Im Schlaraffenland. Heinrich Mann
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![Im Schlaraffenland - Heinrich Mann Im Schlaraffenland - Heinrich Mann](/cover_pre920657.jpg)
Der Bräutigam, der Asta gegenübersaß, war eben der Herr mit spärlichem Haar und schütterm weißblonden Spitzbart, dem Fräulein Türkheimer entgegenging, als Andreas ihr bald nach seinem Erscheinen auf die Schleppe getreten hatte. Hochstetten hielt eine schmale, unendlich lange und bleiche Hand an die Schläfe gelegt. Er saß schläfrig über den Tisch geneigt und sprach mit seiner Braut, ohne dass sein Gesicht sich bewegte. Lange, hängende Kiefer und eine feine, gebogene Nase gaben ihm ein durchaus edles Pferdeprofil. Seine großen mattblauen Augen träumten, man mochte Hochstetten beobachten, wann man wollte, immer nur vor sich hin, woran wahrscheinlich bloß Blutleere schuld war. Andreas ward dies klar, als am Nebentisch, wo Rechtsanwalt Goldherz saß, die laute Bemerkung fiel:
»Müde Rasse!«
Der junge Mann bewunderte im Stillen den großen Verteidiger. »Müde Rasse!« In einem solchen Worte lag die abgeschlossene wissenschaftliche Weltanschauung, für die Goldherz so häufig praktisch Verwendung fand, und die vor Gericht seine Überlegenheit über den Staatsanwalt begründete.
Andreas hatte inzwischen mehr Sekt getrunken, als ihm lieb war. Etwas anderes kam nicht auf den Tisch, denn Klempner hatte erklärt, dass es bei dieser rapiden Abfütterung nicht der Mühe wert sei, sich in einen Wein zu vertiefen, der Verständnis und Sorgfalt erfordere. Die Gedanken des jungen Mannes begannen zu vagabundieren. Von Asta, Hochstetten und Rechtsanwalt Goldherz kehrten sie, ehe er es sich versah, zu Frau Türkheimer zurück. Der leichte Champagnerrausch half seinem sanguinischen Temperament, die Schüchternheit des Neulings zu besiegen, und plötzlich, zu seiner eigenen Überraschung, sagte er sich rundheraus, dass er Adelheid besitzen wolle. Er erblickte augenblicklich gar kein Hindernis. Denn er stellte sich mit stiller Genugtuung eine lange Reihe von Liebhabern vor, die sie vor ihm gehabt haben musste. War es nicht ganz natürlich, dass jetzt auch er an die Reihe kam? Eben noch hatten alle durch ihre plötzliche Beachtung ihn merken lassen, dass die Königin ihm, dem armen Pagen, das Taschentuch zugeworfen habe. Auch fand er sich ja im denkbar günstigsten Augenblick ein, gerade als Ratibohr die vierzigjährige Dame in einsamer Trauer zurückgelassen hatte. Wie viele Tröster würde sie wohl noch finden? Sich von ihr in Gnaden aufnehmen zu lassen, war eigentlich eine zu leichte Aufgabe und nicht besonders ruhmvoll. Aber als erste Stufe zum ferneren Emporkommen mochte man es mitnehmen. Denn dies war kein Idyll, und es handelte sich nicht darum, Frau Generalkonsul Türkheimer auf eine Liebesinsel zu entführen. Es hieß ein moderner junger Mann sein, wie zum Beispiel Asta ein modernes junges Mädchen war. Ja, auch Asta war bei der Sache zu bedenken und daneben Türkheimer, der Schwiegersohn, wer weiß, vielleicht die Eifersucht anderer Bewerber, das Übelwollen vieler, die Meinung einer ganzen Gesellschaft. Asta vor allem flößte ihm eine unbestimmte Furcht ein. Ohne es zu wissen, hatte Andreas sich mehrmals nach ihr umgesehen.
»Der sollten Sie den Hof machen«, sagte plötzlich Duschnitzki, der ihn teilnahmsvoll prüfend betrachtete.
»Dem Fräulein Asta? Warum denn?« fragte Andreas.
»Um ihre wohlwollende Neutralität zu erlangen.«
»Sehr richtig«, bemerkte Klempner. »Sie wissen wohl nicht, dass Asta die Liebhaber ihrer Mutter als ihre persönlichen Feinde betrachtet? Dem Ratibohr hat sie einen Streich gespielt.«
»Ein bösartiger Charakter, sage ich Ihnen!« rief Süß mit Tränen in der Stimme. Der reichliche Sektgenuss machte ihn weich und melancholisch. Andreas erkundigte sich:
»Ist Asta eifersüchtig auf ihre Mutter?«
»I wo! Sie verachtet die Mama!«
»So moralisch?«
»Moralisch aus Snobismus«, erklärte Klempner. »Asta fühlt das Bedürfnis, ihre soziale Stellung zu verbessern. Ihre Mutter könnte drei alte Grafen auf einmal haben, und sie würde sie ihr nicht übelnehmen. Aber gegen die jungen Talente hat sie nun mal ein Vorurteil.«
Andreas dachte an Kaflisch und sagte mit Betonung:
»Sie ist eben ein modernes Weib, mehr intellektuell als Geschlechtswesen.«
»Modern besonders im Geldausgeben«, versetzte Duschnitzki. »Sie kostet Türkheimer gerade so viel wie seine Maitressen.«
»Und das sollte eine Tochter doch nicht!« fügte Süß aufs höchste bekümmert hinzu. Duschnitzki fuhr fort:
»Und dabei verachtet sie auch Türkheimer mitsamt seinen Geschäften, und sie sagt es jedem, der es hören will!«
»Die Unglückliche! Sie ist aus der Art geschlagen!« jammerte Süß.
»Sie kauft sich einen Namen! Was ist denn so ’n abgetragener Name heute wert?«
»Kunststück!« meinte Klempner. »So ’nen Baron und gar ’nen Geheimrat vom Neuen Kurs kann sich doch jetzt schon der gute Mittelstand leisten, seit der Adel sich den Liberalismus anschafft, den wir abgelegt haben!«
Es wurden Schalen mit Zigarren und Zigaretten auf den Tisch gestellt. Andreas, der Feuer brauchte, ließ sich den silbernen Kandelaber herüberschieben. Dieser bestand aus einer fein ziselierten Säule, an der Colombine2 lehnte, die sich von einem Herrn küssen ließ. Pulcinello stand dabei und hielt den Leuchter, den er auf den Rand der Säule schob. Andreas sah die Welt rosenfarbig und verspürte Lust, sich für irgendetwas zu begeistern, erinnerte sich aber noch rechtzeitig, dass dies für unpassend galt. Er sagte daher einfach:
»Eine recht nette Arbeit!«
Duschnitzki bestätigte dies:
»Nichts dagegen einzuwenden!«
Klempner begann sogleich seine weinselige Beredsamkeit über die Bedeutung zu verbreiten, die der Pulcinellafigur in der Geschichte der Menschheit zukam. Er sah in ihr den komisch aufgefassten