Niedergetrampelt von Einhörnern. Maelle Gavet
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Frauen machen etwa 13 Prozent der Beschäftigten in der Tech-Branche aus. Man stelle sich vor, wie anders Software-Entwicklung aussehen könnte, wenn diese Zahlen anders aussähen – und wie viel höher der Empathie-Quotient wäre. Beim Thema Führungspositionen (Management) verschlechtert sich das Bild noch weiter:9 Bei Facebook waren nur 3 Prozent der Führungskräfte People of Colour, bei Uber, Microsoft und Google waren es 2,8 Prozent, 2,2 Prozent und 2 Prozent. Ähnlich sieht es bei Facebook aus: Nur 3 Prozent der Führungspositionen waren von Menschen mit Latino-Hintergrund besetzt. Bei Twitter, Google und Uber waren es 2,3 Prozent, 2 Prozent bzw. 1,4 Prozent. Bei Twitter (33 Prozent), Apple (29 Prozent), Facebook (28 Prozent), Amazon (25 Prozent), Google (25 Prozent), Uber (21 Prozent), Microsoft, Intel und Pinterest (19 Prozent) hatten Frauen nur ein Drittel oder deutlich weniger Führungspositionen inne.
Die Situation wird zumindest in einigen Bereichen langsam besser und in einigen Gegenden werden verstärkt Anstrengungen unternommen. Dennoch wird sich dieser seit langem bestehende Mangel an ethnischer und geschlechtsspezifischer Vielfalt wahrscheinlich so lange fortsetzen, bis sich die Zahl der Informatikabsolventen in der Zusammensetzung der Bevölkerung besser widerspiegelt. Jüngste Statistiken zeigen zum Beispiel, dass sich in den USA der Frauenanteil bei den Bachelor-Abschlüssen in Informatik von einem Höchststand von etwa 37 Prozent im Jahr 1984 langsam auf einem Niveau von etwa 18 Prozent zwischen 2007 und 2016 einpendelt.10 Der Anteil in den Informatik-Studiengängen nach Rasse/Ethnizität lag zwischen 2015 und 2016 bei etwa 10 Prozent für People of Colour, 12 Prozent für Latinos und 7 Prozent für Asiaten.11
Es überrascht nicht, dass diese tief verankerte Unterrepräsentation von Minderheiten oft zu einseitigen Denkmustern und einem Mangel an unterschiedlichen Perspektiven führt. Dies löste im Laufe der Jahre einige Katastrophen aus, wie beispielsweise bei der Bilderkennungs-Software von Google, die schwarze Personen notorisch als Gorillas kennzeichnete (wie sich später herausstellte, war die einzige Lösung, die den Google-Entwicklern damals dazu einfiel, Gorillas aus ihren Bildbeschriftungsalgorithmen zu entfernen).12 Obendrein wurden in der Google-Autovervollständigung unter anderem die Leugnung des Holocaust, die Überlegenheit der Weißen (»White Supremacy«), Islamophobie sowie eine Vielzahl von Verschwörungstheorien bevorzugt angezeigt. Mittlerweile wurde dies behoben.13
»Steve Jobs baute Apple auch nicht mit Bescheidenheit und Fürsorge auf«
Die Anhäufung junger weißer und asiatischer Männer mit beschränktem Horizont trug zur Entstehung einer Reihe gefährlicher Klischees bei.
Ein Beispiel dafür ist das, was ich gerne als »Steve-Jobs-Syndrom« bezeichne. Ob wahr oder nicht, viele sind der Überzeugung, sein unzweifelhaftes Genie entschuldige jegliches Verhalten. Ein fester Bestandteil seines Erbes ist die unauslöschliche Verknüpfung der Begriffe Vollidiot und Genie. Viele Menschen gehen sogar fest davon aus, dass speziell ein Gründer-CEO ein Vollidiot sein muss, um ein Genie zu sein. Der Stereotyp einer überkandidelten »Get shit done«-Persönlichkeit vom Typ A (man denke nur an den Uber-Gründer Travis Kalanick, den Einhorn-Seriengründer Elon Musk, und Adam Neumann, den ehemaligen Frontmann von WeWork) ist seit Langem eine Quelle des Stolzes für die Tech-Gemeinde. Und dieses »Syndrom« ist nicht ausschließlich Männern vorbehalten (obwohl es scheinbar vor allem Männer betrifft); man achte nur auf das Verhalten der Theranos-Gründerin Elizabeth Holmes: Sie trug sogar, ganz im Stil von Steve Jobs, schwarze Rollkragenpullover, während sie wissentlich Leben aufs Spiel setzte – was letztendlich in einer Anklage wegen kriminellen Betrugs endete.14 Immer wenn ich den Gründer einer der Tech-Firmen, deren Übernahmen ich beaufsichtigte, auf seinen Mangel an Einfühlungsvermögen und Demut aufmerksam machte, der in vielen katastrophalen Entscheidungen endete, reagierte er darauf stets mit der Phrase: »Steve Jobs baute Apple auch nicht mit Bescheidenheit und Fürsorge auf.«
Und dann gibt es da noch die Mutation der »Genie/Vollidiot«-Theorie: der missverstandene, einsame Nerd, der zwar ziemlich brillant, aber sozial inkompetent ist und ein wenig schroff – etwas, das wir Nicht-Genies einfach akzeptieren müssen. Man denke nur an Gilfoyle, eine Figur im Film Silicon Valley, die jedem nur allzu bekannt vorkommen wird, der jemals in der Tech-Branche gearbeitet hat. Seine Frauenfeindlichkeit und bösartige, herablassende Art werden toleriert, weil er durch Software, die die Schwerkraft aufhebt, »die Welt verändert«.
