Im Schlaraffenland. Heinrich Mann
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Andreas setzte sich endlich, er lehnte den Kopf zurück und versuchte sich betäuben zu lassen von der funkelnden Decke, deren vergoldete Kassetten elektrische Birnen bargen. Dies hinderte ihn nicht, von Neuem in eine verzweifelte Mutlosigkeit zu verfallen. Was hatte er bisher erreicht? Kein ernsthafter Bekannter stand ihm bei, es war zu klar, dass die Leute, die er kennenlernte, ihn nur daraufhin ansahen, ob sich ihm eine heitere Seite abgewinnen lasse. Gelang es ihm heute Abend nicht, ein Lächeln von der Hausfrau zu erhalten, so war es aus mit seinem Eintritt in diese Welt. Und jetzt, da er einen Blick hier herein getan hatte, fanden seine Begierden erst ihren Gegenstand. Er sandte seine schüchternen Eroberungsblicke im Kreise der geschmückten Frauen umher. Manche waren üppig, schwer und weich wie Odalisken. Andere, hagere, hoben langgestielte Lorgnons vor die umränderten, pervers blickenden Augen. Wer von einer von ihnen in Gnaden aufgenommen wurde, so als Schoßhündchen wie Diederich Klempner bei Lizzi Laffé, der war sein Lebtag versorgt. Das Geld rollte hier unter den Möbeln umher. Gewiss tat keiner etwas anderes, als sich die Taschen zu füllen. Welch ein Wohlleben in diesem Schlaraffenland!
Eine hässliche Falte seines Fracks, die ihm noch nie so aufgefallen war, wie in dieser Beleuchtung, entriss den armen jungen Mann seinen Träumen. Er verglich seine dürftige Kleidung mit den tadellosen Anzügen, die an ihm vorüberwandelten, und bei jedem Vergleiche stieg seine Wut. Endlich befand er sich in der erforderlichen Stimmung, um mit sich selbst va banque2 zu spielen. Wenn er in einer halben Stunde noch keinen Schritt auf seiner Laufbahn vorwärts getan haben würde, so schwur er sich zu, wegzugehen und nie wiederzukommen.
Er wollte sich erheben, als zwei junge Leute dicht vor ihm stehenblieben. Sie sahen hinüber nach der Palmengruppe, vor der in einer Pompadour-Bergere eine große, starke Dame saß. Sie war nicht gerade jung, aber ihr weißer Teint hatte nichts verloren, und so prachtvolle Schultern konnte sie nach Andreas’ Meinung in ihrer Jugend kaum besessen haben. Ihre zu starken Gesichtszüge erhielten etwas Charakteristisches durch den hohen schwarzen Helm von Haaren über der engen Stirn. Sie war in weiße Seide gekleidet, mit tief über die Büste fallenden Spitzen, worauf Brillantagraffen blitzten.
Der eine der jungen Leute bemerkte:
»Sie ist doch noch immer schön.«
»Die Hausfrau?« sagte der andere. »Selbstredend. Zwar ’n bisschen schwere Nahrung, aber es tut nichts. Je mehr, desto besser, nach der Taxe der Wüstenstämme.«
»Welche Taxe?«
»Als Schönste gilt diejenige, die nur auf einem Kamel fortbewegt werden kann. Nach ihr kommt die, die sich auf zwei Sklavinnen stützen muss. – Aber warum macht sie denn so ’n leidendes Gesicht?«
»Frau Türkheimer? Das wissen Sie nicht? Wo kommen Sie denn her? Ratibohr hat ja mit ihr gebrochen.«
»Der Esel! Und warum?«
»Wegen des Gatten, sagt man.«
»Türkheimer? Der wird sich doch nicht lächerlich machen? Er lässt doch seit bald einem Menschenalter seine Frau tun, was sie will. Was hat er denn gegen Ratibohr?«
»Ja, Ratibohr soll kein dankbarer Kunde sein. Durch die Vertraulichkeit mit Frau Adelheid ist er hinter allerlei Geheimnisse gekommen. Türkheimer hat gemerkt, dass ihm, seit seine Frau mit Ratibohr zusammensteckt, öfter was vor der Nase weggeschnappt ist. Das hat ihn entrüstet.«
»Wirklich?«
»Türkheimer ist ja ein sehr verständiger Mann, um die Privatangelegenheiten seiner Frau kümmert er sich nicht. Aber wenn die Geschäfte ins Spiel kommen, dann wird er strenge.«
»Und da hat er dem Ratibohr Krach gemacht?«
»Sie kennen ihn nicht. Er hat ihm die Beteiligung an einem feinen Coup angeboten, mit der Bedingung, seine Frau aufzugeben.«
»Und Ratibohr hat eingeschlagen?«
»Was dachten Sie denn?«
In diesem Augenblick sah Andreas den eleganten Doktor Bediener, das Glas im Auge, in der Tür erscheinen. Der junge Mann stürzte jäh auf den Chefredakteur los.
»Herr Doktor!« sagte er hastig. »Gestatten Sie mir eine Bitte, würden Sie die Güte haben, mich der Dame des Hauses vorzustellen?«
»Comment donc,3 mon cher!« rief Doktor Bediener, der früher Korrespondent in Paris gewesen war. Er sah Andreas starr an und setzte hinzu:
»Ich suche Sie seit zwei Stunden, mein lieber Herr, Herr-re…«
»Andreas Zumsee«, ergänzte Andreas.
Der Chefredakteur ergriff seinen Schützling leicht am Arm, trat mit ihm vor Frau Türkheimer und sprach:
»Schöne Frau, ich mache mir das Vergnügen, Ihnen einen talentvollen jungen Mann zuzuführen, Herrn Andreas Zumsee, den ich der kunstsinnigen Güte der gnädigen Frau empfehle.«
Alsbald war Doktor Bediener verschwunden.
Andreas verlängerte seine Verbeugung so sehr, als hypnotisierten ihn seine eigenen, nicht sehr blanken Stiefelspitzen. Ein mitleidiges Lächeln hatte Frau Türkheimer schon wieder unterdrückt, als der junge Mann aufsah. Sie redete ihn sehr freundlich an.
»Unsere jungen Dichter finden hier stets ein offenes Haus, und die von Doktor Bediener empfohlenen Talente sind uns besonders willkommen, Herr Zumsee.«
Andreas verbeugte sich abermals. Er nahm das Tabouret4 ein, auf das Frau Türkheimer deutete.
»Widmen Sie sich schon lange der Literatur?« fragte sie.
»Erst seit ganz kurzer Zeit«, erklärte Andreas, »und ich durfte nicht hoffen, seitens der gnädigen Frau einen so wohlwollenden Empfang zu finden, der mich unendlich glücklich macht. Das Interesse an der Literatur ist im Lande so gering, dass wir jungen Anfänger von vornherein eine tiefe