Südengland Reiseführer Michael Müller Verlag. Ralf Nestmeyer
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Die zehn Kilometer östlich von Whitstable gelegene Herne Bay ist ein traditionsreiches Seebad, dessen große Zeit allerdings schon lange vorbei ist. Besonders lebhaft geht es auf dem großen Samstagsmarkt zu, die meisten Reisenden fahren allerdings nach Reculver, das mit zwei Attraktionen lockt: den Grundmauern des Römerkastells Regulbium und den imposanten Ruinen der angelsächsischen Kirche St Mary, die zu den ältesten Sakralbauten Englands gezählt wird. Allerdings stammt die Ruine mit ihrer Doppelturmfassade aus dem 12. Jahrhundert und wurde 1805 teilweise abgetragen, da sie infolge der Küstenerosion verfiel (drei Kilometer östlich der Stadt).
Blean Woods
Die nördlich von Canterbury gelegenen Blean Woods sind eines der größten Waldreservate Englands. Wer mit offenen Augen und Ohren durch den Wald spaziert, kann Spechte und Nachtigallen beobachten. Auf insgesamt vier Wanderwegen, die zwischen eineinhalb und zehn Kilometer lang sind, lässt sich das Naturschutzgebiet erkunden.
Chilham
Auf einem alten Pilgerpfad von London nach Canterbury gelegen, präsentiert sich Chilham als ein reizvolles Dorf mit kleinen Cottages, viel Fachwerk und einem anmutigen Dorfplatz. Das Chilham Castle ist von einem weitläufigen Landschaftspark umgeben, der 1777 von dem königlichen Hofgärtner Lancelot „Capability“ Brown angelegt wurde und im Sommer besichtigt werden kann. Der englische Landschaftsgarten ist ein typisches Produkt des 18. Jahrhunderts. Damals lebten viele Adelige und reiche Leute ständig auf dem Lande. Soweit sie nicht dem von Fielding und Hogarth gegeißelten Lotterleben mit Fuchsjagd und Saufgelage huldigten, was vor allem der niedere Adel tat, kultivierten sie sich und ihre Domänen, suchten durch Verbesserungen die Erträge anzuheben, um ihrem aufwändigen Bau- und Lebensstil gerecht zu werden. Die Krönung des Landlebens stellte ein ausgedehnter Landschaftsgarten dar, der einen „weichen“ Übergang zu den landwirtschaftlich genutzten Ländereien schuf.
♦ Von Juni bis Sept. jeden zweiten Di im Monat 10-16 Uhr. www.chilham-castle.co.uk.
St Mary bei Herne Bay
Faversham
Fährt man von Canterbury weiter durch die Gartenlandschaft Kents in Richtung Westen, erreicht man nach 15 Kilometern die kleine Hafenstadt Faversham. Ihr historisches Zentrum (Abbey Street) wurde im letzten Jahrhundert renoviert. Die alte Abtei ist heute Teil des Arden House und kann nur an einigen Samstagen im Juli besichtigt werden. Im Ort gibt es 40 Pubs, zum größten Teil in historischen Gebäuden. Wen wundert es, da in dieser Gegend überwiegend Hopfen angebaut wird und sich einige Brauereien in der Nähe befinden. Auch die älteste unabhängige Brauerei Kents (Shepherd Neame, gegründet 1698) ist in Faversham zu Hause. Vor lauter Bierfreude sollen schon manche Ausflügler den letzten Anschluss nach Canterbury verpasst haben.
Verbindungen Bus - Von Canterbury fahren die Buslinien 602 und 603 nach Faversham. Zug - Auch Zugverkehr besteht zwischen den beiden Städten.
Rochester
Rochester, das längst mit seinen Nachbarorten Gillingham und Chatham zu einem industriellen Ballungsgebiet zusammengewachsen ist, besitzt mit seiner Kathedrale und seinem Castle zwei eindrucksvolle Sehenswürdigkeiten. Fast alle Restaurants und Hotels erstrecken sich entlang der High Street.
