mach­ten sie denn?«

      »Sie küss­ten sich.«

      »Mehr nicht?«

      Kaf­lisch war ent­täuscht. An­dre­as such­te sich zu ent­schul­di­gen.

      »Na, hier im Hau­se –« mein­te er.

      »Un­sinn. Die­de­rich Klemp­ner ist ja ihr Schoß­hünd­chen. So’n Pos­ten soll­ten Sie sich auch su­chen, mein Lie­ber. Klemp­ner ist ein Stre­ber, aber ohne Liz­zi wäre er nichts ge­wor­den.«

      »Was ist er denn?« frag­te An­dre­as.

      »Das wis­sen Sie nicht? Dra­ma­ti­ker doch!«

      »Klemp­ner? Ich habe ihn nie auf dem Thea­ter­zet­tel ge­se­hen.«

      »Die lie­be Un­schuld! Ist ja gar nicht nö­tig, er schreibt nie was, aber Dra­ma­ti­ker ist er doch.«

      »Wie­so?« frag­te An­dre­as ziem­lich kurz. Er fand den Aus­druck »Die lie­be Un­schuld« et­was zu her­ab­las­send. Kaf­lisch er­läu­ter­te:

      »Wenn er was schrei­ben wür­de, dann wür­de es viel­leicht ein Dra­ma wer­den. Ver­stehn­se mich?«

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