Dieses sich verbreitende Syndrom trug wiederum zur Kultivierung eines weiteren Tech-Mythos bei: der »Außergewöhnlichkeit« (»exceptionalism«). Einhorn-Gründer, Führungskräfte, Wegbereiter und auch Risikokapital-Investoren, die alle einen tiefen Schluck aus der Kool-Aid-Flasche getrunken haben, sehen die Welt als einen meritokratischen Ort an, an dem sie und nur sie allein für ihren Erfolg verantwortlich sind, da sie klüger sind und härter arbeiten als alle anderen. Das Problem mit dieser Theorie ist, dass sie in den allermeisten Fällen nachweislich falsch ist. Sie sind zwar klug und arbeiten hart, aber nicht zuletzt profitieren sie auch von einer einzigartigen Konstellation von günstigen Umständen, wie man sie nur einmal in einem Jahrhundert erlebt. Angefangen von der Entwicklung des Internets, über die Wildwest-artige »Gesetzlosigkeit« im Valley – unbehelligt von Regierungen, Aufsichtsbehörden und Steuersystemen – bis hin zum heutigen, noch nie dagewesenen Überfluss an Risikokapital und einer überbordenden Wachstumskultur.
Wer ernsthaft der Meinung ist, jeder habe das Zeug zum Milliardär und das Silicon Valley verkörpere den amerikanischen Traum von »Alles ist möglich«, kommt leicht auf den Gedanken, dass jeder selbst daran schuld ist, wenn er nicht erfolgreich ist, und sein Schicksal verdient hat. Diese libertäre Haltung erklärt auch das mangelnde Einfühlungsvermögen einer gewissen Tech-Elite, die ihren enormen Reichtum als »verdient« ansieht und das Scheitern anderer Menschen als das Ergebnis einer gewissen Art von Faulheit. Sie steht Regierungen grundsätzlich misstrauisch gegenüber und geht davon aus, zu viel Steuern zu zahlen.
So entstanden auch weitere eigennützige Dogmen, die vom »Tech«-Stamm stolz vertreten werden, darunter Vorstellungen wie »solange ich hervorragende Ergebnisse erziele, werde ich nicht gefeuert«, oder dass digitale Technologie an sich weder gut noch schlecht, sondern neutral sei (»es gibt keine Voreingenommenheit im Code«), das technologische Heilsversprechen (»digitale Technologie wird alles lösen«, »wir brauchen nur bessere/mehr digitale Technologien« usw.), ein scheinbar geschlechts-/ethnien-neutraler Ansatz (»wir stellen nur die Besten ein«) und so weiter.
Zusammengenommen haben diese übermäßig geschützte Welt, die mangelnde Diversität, die »Stammesmythologien« und die Hyperspezialisierung sowohl positive als auch negative Auswirkungen. Einerseits hat jeder Stamm seine eigenen Bräuche und Erkennungszeichen, und in vielerlei Hinsicht haben diese Mythen dazu beigetragen, eine schnelllebige, lösungsorientierte Kultur zu beflügeln. Die Menschen haben keine Angst vor gewaltigen Herausforderungen und verfolgen kühne Ziele, und so können es auch kleine Start-ups mit den größten Monopolen und Amtsinhabern aufnehmen. Das sollte nicht unterschätzt werden. Wir kamen dadurch in den Genuss einer Vielzahl neuer Tools und Services. Mir persönlich würde es sehr schwerfallen, wieder in traditionellen Unternehmen zu arbeiten, die ich mittlerweile oft unglaublich langsam und bürokratisch finde.
Aber das Ganze führte auch zu einer unangenehmen und beunruhigenden »Tech-Bro«- oder einfach Bro-Kultur. Eine sich zusammenrottende Gruppe meist junger männlicher, weißer und asiatischer Ingenieure, die zumeist nur Personen aus ihrem unmittelbaren