Rochesters Kathedrale von außen
Vom römischen Durobrivae haben sich keine nennenswerten Spuren erhalten. Die Christianisierung der Sachsen fiel in Rochester auf fruchtbaren Boden, bereits im Jahre 604 bestimmte Ethelbert von Kent die Stadt zum Sitz des zweitältesten englischen Bistums. Die Normannen erkannten die strategische Bedeutung des Ortes und errichteten eine mächtige Burg zur Kontrolle des Medway, der bei Rochester in den Ärmelkanal mündet. Normannische Baumeister zeichneten sich auch für den Neubau der Kathedrale verantwortlich, die zu den eindrucksvollsten normannischen Sakralbauten Südenglands gerechnet werden darf. Weder Daniel Defoe („zwar alt, aber nichts besonderes“) noch Charles Dickens konnten sich in ihren Büchern für die Bischofsstadt erwärmen. In seinem fragmentarisch gebliebenen Roman „The Mystery of Edwin Drood“ beschrieb Dickens einen imaginären Ort namens „Cloisterham“, wobei ihm Rochester als Vorlage diente: „Eine eintönige, schweigsame Stadt ist es, durchtränkt vom Erdgeruch der Krypta ihrer Kathedrale, überreich an Resten klösterlicher Gräber; ihre Kinder pflanzen Salatgärtchen im Staub von Äbten und Äbtissinnen, sie backen Sandkuchen aus dem Staub von Nonnen und Mönchen ...“
In Wirklichkeit fühlte sich Dickens, der im benachbarten Chatham aufgewachsen war, sehr zu Rochester hingezogen; der meistgelesene englische Schriftsteller verbrachte nicht nur seine Ferien in der Stadt am Medway, in der er auch am 9. Juli 1870 im Alter von 58 Jahren verschied. Rochester bewahrt die Erinnerung an seinen berühmten Literaten mit Enthusiasmus: Während des Dickens Festivals, das alljährlich eine Viertelmillion Menschen anlockt, verwandelt sich die Fußgängerzone in ein Meer von Menschen, gekleidet im Stil des 19. Jahrhunderts. Verschiedene Stände, Buden, Umzüge und zahlreiche historische Aufführungen stehen auf dem Programm.
Sehenswertes
Cathedral: Auf den Grundmauern der angelsächsischen Kathedrale legte der normannische Bischof Gundulf den Grundstein für einen imposanten Neubau, der sich am Stil der französischen Kathedralen seiner Heimat orientierte. Die imposante Krypta und der Gundulf-Turm sind die ältesten Teile der Kirche. Besonders beeindruckend ist das Westportal, dessen Tympanon ein Relief mit Christus als Weltenrichter ziert. Im Inneren verdient das aus dem frühen 13. Jahrhundert stammende Chorgestühl Beachtung. Die Einheit des Stils wird allerdings durch spätere Erweiterungen und eine unsachgemäße Restaurierung geschmälert. Nach Süden hin schließt sich ein nur noch teilweise erhaltener Kreuzgang an.
♦ 70a High Street. Eintritt als „freiwillige Spende“ von £ 3. www.rochestercathedral.org.
Rochester Castle ist eine der ältesten Burgen Englands
Castle: Wo heute das Rochester Castle steht, befand sich einst ein römisches Gebäude, das zur Bewachung des hier vorbeiführenden Handelsweges zwischen Dover und London („Watling Street“) diente. Kein Geringerer als Wilhelm der Eroberer erteilte den Auftrag für den Bau einer Burg an der Mündung des Medway. Mit seinem imposanten, viereckigen Bergfried (schöne Aussicht!) gilt das Castle als eine der besterhaltenen normannischen Wehranlagen in England. Als Baumeister wirkte Bischof Gundulf, der neben der Kathedrale auch den White Tower in London geplant hatte. Zuletzt sei noch der Schriftsteller Henry James zitiert, der sich dem eigenartigen Reiz der Burg nicht entziehen konnte: „Ich habe viele moderne Burgen gesehen, aber ich erinnere mich nicht, dass auch nur eine von ihnen diesen Ausdruck von Verlorenheit, Hilflosigkeit, Beraubtheit gehabt hätte.“
♦ Tgl. 10-18 Uhr, im Winter nur bis