Propagandaschlacht ums Klima (Telepolis). Michael E. Mann

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Propagandaschlacht ums Klima (Telepolis) - Michael E. Mann

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Menschen wie mir bestehen, die kein besonderes Verhältnis zu Chemiekonzernen pflegen. Es sind vielmehr vor allem Feuerwehreinheiten, Feuerwehrleute und viele, viele Verbrennungsmediziner«.11 Letzten Endes ist der Kunstrasen des einen – im Sinne von Astroturfing, eine hinter den Kulissen von Lobbyinteressen gesteuerte Bürgerbewegung – die Graswurzel des anderen – im Sinne von gesellschaftlicher Basis. Wer weiß das schon?

      Als Ergebnis der gemeinsamen Anstrengungen der Tabak- und Chemieindustrie haben sich die Flammschutzmittel in der gesamten Umwelt weit verbreitet – sogar so sehr, dass diese gefährlichen Chemikalien heute schon bei nordamerikanischen Turmfalken und Schleiereulen, in spanischen Vogeleiern, bei Fischen in Kanada und sogar in antarktischen Pinguinen und arktischen Schwertwalen nachgewiesen werden können. Sie wurden in Honig gefunden, in Erdnussbutter – und in menschlicher Muttermilch.12 Und das alles ist das Ergebnis einer von der Industrie geförderten Ablenkungskampagne.

      Der weinende Indianer

      Meine lebhaftesten Kindheitserinnerungen reichen bis in die frühen 1970er Jahre zurück, als ich fünf oder sechs Jahre alt war. Ich würde Ihnen gerne erzählen, dass es bedeutungsvolle Momente aus meiner Jugend sind: ein Sommerurlaub mit der Familie an der Meeresküste von Maine, ein Urlaubstreffen mit meinen Großeltern und Cousins oder auch mein erstes Ferienlager. Aber meine klarsten Erinnerungen an frühe Kindertage betreffen das Fernsehen und um genau zu sein, die Werbespots, die dort zu sehen waren.

      »Ich würde der Welt gerne eine Cola kaufen.« Ich höre immer noch den Jingle, die einprägsame Melodie, die verspricht, der Weltfrieden könnte erreicht werden, wenn sich nur alle dafür entscheiden würden, Coca-Cola zu trinken. Es ist, als ob es erst heute Morgen im Radio lief. Eingeprägt in mein Gedächtnis ist auch die strenge Mahnung des Werbemaskottchens Smokey Bear: »Nur Sie können Waldbrände verhindern.« Diese Werbekampagne trug dazu bei, dass ich schon früh die Natur und die Bedeutung ihrer Erhaltung zu schätzen wusste.

      Aber eine dieser äußerst hartnäckigen Werbebotschaften hat sich besonders in meiner Seele eingegraben. Wenn Sie in einem ähnlichen Alter sind wie ich und in den Vereinigten Staaten aufwuchsen, kennen Sie den Werbespot. Sie haben es vielleicht noch bildlich vor Augen: Ein nordamerikanischer Ureinwohner, mit kantigen Gesichtszügen und traditionell gekleidet, paddelt mit seinem Kanu einen Fluss hin­unter. Im Hintergrund spielt leicht unheilvolle Musik, begleitet von einem gleichmäßigen Trommelschlag. Während er den Fluss hinuntergleitet, stößt er auf eine zunehmende Menge an Treibgut und Strandgut, hinter ihm verschmutzen Fabriken durch Emissionen die Luft. Die Musik wird lauter und bedrohlicher. Schließlich landet er mit seinem Kanu am Ufer des Flusses, das mit Abfall nur so übersät ist.

      Der Mann mit dem Namen Iron Eyes Cody bahnt sich seinen Weg an Land, trampelt durch noch mehr weggeworfenen Müll und nähert sich dem Rand einer Autobahn. Ein Insasse eines vorbeifahrenden Autos wirft einen Müllsack aus dem Fenster, dessen Inhalt vor Codys Füße und auf seine Kleidung gelangt. Er blickt auf das Chaos hinunter, während man eine autoritäre Stimme aus dem Off hört. Sie erinnert an Rod Serling aus Twilight Zone: »Einige Leute haben einen tiefen, beständigen Respekt vor der natürlichen Schönheit, die dieses Land einst besaß.« Und in einem beinahe tadelnden Ton heißt es: »Manche Leute haben ihn nicht.« Es geht weiter mit: »Menschen verursachen Umweltverschmutzung. Menschen können sie beenden.« Als die Kamera auf das mürrische Gesicht des Mannes zufährt, fließt eine Träne aus den Augenwinkeln und über seine Wange. Er blickt traurig in die Kamera, im Hintergrund sieht man eine verschmutzte US-amerikanische Landschaft.

      Seine Tränen waren die unsrigen. Sein Schmerz war unser Schmerz. Unser großes Land – und das Vermächtnis der indigenen Völker – war durch unser eigenes verschwenderisches Verhalten gefährdet. Könnten wir unsere Flüsse, Felder und Wälder retten, bevor es zu spät wäre? Waren wir bereit, uns zu ändern?

