Im Schlaraffenland. Heinrich Mann

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Im Schlaraffenland - Heinrich Mann

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Strumpf­bän­dern hat?«

      »Wa­rum denn nicht?« ent­geg­ne­te Klemp­ner nicht ohne Ge­nug­tu­ung. »Sie kön­nen sich noch mehr Stel­len aus­den­ken, wo Liz­zi Bril­lan­ten trägt, und es wird im­mer stim­men.«

      »’s ist aber ’ne ab­ge­leg­te Mode«, sag­te Duschnitz­ki. »Auf to­tes Ka­pi­tal, wie Bril­lan­ten, gibt kei­ner mehr was, und für ein jun­ges Mäd­chen, wie Wer­da Bie­ratz, ist es der höchs­te Chic, Geld auf der Bank zu ha­ben.«

      »Wer­da soll ’ne hal­be Mil­li­on be­sit­zen«, be­merk­te Süß voll Ach­tung.

      »Das ist ja, was ich mei­ne!« rief Klemp­ner und schlug mit der fla­chen Hand auf den Tisch.

      »Es macht Ih­nen Spaß, mei­ne Her­ren, mir zu ver­ste­hen zu ge­ben, dass Liz­zi äl­te­res Gen­re ist. Mei­net­we­gen, ich habe nichts da­ge­gen. Aber ich will Ih­nen sa­gen, worin der Un­ter­schied der Ge­ne­ra­tio­nen ei­gent­lich be­steht.«

      »Ken­nen wir!« be­merk­te Duschnitz­ki. »Liz­zi hat lan­ge Zeit einen Gra­fen ge­habt, bis der un­ter die Not­lei­den­den ging.«

      »Und als Liz­zi zur Büh­ne kam«, fuhr Klemp­ner fort, »war es Sit­te, nicht zu rech­nen. Liz­zi hat von den Mil­lio­nen, die ihr durch die Hän­de ge­gan­gen sind, nichts üb­rig­be­hal­ten als ihre Bril­lan­ten.«

      »Und je­der ein­zel­ne ist ein Ver­dienst­zei­chen!« rief Süß be­geis­tert.

      An­dre­as ward rot und sah auf sei­nen Tel­ler. Er mein­te, Klemp­ner müs­se das Stan­des­be­wusst­sein sei­ner bei­den Nach­barn be­lei­digt ha­ben. Aber Süß und Duschnitz­ki lach­ten höchst be­lus­tigt.

      »Die ar­men Mäd­chen!« wie­der­hol­ten sie.

      »Eine glück­li­che so­zi­al-psy­cho­lo­gi­sche Hy­po­the­se!« sag­te Duschnitz­ki. »Prost!«

      »Und so gibt es in der Ge­ne­ra­ti­on der klei­nen Bie­ratz eine Men­ge schmut­zi­ger Geiz­hälse und Wu­che­rer. Ich habe ge­hört, der En­gel leiht zu zwan­zig Pro­zent an arme Be­am­te!« so schloss Klemp­ner tri­um­phie­rend.

      An­dre­as fand Klemp­ners Prah­le­rei mit Liz­zi Laffé in­dis­kret und we­nig ruhm­voll. Liz­zi war ja noch ganz passa­bel, et­was schwer zwar, und ihre blon­de Kor­pu­lenz mach­te sich nicht so gut wie bei Frau Türk­hei­mer die brü­net­te. Aber un­ter dem Pu­der zeig­ten sich doch schon rote Fle­cken in Liz­zis Ge­sicht, und was für einen ta­del­lo­sen Teint hat­te Adel­heid!

      Er be­gann, sie in der Men­ge auf­zu­su­chen, doch der Nach­bar­tisch stand ihm im Wege. Dort saß Rechts­an­walt Gold­herz mit der Fürs­tin Bou­bou­koff, Lieb­ling, ei­ner an­de­ren, sehr tief aus­ge­schnit­te­nen Dame und ei­nem jun­gen Man­ne, der ein merk­wür­dig be­weg­li­ches Clow­n­ge­sicht hat­te. Süß er­zähl­te An­dre­as ins Ohr eine äu­ßerst schmut­zi­ge Ge­schich­te über die aus­ge­schnit­te­ne Dame, die Fürs­tin und den jun­gen Mann, der der Sohn der Fürs­tin sein soll­te. Au­gen­blick­lich führ­te die Bou­bou­koff mit den bei­den an­de­ren einen Pro­zess, bei dem der große Gold­herz als Ver­tre­ter der Fürs­tin mit­wirk­te. Die Par­tei­en schie­nen, da sie mit­ein­an­der sou­pier­ten, einen fröh­li­chen Waf­fen­still­stand ab­ge­schlos­sen zu ha­ben.

