Im Schlaraffenland. Heinrich Mann
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![Im Schlaraffenland - Heinrich Mann Im Schlaraffenland - Heinrich Mann](/cover_pre920657.jpg)
Süß belehrte ihn mit rührseliger Entrüstung.
»Menschenskind, Sie kommen aus Gegenden, wo man Claudius Mertens nicht kennt? Blicken Sie mal dorthin, und Ihr Auge wird einem großen Manne begegnen!«
In der bezeichneten Richtung entdeckte Andreas einen breitschultrigen Herrn mit gutmütigem Gesicht, blondem Vollbart und nachlässig gebundener Krawatte. Er hielt das Bein übergeschlagen und eine Hand daraufgelegt, die ungewöhnlich kräftig aussah und so breite, gedrungene Finger hatte, dass Andreas zweifelnd das zerbrechliche Kunstwerk vor sich auf dem Tische betrachtete.
»Wie hat er das gemacht?« fragte er sich. Er äußerte:
»Claudius Mertens? Ich habe den Namen nie gehört.«
»Sie sind entschuldigt«, erklärte Duschnitzki. »Claudius ist über einen gewissen Kreis hinaus fast unbekannt, und das ist sein Ruhm. Er stellt nichts aus und arbeitet nur für ein paar Häuser wie Türkheimers, die ihn kolossal dafür bezahlen, dass er die Modelle seiner Werke vernichtet.«
»Merkwürdig!« meinte Andreas.
»Das ist das Feinste!« jammerte Süß. »Was für ’n großer Mann!«
»Wollen Sie das Claudius-Kabinett sehen?« wurde Andreas von Klempner gefragt.
1 Jobbern=sich als Börsenspekulant betätigen <<<
2 Colombina ist eine Figur aus der Commedia dell’arte <<<
VI. Die Mittel, mit denen man was wird
Man stand vom Tische auf, der Tabakrauch fing an, sich im Saale zu verbreiten. Alle Welt rauchte, am Nebentisch hatte die Fürstin Bouboukoff zwischen den Gerichten ihre Zigarette wieder angezündet.
Duschnitzki und Süß verloren sich inmitten der Gäste, die über die Treppengalerie in die Salons zurückkehrten. Klempner führte Andreas seitwärts in ein kleines Spiegelkabinett. Durch eine Glastür betrat man von dort das geräumige Gewächshaus. Die fortwährend springende Beleuchtung setzte Andreas in Erstaunen, er beobachtete die Damen und Herren, die, mit transportablen Drähten in der Hand, von einer Pflanzengruppe zur anderen gingen und hier und da das elektrische Licht aufblitzen ließen. Auf schlanken Sockeln, unter duftlosen Blumen halb versteckt, standen Bronzen, Terrakotten und silberne Statuetten, die alle einer Familie angehörten, einer Familie hagerer Faune und mondsüchtiger Sylphen, begehrlicher Ziegenböcke und rätselhaft lächelnder Knaben.
Auf den Diwans unter den Palmen verdaute eine Anzahl älterer Herren, die Wandelgänge waren voll lorgnettierender1 Damen. Die beiden jungen Leute, die am Eingang lehnten, konnten die Kunstwerke in den überall angebrachten Spiegeln betrachten. Eine zerbrechliche kleine Nymphe, die eine entfernte Ähnlichkeit mit Werda Bieratz hatte, neigte sich über die Quelle, die am Fuß einer Palme in ein gemeißeltes Becken floss. Sie hatte sich der burlesken Angriffe eines marmornen Silens zu erwehren, dessen Bauch und dessen feistes Lächeln Andreas heute Abend ebenfalls schon gesehen zu haben meinte. Zwei Knaben, süß und zart wie die Grazie, die nicht leben darf, scherzten unschuldig miteinander, indem sie bei einer privaten Verrichtung über den Wandelgang hinüber einander bewässerten.
»Das ist Claudius Mertens’ Kunst!« rief Klempner mit düsterer Feierlichkeit aus.
Andreas nahm sich zusammen, um die Befangenheit zu verbergen, die ihm weniger Claudius Mertens’ Schöpfungen einflößten als die Damen, die sie mit so vorurteilsloser Kennerschaft betrachteten.
»Und was anderes macht der Künstler nicht?« fragte er.
Klempner lächelte schmerzlich.
»Verurteilen Sie Claudius nicht, er ist auch einer, den die Welt erzogen hat!« versetzte er, sich an die Brust schlagend.
»Ich kann Ihnen sagen, dass Claudius in seinen jungen Jahren Marmorblöcke unter den Händen gehabt hat, mit denen sich Michelangelo begnügt hätte, als er nach ausreichendem Material für das Grabmal seines Herrn suchte. Was fängt aber die moderne Gesellschaft mit solchen Schwärmern an? Als Claudius noch der großen Kunst frönte, lebte er in einer Steinmetzbaracke von trocknem Brot. Seit er aber entdeckt hat, was die zahlenden Kunstfreunde verlangen, hat er wöchentlich zehn Einladungen, man reicht ihn sich herum, beim Essen empfängt er Bestellungen und verdient, während er verdaut.«
Klempner war in Emphase geraten.
»Wir Künstler sollten allen voran die Revolution einläuten!« rief er so laut, dass zwei glatzköpfige Bankiers, die nebenan auf dem Diwan gähnten, aufblickten und die jungen Leute erheitert anblinzten.
Andreas waren diese Ansichten nicht fremd, aber Klempner, der es gewiss nicht böse meinte, schrie zu laut für die feierliche Stille des Kunstkabinetts. Er kehrte mit seinem Begleiter in den Saal zurück, der sich langsam wieder füllte. Die Tische waren entfernt, eine ganz neue und reine Luft ließ alle aufatmen. Türkheimer, der eben eintrat, näherte sich einem Kreis von Leuten, die mit erhobenen Nasen schnupperten.
»Gebirgsluft, was?« sagte er. »Noch ein bisschen zu dünn, aber es wird schnell besser werden.«
Und er erklärte, dass er hier, wie schon früher in den Salons, einige Schläuche mit Oxygen habe leeren lassen.
»Ein ganz neues technisches Verfahren, die Wissenschaft macht doch kolossale Fortschritte. Für kaum tausend Mark hat man den ganzen Abend die reinste klimatische Höhenkur im Hause.«
»Für tausend Mark Luft!« rief Lizzi Laffé entzückt.
»Tausend Mark sind für mich Luft, wenn es sich um das Behagen meiner Gäste handelt«, versetzte Türkheimer mit einer galanten Verbeugung.
Die