      Und ob wir das waren. Als die zuständigen Umweltbeauftragten, die wir nun waren, kannten wir unsere Mission. Kein Stück Abfall würde unserer Konfiszierung entgehen, eine neue Generation von Müllschluckern war geboren. Bis zum heutigen Tag habe ich Schwierigkeiten, ein Stück Abfall am Straßenrand liegen zu lassen. Instinktiv suche ich nach einem Behälter in der Nähe, wo ich ihn entsorgen kann. Dieser Werbespot hat mich – und so viele Menschen meiner Generation – zum Besseren verändert, so könnte man meinen.

      Der Werbespot machte sich die Kraft einer beginnenden Umweltbewegung zunutze. Als Teil der größeren Kampagne mit dem Spruch »Keep America Beautiful« (Haltet Amerika schön).13 Das große Feuer am Fluss Cuyahoga in Ohio ist eine weitere Erinnerung, die tief im amerikanischen Kollektivbewusstsein verwurzelt ist. Dieses Ereignis bedeutete wohl einen Wendepunkt im öffentlichen Bewusstsein. Es löste eine neue Ära des Umweltbewusstseins und eine Flut neuer umweltpolitischer Maßnahmen aus, wie etwa die Schaffung der Umweltschutzbehörde (EPA) und von Bundesgesetzen zum Gewässerschutz (Clean Water Act) und zur Luftreinhaltung (Clean Air Act). Dies war der »Anbruch des Zeitalters des Wassermanns« (siehe »the dawning of the Age of Aquarius« aus dem Musical Hair), – eines neuen Zeitalters des Umweltbewusstseins.

      Der »weinende Indianer« war die richtige Botschaft zur richtigen Zeit, einfach und kraftvoll: Sie und ich können dieses Problem lösen. Wir müssen nur nachdenken, gemeinsam handeln und die Ärmel hochkrempeln. Sie gilt als eine der effektivsten Werbeanzeigen in der Geschichte. Naturschutzorganisationen wie Sierra Club und Audubon Society haben die Anzeige begrüßt und gehörten sogar dem Beirat für die Kampagne an. Cody fand schnell seinen Weg auf Autobahn-Reklametafeln. Er wurde zu einer Ikone der modernen Umweltbewegung.

      Aber wenn Sie hier Ausschau nach einer Gute-Laune-Geschichte halten, sollten Sie sich lieber auf eine Enttäuschung gefasst machen. Manche Dinge sind nicht ganz so, wie sie scheinen. Denn sollten sie, wie es der Historiker Finis Dunaway in einem 2017 erschienenen Kommentar in der Chicago Tribune tat, an der Oberfläche des weinenden Indianers kratzen, beginnt sich ein anderes Bild abzuzeichnen – ein drastisch anderes Bild.14

      Falsus in Uno, Falsus in Omnibus: In einer Sache falsch, in allen falsch

      Dunaway unterstrich dabei die Rolle, die die Ureinwohner Amerikas in der Gegenkultur der frühen 1970er Jahre spielten. Der weinende Indianer griff dieses Ethos auf, indem er sich an der Friedensbewegung orientierte, ähnlich wie der Jingle »Buy the World a Coke« (Kaufen Sie der Welt eine Cola), der etwa zur gleichen Zeit ausgestrahlt wurde. Wir werden später sehen, dass die Verbindung mit Coca-Cola nicht nur zufällig ist. Zwei der denkwürdigsten Filme aus meiner Kindheit, die beide 1971 erschienen, bezogen sich auf dieselben Themen. Billy Jack erzählt die Geschichte eines Mannes, der ein halber amerikanischer Navajo war. Seine pazifistischen Bestrebungen stehen dabei im Widerspruch zu seinem Temperament und seinem Hang zur Selbstjustiz. In dem Film verteidigt er eine Gruppe von Friedensaktivisten und Hippies, von denen viele aus indigenen Stämmen stammen, gegen feindselige, heuchlerische Stadtbewohner. Der andere, Bless the Beasts and Children (Denkt bloß nicht, dass wir heulen), erzählt die Geschichte einer Gruppe jugendlicher Außenseiter, die Sinn, Bestätigung und Macht erlangen, indem sie eine Büffelherde befreien, die von skrupellosen Männern zum Sport gejagt wird. Es sind nicht nur die Büffel, die vernichtet werden; es ist der Geist der US-amerikanischen Ureinwohner, für die der Büffel ein dauerhaftes Symbol ist. Die zugrundeliegenden Themen in beiden Filmen waren unverkennbar: der Kampf zwischen Frieden und Befreiung, und die zentrale symbolische Rolle, die in diesem Kampf indigene Völker und ihre Notlage spielten. Indem er mit genau derselben Symbolik spielte, hat der weinende nordamerikanische Ureinwohner den Zeitgeist der frühen 1970er Jahre eingefangen. Er hat sich all diese Kraft zu eigen gemacht.

      Und es ist die indianische Symbolik der Werbekampagne mit dem weinenden nordamerikanischen Ureinwohner, in der wir unserem ersten Betrug begegnen, wenn auch einem scheinbar geringfügigen und oberflächlichen. Denn, wie sich herausstellte, gehörte Iron Eyes Cody keinem Indianerstamm an. Er war nicht einmal amerikanischer Ureinwohner. Er wurde als Espera Oscar

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