Im Schlaraffenland. Heinrich Mann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Im Schlaraffenland - Heinrich Mann страница 22
Als Stiebitz bei Andreas angelangt war, fühlte dieser alle Blicke auf sich gerichtet.
»Die Leute sind abergläubisch«, sagte Andreas sich, während er ruhig Stiebitz anblickte.
»Das Rad kann stehenbleiben, wo es will. Welchen Zweck hat es, eine Nummer besonders auszuwählen. Mit Fünf habe ich Glück gehabt.«
»Fünf!« sagte er und schob Stiebitz die zweihundertachtzig Mark zu, die vor ihm lagen.
Eine kurze, zögernde Bewegung ging durch die Versammlung, dann rief alles durcheinander:
»Fünf!«
Als Stiebitz alle Einsätze eingesammelt hatte, verlangte Türkheimer ruhig lächelnd:
»Sieben!«
»Fünf!« sagte gleich darauf noch ein herzutretender Herr mit schönem schwarzen Vollbart. Andreas erkannte den Zionisten Liebling.
Wieder der kreisende Ring, aus dem langsam die Pferdchen auftauchten. Als das Rad stand, neigten sich abermals alle gierig über das Geländer.
»Fünf gewinnt!«
Diesmal war es unbestritten, alle außer Türkheimer gewannen. Stiebitz zahlte aus. Er legte vor Andreas einen Tausendmarkschein, einen Fünfhundertmarkschein, vier Hundertmarkscheine und drei Zwanzigmarkstücke hin. Andreas kam es vor, als ob das blasse Fett in Stiebitz’ Gesicht mit den weißen Haaren darauf sichtlich zitterte.
Türkheimer trat auf den jungen Mann zu und reichte ihm eine Hand, während er sich mit der anderen wohlgefällig über die gefärbten rötlichen Koteletten strich.
»Ist mir ein wahres Vergnügen, mein Geld an Sie zu verlieren«, sagte er. »Ich halte schon den ganzen Abend die Sieben, mal muss sie doch herauskommen.«
Andreas konnte ihm nur kurz danken. Er blickte verstohlen und mit heimlicher Besorgnis von Stiebitz auf sein gewonnenes Geld, das er zählte: neunzehnhundertundsechzig Mark, und dann wieder auf Stiebitz, der diesmal gleich an ihn herantrat.
Was sollte er ihm sagen? Zum dritten Mal gewinnt man nicht, dachte er, während der Besitz von so viel Geld und die Angst, es zu verlieren, ihm Herzklopfen verursachte. Er hielt den Atem an und erhob die Hand zu einer möglichst kühlen, langsamen Bewegung, um Stiebitz abermals die ganze Summe zuzuschieben. Aber in der Sekunde, während seine Hand sich dem Geländer näherte, arbeitete sein Gehirn mit unerhörter Schnelligkeit.
Musste es denn sein? Offenbar war es wenig vornehm, den Gewinn sogleich in die Tasche zu schieben und davonzugehen. Es konnte ihn hier unmöglich machen oder doch sein Ansehen vernichten. Alle würden darauf aufmerksam werden. Es musste also wohl sein.
Aber das Ganze? Unsinn! Plötzlich kam eine große Nüchternheit über ihn, seine Familiennüchternheit gewann rechtzeitig die Oberhand, die Nüchternheit seines Vaters, des Weinbauern, der jeden Groschen dreimal umgewendet hatte, bevor er ihn ausgab, und der froh gewesen war, wenn die Reben, die er gepflegt hatte wie Säuglinge, alle sieben Jahre einmal gut trugen. Zweitausend Mark gutes erworbenes Geld auf eine Nummer setzen, das heißt zum Fenster hinauswerfen! So dumm mochten die Berliner sein. Da hörte jede gesellschaftliche Rücksicht auf. Ehe Andreas seine ruhige Bewegung vollendet und die Banknoten berührt hatte, war er entschlossen, nur den Fünfhundertmarkschein zu opfern. Er ergriff aber bloß drei Hundertmarkscheine und reichte sie Stiebitz.
Er hatte doch nicht gezögert? Nein, es machte niemand ein spöttisches Gesicht, aber alle sahen gespannt aus.
»Sie spielen?« fragte Stiebitz.
»Fünf«, sagte Andreas, ohne nachzudenken. Das Spiel kümmerte ihn nicht mehr, die dreihundert Mark waren verloren, ein Ehrenopfer, das nur dazu dienen sollte, ihm einen guten Abgang zu verschaffen.
Diesmal empörten sich die Spieler gegen den Neuling, sie fanden seine Waghalsigkeit zu stark. Es äußerten sich sarkastische Zweifel. Jemand sagte:
»Mit die Beene will er angeln gehn?«
Der lange, hagere Herr zuckte geheimnisvoll die Achseln und verlangte dennoch Fünf. Aber es folgten ihm nur wenige.
Die Sieben lief ins Ziel. Andreas schob ruhig den ihm verbleibenden Gewinn in die Hosentasche, richtete den Kopf auf und blickte kurz um sich, mit dem Entschluss, demjenigen recht fest ins Auge zu sehen, der zu lächeln wagte. Aber sein Benehmen schien im Gegenteil etwas wie Bewunderung hervorzurufen. Als er vom Geländer zurücktrat, blinzelte ihm der Hagere, der verloren hatte und weiterspielte, neidisch nach.
»Bravo!« hörte er hinter sich jemand sagen. Er gewahrte Türkheimer, der endlich gewonnen hatte, und der ihn wieder, wie am Beginn des Abends, zu einer Begrüßung aufzufordern schien. Sie wechselten eine höfliche Verbeugung.
Als Andreas schon die Portiere ergriffen hatte, fühlte er eine Hand auf seiner Schulter. Herr Liebling sah ihm ernst und feierlich in das Auge, sein schwarzer Bart zitterte ein wenig, bevor er sagte:
»Halten Sie mich nicht für aufdringlich, mein lieber Herr, Herr – re…«
»Zumsee«, ergänzte Andreas.
»Halten Sie mich nicht für aufdringlich, wenn ich Ihnen sage: Spielen Sie niemals wieder! Diese Mahnung hätte manchen vor Schaden bewahrt, wenn sie ihm rechtzeitig zuteil geworden wäre. Sie haben vielleicht bemerkt, dass dem Neuling besonderes Glück zugeschrieben wird. Welch alberner Aberglaube!«
»Du hast doch auch ein bisschen davon profitiert«, dachte Andreas.
»Ich gebe zu, dass man einmal gespielt haben muss«, sagte Liebling milde. »Aber nie zum zweiten Mal. Hier fängt die Sünde an«, setzte er eindringlich hinzu, indem er dem jungen Manne warm und kräftig die Hand schüttelte.
Bevor Andreas den Türvorhang hinter sich fallen ließ, hörte er ein