      An­dre­as hör­te un­auf­merk­sam zu. Er blick­te zwi­schen dem kor­rek­ten Rücken Lieb­lings und dem blo­ßen Na­cken der aus­ge­schnit­te­nen Dame hin­durch. Dort hin­ten saß Je­ku­ser, breit in sei­nen Stuhl zu­rück­ge­lehnt, dass die wuch­ti­ge Wöl­bung sei­ner wei­ßen Wes­te weit­hin glänz­te. Die schwar­ze Perücke des mäch­ti­gen Man­nes war ein we­nig in den Na­cken ge­scho­ben, er goss still und hei­ter ein Glas Wein nach dem an­de­ren hin­ab. Sein Ge­sicht – war es das ei­nes Schau­spie­lers oder ei­nes Cäsa­ren? – lach­te voll brei­ten Be­ha­gens, aber die be­weg­li­chen klei­nen Au­gen straf­ten, wie An­dre­as mein­te, sei­ne Harm­lo­sig­keit Lü­gen. »Das ist ei­ner, für den es hier kei­ne Ge­heim­nis­se gibt«, dach­te der jun­ge Mann voll Be­wun­de­rung. Duschnitz­ki, der sanft sei­nen Arm be­rühr­te, re­de­te ihn an.

      »Sie ir­ren sich. Die schö­ne Haus­frau sitzt auf der an­de­ren Sei­te.«

      »Ist doch ’n groß­ar­ti­ger Kopf!« sag­te An­dre­as.

      »Wer?«

      »Je­ku­ser.«

      An­fangs schwie­gen die an­de­ren. Dann äu­ßer­te Süß kurz und ab­wei­send:

      »Was ist denn schließ­lich der Je­ku­ser?«

      »Ist doch auch nur ’n ganz ge­wöhn­li­cher Hau­sie­rer«, er­klär­te Klemp­ner. Duschnitz­ki setz­te mit lie­bens­wür­di­gem Lä­cheln hin­zu:

      »Er sam­melt An­non­cen, wie an­de­re Lum­pen sam­meln.«

      An­dre­as wur­de sich be­wusst, eine ge­wis­se pein­li­che Stim­mung er­regt zu ha­ben. Was hat­ten sei­ne drei Nach­barn ge­gen Je­ku­ser? Of­fen­bar gar nichts. Aber es war schlech­ter Ton, ir­gend­je­mand oder ir­gen­det­was of­fen zu be­wun­dern. An­dre­as nahm sich vor, die­ses Ge­setz nicht wie­der zu ver­let­zen, in Ge­sell­schaft we­nigs­tens nie­mals. Frau Türk­hei­mer ge­gen­über war es viel­leicht et­was an­de­res? Da, wo er einen un­ge­wöhn­li­chen Ein­druck ma­chen woll­te, durf­te er doch nicht den Al­ler­welts­ge­schmack nach­ah­men. Dort war es viel­leicht hohe Po­li­tik, sich so zu zei­gen, wie er wirk­lich war?

      Das fru­ga­le Abendes­sen be­stand aus ei­nem Hum­mer­sa­lat und ei­ner kal­ten Kalbs­schnit­te. »Nur ge­ra­de der ge­sun­de Nähr­wert, das ist das Feins­te«, er­klär­te Duschnitz­ki. Aber am Hum­mer­sa­lat war un­ge­heu­er viel Senf, der An­dre­as zum Wei­nen brach­te, wäh­rend ihm die schar­fe Kräu­ter­sau­ce, die man zu Kalbs­bra­ten aß, die Ein­ge­wei­de ver­brann­te. Er muss­te des­halb mehr trin­ken, als ihm ei­gent­lich lieb war, denn es stand ihm als Schreck­bild vor Au­gen, was dar­aus wer­den wür­de, wenn er sich in be­trun­ke­nem Zu­stan­de kom­pro­mit­tier­te. Er be­nei­de­te die an­de­ren, die sich ih­rem Leicht­sinn hin­ge­ben durf­ten, falls sie wel­chen hat­ten, denn sie be­fan­den sich hier ge­wis­ser­ma­ßen in ge­si­cher­ter Stel­lung. Er, An­dre­as, aber wag­te ge­ra­de sei­ne ers­ten, tas­ten­den Schrit­te.

      Wäh­rend ein paar ge­eis­te Ana­nas­schei­ben her­um­ge­reicht wur­den, schlug drü­ben je­mand ans Glas. Gleich dar­auf er­hob sich Wal­de­mar Wen­ni­chens klei­nes lä­cheln­des Haupt mit dem tan­zen­den wei­ßen Flaum auf der kah­len Stirn, hoch über sei­ne Um­ge­bung. Der be­rühm­te Dich­ter sprach jetzt nach dem Es­sen mit noch mehr er­stick­ter Fis­tel­stim­me als vor­her, auch war

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